Rede des innenpolitischen Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen Cem Özdemir zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der
inneren Sicherheit
Vom 11. Oktober 2001
Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Gespräche in Sachen "zweites
Sicherheitspaket" sind in vollem Gange. Für uns ist die Bekämpfung des Terrorismus
in drei Richtun gen von entscheidender Wichtigkeit:
Erstens. Wir müssen - klassisch repressiv - die Täter und ihre Helfer festnehmen, sie
vor Gericht bringen
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Und sie laufen lassen!)
und sie der Strafe zuführen, die sie verdient haben.
Herr Geis, ich glaube, Sie waren es, der "laufen lassen" rief.
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Nein, das war ich! Tut mir ja Leid!)
- Gut. Ich entschuldige mich bei Herrn Geis und wende die Kritik an den Freiherrn von
Stetten.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie hätten auch mich gerne kritisiert!)
Alles Unterirdische kann noch unterboten werden. Freiherr von Stetten, großes Kompliment
für das Unter irdische.
Zweitens. Wir müssen polizeilich-präventiv alles tun, um Anschläge bei uns zu
verhindern und die Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.
Drittens. Wir müssen die Ursachen bekämpfen und den Nährboden des Terrorismus bei uns
wie in den Herkunftsländern trockenlegen. Gestatten Sie an dieser Stelle mir als
Innenpolitiker einen Hinweis, der sich vielleicht etwas fachfremd anhört. Ich glaube
aber, dass ich für alle Innenpolitiker sagen kann, dass dazu auch gehört - nicht weil
darin die unmittelbare Ursache besteht, sondern weil dies als Nährboden dienen kann; der
Kanzler hat in seiner Rede darauf hingewiesen -, mehr für die Entwicklungspolitik und
für die Beseitigung der Ursachen in den Entwicklungsländern zu tun, weil das unsere
Arbeit in der Innenpolitik dramatisch erleichtern würde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass der Kollege Geis darauf hingewiesen hat - uns
verbindet in der Auseinandersetzung in der Innenpolitik nicht immer so viel; aber in
diesem Punkt sind wir uns einig -, dass wir dazu beitragen müssen, dass die Integration
des Islam in unsere Gesellschaft weitergeht und dass wir ein Feindbild "Islam",
aber andersherum auch ein Feindbild "Christentum" verhindern.
Wir sind uns einig darin, dass wir entschlossen vorgehen. Auf die Frage der Finanzströme
ist bereits hingewiesen worden. Auch das ist ein wichtiger Teil der Bekämpfung der
Kriminalität.
Allerdings wundere ich mich schon darüber, dass der Kollege Bosbach - er ist jetzt leider
nicht mehr da; deshalb möchte ich Sie bitten, ihm das bei Gelegenheit auszurichten; ich
kann es ihm aber auch gerne noch einmal persönlich sagen - hier so locker über die
Bedenken hinweggegangen ist, die nicht von uns, nicht von den Grünen, sondern von einem
der Hersteller von Fingerabdrücken in Personalausweisen kommen. Ich darf aus der
"Newsweek" zitieren, die in diesem Zusammenhang eher unverdächtig ist. Dort
sagt ein Hersteller, dass genetische Dispositionen heute bereits aus Fingerabdrücken
technisch herzuleiten sind. Ich will nicht dramatisieren, aber ich glaube schon, dass es
zu den Aufgaben von Parlamentariern gehört, auf solche Gefahren hinzuweisen und dies in
diesem Zusammenhang zu diskutieren. Auf die Kritik und die Anregungen des
Datenschutzbeauftragten, der der Fraktion der FDP angehört,
(Dr. Max Stadler [FDP]: Nur der Partei, nicht der Fraktion!)
möchte ich hier nicht weiter eingehen. Sie kennen sie: Er warnt vor
der Referenzdatei.
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wenn dadurch ein Verbrecher gefasst wird,
ist es doch gut!)
Auch das sollte man in diesem Zusammenhang ernst nehmen.
Weil von Ihnen, Herr Geis, gerade die rot-grüne Landesregierung in Berlin diskutiert
wurde, möchte ich Folgendes sagen: Es ist der Innensenator des Landes Berlin, der auf die
Bedeutung der Flugsicherheit hingewiesen hat und als eine seiner ersten Maßnahmen
angeordnet hat, dass beispielsweise von Tegel auch Privatflieger künftig nicht mehr ohne
Kontrolle starten können. Dreimal dürfen Sie raten, wie der Innenminister des Landes
Brandenburg heißt und welcher Fraktion er angehört, der dies nicht für notwendig
erachtet, was die Flughäfen in Brandenburg angeht. Vielleicht, meine Damen und Herren von
der Union, reden Sie noch einmal mit dem Innenminister von Brandenburg und sagen ihm, dass
die Stellungnahme, dass besondere Sicherheitsvorkehrungen auf Privatflughäfen
Brandenburgs nicht notwendig seien, nach dem 11. September angesichts der Tatsache, dass
die Bürgerinnen und Bürger auch in Fragen der Flugsicherheit Angst haben, vielleicht
etwas unangemessen ist und dass wir das ernst nehmen sollten.
Meine Damen und Herren, ich möchte - um das Gesagte nicht zu wiederholen - zum Schluss
auf einen Aspekt eingehen, der in der Debatte zur inneren Sicherheit bislang nur eine
untergeordnete Rolle gespielt hat, der aber, wenn man die Ängste der Bevölkerung ernst
nehmen möchte, eine zunehmend wichtige Rolle spielen sollte. Dabei geht es nicht um
Panikmache; alle haben darauf hingewiesen, dass wir da vorsichtig sein müssen. Vielmehr
geht es darum, dass wir konkrete Sicherheitsrisiken auch konkret bekämpfen müssen. Ich
rede von der Frage der Sicherheit der Atomkraftwerke in der Bundesrepublik Deutschland.
Dass der Innenminister, gleich nachdem uns die Nachrichten von den schrecklichen
Ereignissen in den USA erreicht hatten, Gespräche mit den Betreibern geführt hat, war
notwendig und ein wichtiger Schritt. Aber ich glaube, dass wir jetzt einen Schritt weiter
gehen müssen. Nicht nur die Bürgerinnen und Bürger an den Standorten von
Atomkraftwerken haben Angst, wie es aus sieht, wenn das eintritt, was niemand von uns
bisher für möglich gehalten hat: dass Passagiermaschinen als Waffen eingesetzt werden.
Was heißt das für die Standorte von Atomkraftwerken? Was heißt es im konkreten
Bedrohungsfall? Es muss gesichert werden, dass Atomkraftwerke sofort heruntergefahren
werden können. Vielleicht braucht man sogar eine Art rotes Telefon im Zusammenhang mit
den Atomkraftwerken. Wir müssen schauen, ob die bestehenden rechtlichen Grundlagen dafür
ausreichen. Lange Diskussionen mit den Betreibern kann es in einer solchen Situation nicht
geben.
Lassen Sie mich zum Schluss - ich möchte meine Redezeit nicht über ziehen - einen
Liberalen zitieren, den wir alle in diesem Haus sehr schätzen, den ersten
Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, der meiner Meinung nach etwas sehr
zutreffend formuliert hat, was ich uns allen ins Stammbuch schreiben möchte: Die äußere
Freiheit der vielen beruht auf der inneren Freiheit des Einzelnen. - Dies sollte die
Leitlinie unseres Handelns sein, wenn es um die Frage der Sicherung der inneren Freiheit
der Bundesrepublik Deutschland geht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
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