Rede des Sprechers des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die
Grünen Hans-Christian Ströbele zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und
Erhöhung der inneren Sicherheit
Vom 11. Oktober 2001
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Kauder, ich finde es
bemerkenswert, dass Sie sich um das Herzblut der Bündnisgrünen so große Sorgen machen;
aber ich kann Sie beruhigen: Für uns und auch für mich persönlich ist es
selbstverständlich, dass wir nach solchen Ereignissen wie den schrecklichen Anschlägen
in Washington und New York darüber nachdenken, was wir in Deutschland tun können, um
zusätzliche Sicherheit für die Bevölkerung zu schaffen. Das ist selbstverständlich;
darüber brauchen wir nicht zu reden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Kollege Kauder, wir haben uns in Berlin darauf verständigt, die Anschläge und
mögliche Konsequenzen nicht zum Wahlkampfthema zu machen. Sie haben es trotzdem versucht.
Ich will Ihnen kurz darauf antworten, weil Ihre Bemerkung sehr unanständig war. Das, was
vom Land Berlin im Bundesrat vorgeschlagen wurde, war genau das, was der Kollege Stünker
angesprochen hat. Es geht um das schwierige Problem - mit ihm schlagen sich auch die UNO,
der Sicherheitsrat und die Vollversammlung, seit Jahren und auch jetzt wieder herum -,
dafür zu sorgen, dass der § 129 b StGB in Deutschland - sofern er denn kommen sollte -
zum Beispiel nicht auf Vertreter von Befreiungsbewegungen, die in ihren Heimatländern
gegen Diktaturen und unmenschliche Regime kämpfen, angewandt wird.
Stellen Sie sich doch einmal vor, jemand von der Nordallianz käme nach Deutschland und
Sie würden ihn vor Gericht stellen, weil er einer terroristischen Vereinigung seines
Heimatlandes angehört. Stellen Sie sich vor, Menschen aus dem Nahen Osten kämen hierher
und wären in Gefahr, hier strafrechtlich verfolgt zu werden. Außerdem - Kollege Stünker
hat schon darauf hingewiesen -: Wenn sie in einem Stadtteil Berlins oder Stuttgarts eine
Solidaritätskundgebung für die Nordallianz, für den Befreiungskampf gegen die Taliban
machen, könnte eine solche Handlung als Werbung für eine terroristische Vereinigung
ausgelegt werden. Das wollen wir verhindern. Das bedeutet aber nicht, dass wir es nicht
für richtig halten, Menschen, die in den USA Anschläge verüben oder in anderen Ländern
Europas Anschläge vorbereiten, auch in Deutschland wegen des Organisationsdelikts zu
verfolgen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Ich darf im Übrigen darauf hinweisen, dass immer wieder unterschlagen wird, dass die
betroffenen Personen selbstverständlich weiterhin wegen Mordes, Totschlags oder anderer
schwerer Straftaten in Deutschland verfolgt werden können. Es geht allein um die
Verfolgung wegen des Organisationsdelikts. § 129, § 129 a und § 129 b betreffen
lediglich die Mitgliedschaft in einer terroristischen oder kriminellen Vereinigung.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kauder?
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, wenn sie kein Beitrag zum
Wahlkampf in Berlin ist.
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Wollen Sie das?)
Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, habe ich Sie richtig verstanden,
dass Sie mit Ihrer jetzigen Aussage der Bundesregierung unterstellt haben, sie habe keinen
sauberen und präzisen Gesetzentwurf vorgelegt?
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe in meiner Auskunft
Ihnen gegenüber - auch mehrfach gegenüber der Öffentlichkeit - zum Ausdruck gebracht,
dass ich eine Klarstellung in dieser Hinsicht für richtig und erforderlich halte, die
nach meiner Auffassung auch im Gesetz stehen sollte, um auf diese Weise jedes
Missverständnis zu beseitigen. Wir würden uns überall in der Welt - nicht nur im
Hinblick auf Afghanistan oder die USA - gerade auch vor dem Hintergrund der Diskussion,
die in der UNO über das Thema Terrorismus stattfindet, abmelden, wenn wir dieses Problem
nicht sähen und angingen.
In vielen Bereichen in der Öffentlichkeit findet im Augenblick geradezu ein Wettlauf
statt; in vielen Medien lassen sich jeden Tag neue Überlegungen finden, was man noch tun
könnte oder sollte - Erlass neuer Gesetze durch den Deutschen Bundestag oder
Zurverfügungstellen von Finanzmitteln -, um die Sicherheit zu verstärken. Dabei betonen
alle immer wieder, dass keine absolute Sicherheit garantiert werden kann; dieser Aussage
kann ich mich nur anschließen.
In einer Situation wie dieser ist es wichtig und richtig, dass es eine Partei und eine
Fraktion sowie Abgeordnete - nicht nur beim Bündnis 90/Die Grünen; ich nenne auch die
Kollegen Meyer und Stünker - gibt, die genau hin sehen und sagen: Wir wollen nur Gesetze,
von denen wir uns tatsächliche Erfolge bei der konkreten Terrorismusbekämpfung
versprechen; wir wollen alle rechtsstaatlichen Regelungen behalten und vermeiden, dass mit
neuen Gesetzen zu viel Freiheit über Bord geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Norbert Geis
[CDU/CSU]: Das wollen alle! Dazu brauchen wir die Grünen nicht!)
Ich halte das für notwendig und richtig und dafür stehen wir Bündnisgrünen als Partei,
nachdem sich andere Parteien, wie etwa die FDP - von ihr habe ich zumindest keine Bedenken
gehört -, die ein solches Ziel früher auf ihre Fahnen geschrieben hatten, verabschiedet
haben.
Herr Kollege Geis, Sie können doch nicht sagen, die potenziellen Täter, die in Hamburg
gewohnt haben sollen, wären infolge der Kronzeugenregelung nicht behelligt worden
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich doch gar nicht gesagt!)
und trotzdem bräuchten wir für den Kampf gegen diese Art von Terrorismus die
Kronzeugenregelung.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Natürlich! Wollen Sie keine Kronzeugenregelung haben?)
Auf irgendeine Weise müssen die Dinge doch zusammenpassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich möchte darauf hinweisen, dass bei der Kronzeugenregelung einiges durcheinander
gebracht wird. Tägliche Praxis in allen Gerichten ist, dass Nachtatverhalten, wie zum
Beispiel ein Beitrag zur Aufklärung einer Straftat oder Verhinderung weiterer Straftaten,
strafmildernd berücksichtigt wird. So et was geschieht in unendlich vielen Strafverfahren
jeden Tag. Das Besondere an der ursprünglichen Kronzeugenregelung war doch unter anderem,
dass auch Mördern dieses Privileg zustehen sollte und sie nicht nach § 211 StGB zu einer
lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt werden mussten. Es kann
Situationen geben, in denen eine solche Strafmilderung erforderlich ist; aber diese
müssen sehr eng eingegrenzt werden, damit mit einer solchen Regelung kein Missbrauch
getrieben wird.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Damit treibt doch keiner Missbrauch!)
Ein solcher Missbrauch wäre unerträglich für das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung.
Wenn Sie sich die Anschläge von New York vor Augen führen, können Sie doch nicht allen
Ernstes fordern, dass ein Verdächtiger, der verurteilt wird, weil das Gericht von einer
Tatbeteiligung überzeugt ist, nicht bestraft wird, nur weil er zur Aufklärung der
Straftat beigetragen hat, obwohl er selbst an ihr beteiligt war.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wollen Sie die Kronzeugenregelung oder nicht?)
Hier müssen gesetzliche Grenzen mit Augenmaß eingebaut werden. Wir wollen, dass im
Gesetz klargestellt wird - unter anderem wäre das in § 46 des Strafgesetzbuches möglich
-, dass das Nachtatverhalten bei allen Delikten berücksichtigt werden kann, also auch bei
Mord,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben wir schon! Das sagt doch jeder!)
das heißt, wenn eigentlich eine lebenslängliche Freiheitsstrafe verhängt werden
müsste.
Wenn Sie sich das heute vorgelegte Gesetzespaket genau anschauen, dann werden Sie
feststellen, dass es auch einen Gesetzentwurf des Bundes ratesenthält, in dem dieser
vorschlägt, die Möglichkeit der Strafmilderung in mindestens 20 weiteren Vorschriften
einzuführen.
(Joachim Stünker [SPD]: 27!)
Den Gedanken der Strafmilderung kann man aufgreifen; man kann ihn weiterverfolgen und sich
schließlich der Lösung annähern, die wir vorgeschlagen haben. Diese halten wir für
richtig und für eine Regelung mit Augenmaß. Die alte Kronzeugenregelung, die Ihnen immer
vorschwebt, lehnen wir ab.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Norbert Geis
[CDU/CSU]: Das haben wir gar nicht vorgeschlagen!)
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