Rede der Parteivorsitzenden der CDU Dr. Angela Merkel zur
Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in
Afghanistan
Vom 11. Oktober 2001
Dr. Angela Merkel (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor einem Monat haben die schrecklichen
Terroranschläge auf New York und Washington die Welt verändert. Ich glaube, wir sind uns
alle einig, dass dieser 11. September 2001 ein Wendepunkt ist, ein Wendepunkt im
Zusammenleben der Völker auf dieser Welt. Spätestens seit dem 7. Oktober, seit
Sonntagabend, wissen wir: Dies hat viele Konsequenzen, auch militärische.
Ich sage dazu: Diese Konsequenzen sind alternativlos. Mit Recht - ich verstehe das -
stellen sich viele Menschen in den letzten Wochen die bange Frage: Was bedeuten diese
Terroranschläge für meine eigene Zukunft, für meine Familie, für meine Kinder? Denn
schlagartig sind für uns alle die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts sichtbar geworden.
Schlagartig ist klar geworden: Die Illusion von einer friedlichen Welt bleibt eine
Illusion.
Angst darf nicht unser Ratgeber sein. Ein Wendepunkt des 11. September hat Konsequenzen.
Es wäre aber falsch zu sagen: Dieser Wendepunkt bedeutet, dass nichts mehr so bleibt, wie
es war. Es bleiben unsere Werte, die Achtung der Würde des Menschen, das Eintreten für
Freiheit und Gerechtigkeit und es bleibt vor allen Dingen die Chance, sie in ihrer
Bedeutung stärker zu achten und stärker durchzusetzen.
Sie, Herr Bundeskanzler, waren - wie ich finde, leider recht spät - in dieser Woche in
den Vereinigten Staaten.
(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Oh! - Weiterer Zuruf von der SPD: Das ist
doch lächerlich!)
Sie waren an der Stätte des Grauens, an der Stätte des Terrors, an der Stelle, an der
Tausende von Menschen ihr Leben verloren haben. Sie haben dort den Ort gesehen, an dem
Hass und Gewalt gewütet haben. Jedem muss klar sein: Es gibt keine Form der Erklärung
für solche Taten und es darf sie auch nicht geben. Ich sage dies, weil ich spüre, dass
mit dem Abstand von dem Ereignis immer wieder versucht wird, solcherlei Erklärungen doch
auf die verschiedenste Art und Weise zu finden. Ich sage dies vor allen Dingen mit großer
Bedrückung, weil das selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorkommt. Das dürfen
wir auf keinen Fall zulassen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wir dürfen das nicht zulassen, weil wir es den Opfern schuldig sind. Wenn dieser
schreckliche Tod von Tausenden und Abertausenden von Menschen einen Sinn haben soll, dann
müssen wir es entschlossen in die Hand nehmen, unsere Welt von den Wurzeln dieses Terrors
zu befreien. Das ist die Aufgabe, die sich für uns aus diesem 11. September ergibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Der 11. September hat uns gezeigt: Wir, unsere offenen Gesellschaften - das gilt für
jeden einzelnen Menschen - brauchen die Bereitschaft, diesen Kampf einzugehen. Wir haben
erlebt, dass es nicht ausreicht, gleichgültig gegenüber uns selbst zu sein. Vielmehr
müssen wir uns darüber klar werden, wofür wir kämpfen. Ansonsten werden der Krake des
Terrors, der Krake der Angst die Menschen handlungsunfähig machen. Ich werde in diesen
Tagen, wie Sie alle, oft gefragt: Müssen wir nicht noch mehr Angst haben, wenn es
Reaktionen der freien Welt gibt? Ich sage: Die Angst müsste größer sein, wenn es keine
Reaktionen gäbe. Deshalb müssen wir handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Der 11. September hat noch etwas anderes deutlich gemacht: Unsere eine Welt ist eine
überschaubare Welt und wir leben gemeinsam. Wer geglaubt hat, Deutschland könne sich aus
dieser Welt in irgendeiner Weise ausklinken, ist eines Besseren belehrt worden.
Terroristen haben unter uns gelebt oder leben vielleicht noch unter uns. Deshalb haben wir
die Verantwortung, gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir ein Konzept nicht nur im
wirtschaftlichen Bereich, sondern genauso im Bereich der Innenpolitik als Weltinnenpolitik
aufstellen.
Ein solches Konzept muss verschiedene Aspekte berücksichtigen. Der erste Aspekt ergibt
sich im Grunde, seitdem es die deutsche Einheit gibt. Damals hat der Vater des heutigen
amerikanischen Präsidenten dem Bundeskanzler Helmut Kohl "partnership in
leadership" angeboten. Heute ist die Zeit da, in der wir diese Verantwortung
einlösen müssen. Geradezu vorausschauend hat uns der Leiter des Jüdischen Museums in
Berlin, Herr Blumenthal, anlässlich der Einweihung dieses Museums ins Stammbuch
geschrieben: Wir Deutschen haben im 21. Jahrhundert die Aufgabe, eine führende Rolle im
Kampf um Menschenrechte und gegen den Terrorismus zu spielen. Diese Aufgabe müssen wir
einlösen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir müssen diese Aufgabe auch als ein wichtiges, als ein großes Land in der
Europäischen Union einlösen. Die Wertegemeinschaft der Europäischen Union muss sich in
diesen Stunden und Tagen bewähren. Die Antwort auf die Frage, wie die Europäische Union
und in ihr Deutschland agieren und wie wir die Vertiefung unserer Zusammenarbeit
ausgestalten, wird entscheiden, welche Rolle Europa in der Welt des 21. Jahrhunderts
spielt. Es zeigt sich mit großem Drängen, dass die Ausgestaltung einer gemeinsamen
europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik nicht auf sich warten lassen sollte.
Es zeigt sich mit großem Drängen, dass das Schmieden von Allianzen nicht ohne die
Europäische Union vonstatten gehen darf; vielmehr wird sie dabei eine wichtige Rolle
spielen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Meine Damen und Herren, selten hat es einen Monat so vieler diplomatischer Aktivitäten
gegeben. Wer geglaubt hat, nach dem 11. September könnte es das Primat der Politik nicht
mehr geben, ist eines Besseren belehrt worden. Das ist eine gute Erfahrung. Wir müssen
aber auch aufpassen, dass neue Allianzen nicht über unterschiedliche Wertvorstellungen
hinwegtäuschen. Der russische Präsident hat an dieser Stelle eine bemerkenswerte Rede gehalten. Er hat uns alle darauf hingewiesen,
dass der Kalte Krieg lange vorbei ist. Er hat festgestellt, dass wir alle noch dazu
neigen, in den Strukturen des Kalten Krieges zu denken. All das ist richtig. Aber ich
möchte hinzufügen: Der Kalte Krieg ist zu Ende; dies hat aber nicht zu einer neutralen
Wertebasis geführt. Er ist nämlich zu Ende, weil die Werte von Freiheit und Demokratie
gegen Diktatur und Unterdrückung gesiegt haben. Dies ist eine wichtige Erfahrung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage dies nicht aus nachträglicher Besserwisserei - ich habe nämlich auf der anderen
Seite gelebt -, sondern weil wir uns über diesen Punkt im Klaren sein müssen, wenn wir
die Fundamente für eine neue Ordnung des 21. Jahrhunderts legen wollen. Es mag ja sein,
dass wir die Erfahrungen und Geschehnisse in Tschetschenien auch unter einem anderen
Blickwinkel sehen müssen. Es muss aber auch ausgesprochen werden, dass in Tschetschenien
Menschenrechtsverletzungen passiert sind und passieren, die wir auch angesichts neuer
Allianzen nicht dulden dürfen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der PDS)
Ich sage Ja zu neuen Allianzen und zu neuen Partnerschaften in allen Bereichen, wo dies
möglich ist. Aber das darf beispielsweise im Zusammenhang mit Russland nicht dazu
führen, dass wir auf dem Standpunkt stehen, Russland könne sofort Mitglied der NATO
werden. Wir tun uns alle keinen Gefallen, wenn wir diese Dinge nicht
mehr aussprechen würden; sie müssen auch nach dem 11. September ausgesprochen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen einen Dialog der Religionen und Kulturen, entschlossener und offener als
bisher. Ich glaube im Übrigen, dass wir, die Deutschen und die Europäer, über unsere
eigenen Grundlagen sehr viel stärker nachdenken wer den, wenn wir in einen solchen Dialog
der Kulturen offensiv eintreten. Es ist aber auch wichtig, dass wir uns mit der Frage
auseinander setzen, warum viele der Terroristen nicht aus der Schicht der Ärmsten der
Armen kommen, sondern Mitglieder der gebildeteren und reicheren Schichten ihrer Länder
sind. Deshalb sage ich: Der Dialog der Kulturen und Religionen ist wichtig. Aber er findet
dort seine Grenzen, wo Religion für politische Machtstrukturen missbraucht wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Gert Weisskirchen
[Wiesloch] [SPD])
Für die Bekämpfung des Terrorismus brauchen wir eine Doppelstrategie wie die, die zum
Untergang des Sozialismus und des Kommunismus geführt hat. Diese Strategie muss auf der
einen Seite hart, unerbittlich und kompromisslos mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung
stehen, gegen bestimmte Werteverletzungen angehen. Auf der anderen Seite muss sie
denjenigen Menschen eine Perspektive geben, die sich für die Werte von Freiheit und
Demokratie einsetzen.
Wenn wir diese Strategie durchführen wollen, dann muss das Konsequenzen für die
Prioritäten unserer Politik haben. Herr Bundeskanzler, ich kann Ihnen deshalb diese
Bemerkung nicht ersparen: Der Haushalt des Jahres 2000 mit den dramatischen Kürzungen im
Bereich der Entwicklungshilfe war genau das falsche Signal für eine solche notwendige
Politik des 21. Jahrhunderts.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Auch die 200 Millionen DM, die jetzt aus den zusätzlich aufgebrachten 3 Milliarden DM
zusätzlich für die Entwicklungshilfe ausgegeben werden, sind nicht mehr als ein Tropfen
auf den heißen Stein. Der 11. September muss stärkere Konsequenzen nach sich ziehen -
beispielsweise hinsichtlich der Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation -, weil es
notwendig ist, den armen Ländern auf der Welt zu helfen. Wenn wir dies nicht bedenken,
sind unsere Worte nur Lippenbekenntnisse.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Für mich hat der 11. September gezeigt, dass die Grenzen von innerer und äußerer
Sicherheit zunehmend verschwimmen. Bei ganz nüchterner Betrachtung müssen wir zu dem
Schluss kommen, dass plötzlich aus dem Inneren offener Gesellschaften nicht staatliche
Akteure quasi militärisch agieren. Dies ist eine Form von Bedrohung, die wir nicht
gekannt haben. Deshalb kann ich mich mit Ihrem Satz: "An der Unterscheidung von
innerer und äußerer Sicherheit werden wir festhalten" nicht einverstanden
erklären. Dieser Satz beschreibt das, was wir gemeinsam erlebt haben, nicht ausreichend.
Dieser Satz beschreibt nicht die eigentliche Veränderung. Denn es gibt nicht die äußere
Sicherheit und die innere Sicherheit, sondern es gibt die Frage der Bedrohung. Wir leben
in einer gemeinsamen Welt. Das ist doch die Erfahrung; das sagen Sie doch selber auch.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In gewisser Weise haben Sie sich selbst in Ihren weiteren Ausführungen widersprochen, als
Sie darüber redeten, dass es natürlich ganz neue Verzahnungen geben werde. Niemand in
dieser Bundesrepublik Deutschland, jedenfalls nicht in meiner Partei, wird in irgendeiner
Weise Polizei und Bundesgrenzschutz durch Kräfte der äußeren Sicherheit ersetzen
wollen. Vielmehr geht es um die Frage, ob in bestimmten Bedrohungssituationen, ergänzend
zu dem, was wir von Polizei und Bundesgrenzschutz brauchen, und ergänzend zu dem, was
bereits heute das Grundgesetz ermöglicht,
vielleicht bestimmte Dinge zusätzlich angewandt werden sollten. Es geht um die Frage, ob
wir es schaffen, nicht immer in rechtlichen Grauzonen zu arbeiten. Denn auch das ist kein
politisches Handeln auf Dauer.
(Beifall bei der CDU/CSU - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ein Blick in das Grundgesetz reicht schon!)
Nun hat der Bundeskanzler selbst eben - deshalb brauchen Sie sich doch auch gar nicht
aufzuregen - davon gesprochen, dass man über diesen und jenen Artikel des Grundgesetzes noch einmal nachdenken müsse. Ich
lade uns alle ein, dies ohne alle ideologischen Scheuklappen zu tun
(Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß [SPD]: Nachdenken ist immer gut!)
und dabei eines zu beachten: Bundeswehr, Polizei und Bundesgrenzschutz müssen finanziell
ausreichend ausgestattet sein.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Herr Bundeskanzler, es ist eine zweite Rechnung nicht aufgegangen. Sie haben gedacht, mit
Ihrer Konzeption der Haushaltskonsolidierung könnten Sie vor allen Dingen die Bereiche
herunterfahren, in denen sich die Schäden nicht so schnell zeigen würden. Sie haben sich
die Entwicklungshilfe vorgenommen. Sie haben sich die Bundeswehr vorgenommen. Sie haben
sich Teile der inneren Sicherheit vorgenommen.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Das ist ja falsch! - Joachim Poß [SPD]: Alles falsch!)
Es hat sich gezeigt, dass die 20 Milliarden DM, die Sie gegenüber unserer ursprünglichen
Finanzplanung bei der Bundeswehr einsparen, genau die 20 Milliarden DM sind, die fehlen,
um die Bundeswehr auf die Aufgaben vorzubereiten,
(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Nichts verstanden, Frau Kollegin! - Joachim Poß
[SPD]: Deutlich fehlende Kompetenz!)
die sie im Bereich der europäischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, im Bereich der
neuen internationalen Herausforderungen hat. Das werden wir auch immer wieder ansprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Diese neuen Bedrohungen haben einen weiteren Aspekt: Sie stellen uns vor die Aufgabe - die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dazu ein umfassendes Konzept vorgelegt -,
(Dr. Peter Struck [SPD]: Abgeschrieben!)
mit neuen Mitteln und Möglichkeiten auf bestimmte Dinge zu reagieren. - Herr Struck, wenn
Sie hier von "abgeschrieben" reden,
(Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, bei Otto Schily haben Sie abgeschrieben! - Michael Glos
[CDU/CSU]: Das ist wirklich schwach!)
dann muss ich Ihnen wirklich sagen: Sie sollten sich einmal die Freude machen, die Reden
Ihres Bundesinnenministers
(Gernot Erler [SPD]: Bei dem haben Sie doch abgeschrieben!)
und anschließend die Kommentierung durch die Bundesjustizministerin im öffentlichen
Radio
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Tja!)
sowie das Herumeiern über die Frage zu hören, ob man nun Fingerabdrücke in Pässen
braucht. Da haben wir eine ganz klare Haltung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich sage Ihnen: Sicherlich will niemand die Freiheit in unserem Land beschränken oder
aufheben.
(Jörg Tauss [SPD]: Ja, Sie schon!)
Aber lassen Sie uns bitte in voller Klarheit deutlich machen: Die Freiheit von Millionen
Menschen kann nur gesichert sein, wenn die wenigen, die aus dieser Freiheit negativ Profit
ziehen wollen, energisch und mit aller Konsequenz bekämpft werden. Deutschland ist dafür
bis jetzt weltweit nicht bekannt. Daran muss sich etwas ändern.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, wir werden in der Verzahnung der Aufgaben, aber vor allen Dingen
auch in der Koordination von Informationen voranschreiten müssen. Wir werden sehr
deutlich machen müssen, dass die vielen Informationen, die in einer offenen Gesellschaft
gesammelt werden, aber heute völlig unabhängig voneinander existieren, im
internationalen Kampf gegen den Terrorismus gebündelt werden müssen. Dies wird sich
nicht auf die Dienste beschränken, wo das natürlich heute schon vollzogen wird. Vielmehr
wird sich dies auf eine Vielzahl von Informationen ausdehnen, die in verschiedenen Bundes-
und Landesbehörden ermittelt werden. Ich bin dafür, dass diese
Informationszusammenführung institutionalisiert wird, und zwar an einer Stelle, an der
mit diesen Informationen kein Missbrauch betrieben werden kann.
Das sage ich im Hinblick auf den Bundesfinanzminister.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wo ist der eigentlich?)
Ich glaube schon, dass wir eine stärkere Kontrolle aller Geldbewegungen brauchen. Die
Geldbewegung ist eine wesentliche Indizienkette. Dadurch können wir die Beziehungen
zwischen den Terroristen erfassen. Aber ich persönlich bin dagegen, dass all diese Daten
direkt beim Bundesfinanzminister erhoben werden und ihm zugänglich sind. Denn dann kann
der Missbrauch immer wieder Triumphe feiern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Wasch mir den Pelz, mach mich
nicht nass! Das ist ein schönes Thema! Da sieht man, wie ernst Sie es meinen!)
- Ich muss ehrlich sagen: Das müsste doch auch Ihnen recht sein.
(Weitere Zurufe von der SPD - Glocke des Präsidenten)
Diese Aufregung verstehe ich wirklich nicht.
Auch die globale wirtschaftliche Ordnung wird auf dem Prüfstand stehen.
(Detlev von Larcher [SPD]: Das Bankgeheimnis ist heilig, das Menschenleben nicht! Das ist
der Punkt!)
Herr Bundeskanzler, Sie sprechen davon, dass die Bundesrepublik Deutschland im
internationalen Bereich einen wichtigen Beitrag leisten will und muss; das wollen auch
wir. Wenn das so ist, dann muss eine so große Nation wie wir auch ihren Beitrag zur
Stabilität der weltweiten Wirtschaftsordnung leisten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist sicherlich richtig, dass wir in einer globalen Welt leben, die zu gegenseitigen
Abhängigkeiten führt. Es ist mit Sicherheit richtig, dass wir heute nicht mehr das
Wirtschaftswachstum der einen völlig von dem der anderen separieren können. Aber dass
wir, die Bundesrepublik Deutschland, mit unseren Möglichkeiten und den Fähigkeiten der
Menschen in unserem Land innerhalb der Europäischen Union in diesem Zusammenhang den
letzten Platz belegen, hat nichts mit den Amerikanern zu tun, sondern mit unserer
nationalen Politik - und die, Herr Bundeskanzler, muss sich schlagartig ändern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Joachim Poß [SPD]: Das hat
etwas mit Ihrer Erbschaft zu tun! Mit nichts anderem!)
Ich spreche deshalb über die wirtschaftliche Lage, weil die globale Wirtschaftsordnung,
die Freiheit gewährleisten soll, und unsere soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik
Deutschland immer die eine Seite der Medaille waren. Auf der anderen Seite stand immer die
freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die Überzeugungskraft der freiheitlichen
Demokratien entwickelt sich auch aus ihrer Dynamik im Bereich des Wirtschaftswachstums und
des Lebensstandards der Menschen in diesen Gesellschaften. Wenn es uns in Deutschland
nicht gelingt, an dieser Stelle vorne zu liegen und die Maßnahmen einzuleiten, die
wirklich notwendig sind, und nicht solche, die kontraproduktiv sind, dann werden wir in
der Weltgemeinschaft nicht die Rolle einnehmen, die wir einnehmen könnten.
Herr Bundeskanzler, ich halte es nach dem 11. September 2001 für eine massive
Fehlentscheidung strategischer Art,
(Joachim Poß [SPD]: Bei Ihrer Bilanz wäre ich da sehr vorsichtig!)
dass Sie das erste Mehr an Sicherheit durch ein Mehr an Steuern erkauft haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Sie werden uns jetzt sagen, wo
Sie das Geld her holen! Sie werden uns jetzt Vorschläge machen, wo man einsparen kann!)
Die Vereinigten Staaten von Amerika haben in einer vergleichbaren Situation genau das
Gegenteil getan.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Joachim Poß [SPD]: Die hatten ja auch
Haushaltsüberschüsse! Sie haben uns 1,5 Billionen DM Schulden hinterlassen! Bei Ihrer
Bilanz wäre ich ganz ruhig!)
Die Bundesregierung hätte dem deutschen Parlament mühelos den Auftrag geben können, im
Rahmen der anstehenden Haushaltsberatungen Einsparungen von 3 Milliarden DM vorzunehmen.
(Joachim Poß [SPD]: Machen Sie Vorschläge! Bei der Entwicklungshilfe, bei der
Bundeswehr?)
Dies ist möglich und oft geschehen. Die Bereitschaft dazu wäre da gewesen. Der Weg der
Steuererhöhung ist falsch. Dabei bleiben wir!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Joachim Poß [SPD]: Machen Sie doch einmal
Vorschläge! - Gernot Erler [SPD]: Peinlich, peinlich!)
Die Bedrohungen haben sich verändert. Neue Bedrohungen erfordern neues Denken und
entschlossenes Handeln. Neue Bedrohungen erfordern vor allen Dingen auch entschiedenes und
in sich konsistentes Handeln. Herr Bundeskanzler, es hat in den vergangenen Wochen in
diesem Hause eine große Einigkeit über die strategischen, politischen Notwendigkeiten
einer gemeinsamen Politik nach außen gegeben. Wir alle haben die Erfahrung gemacht, dass
eine einzige Partei in diesem Hause zu dieser Gemeinsamkeit nicht bereit ist: Dies ist die
PDS. Herr Bundeskanzler, ich muss es deshalb noch einmal sagen:
(Gernot Erler [SPD]: Nein, lassen Sie es!)
Ich halte es für vollkommen inakzeptabel, dass Sie als Parteivorsitzender zulassen, dass
es im Augenblick in der deutschen Hauptstadt einen Regierenden Bürgermeister gibt, der
mit den Stimmen dieser Partei gewählt ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das passt nun
wirklich rein! Sehr angemessen! Das ist ja nun wirklich lächerlich!)
Sie können Ihr politisches Handeln nicht auf die Ebenen der Länder und des Bundes und
des Handelns nach außen aufteilen. Die Aufgabe für Deutschland im 21. Jahrhundert wird
sein, konsistent, besonnen und konsequent zu handeln, und dies ohne Kompromisse.
Deshalb sage ich Ihnen: Die Union ist dafür präpariert. Die Union ist bereit, diesen
Beitrag für die Bundesrepublik Deutschland zu leisten. Die Union ist bereit, dann mit
Ihnen zusammenzustehen, wenn Sie die Interessen der Bundesrepublik Deutschland nach außen
vertreten. Aber die Union ist auch bereit, ein unbequemer Gesprächspartner zu sein, wenn
es um die Interessenvertretung nach innen und um das Wohl der Menschen in diesem Lande
geht.
Herzlichen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Beifall bei Abgeordneten der FDP)
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