Rede des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit

Vom 11. Oktober 2001


Dieter Wiefelspütz (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach einer weitgehend sachlich geführten Debatte gibt es nun doch noch Aufwallungen. Herr Marschewski, ich schätze Sie durchaus als kernigen, kantigen Kollegen im Innenausschuss. Ich meine das so, wie ich es sage. Lesen Sie aber bitte später einmal nach, was Sie gesagt haben. Sie haben zumindest den Eindruck erweckt, als seien Sie es, der einem Menschen Grundrechte aberkennen könnte. Das ist nicht der Fall. Das dürfen Sie nicht. Hinsichtlich der Frage, ob Grundrechte verwirkt werden, gilt Art. 18 Grundgesetz. Es steht ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht zu - nicht Ihnen und auch nicht mir -, Menschen Grundrechte abzuerkennen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Herr Wiefelspütz, das weiß doch hier jeder!)

Das hätten Sie etwas anders formulieren können und auch müssen. Ich bitte Sie in aller Besonnenheit, da noch einmal nachzuschauen.

Die Bundesrepublik Deutschland war vor dem 11. September ein sehr freies und auch ein sehr sicheres Land. Es macht überhaupt keinen Sinn, wenn wir uns heute im Nachhinein vor dem Hintergrund des 11. Septembers wechselseitig vermeintliche Nachlässigkeiten vorhalten, die wir vor dem 11. September begangen hätten.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das muss man schon sagen! Wir haben oft genug auf Granit gebissen!)

Wen interessiert denn das eigentlich? Die Bürgerinnen und Bürger, lieber Herr Geis, haben einen Anspruch darauf, dass der Staat innere Sicherheit verbürgt.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Die Opposition muss dafür sorgen, dass es auch geschieht!)

Wofür haben wir denn den Staat? Wir haben den Staat vor allem dafür, dass den Bürgern Sicherheit vermittelt wird; denn Sicherheit ist eine unerlässliche Voraussetzung für Freiheit.

(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])

- Da sind wir alle einer Meinung, Herr Kauder; das wollen Sie doch nicht bestreiten?

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hätten Sie schon vorher machen müssen!)

- Lieber Herr Kauder, auch vor dem 11. September war die Bundesrepublik Deutschland eines der freiesten und eines der sichersten Länder der Welt. Wollen Sie das ernstlich bestreiten? Das können Sie doch nicht ernstlich bestreiten.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wir hatten auch da unsere Probleme! Schauen Sie sich doch die Kriminalität an!)

Daran wird sich auch nach dem 11. September nichts ändern. Ich füge allerdings hinzu: Weil niemand von uns, weder hier in Deutschland noch andernorts - bis auf einige schlimme Verbrecher -, sich den 11. September hätte vorstellen können, werden wir auf die neuen Fragen, die sich stellen, auch neue Antworten finden müssen. Das tun wir entschlossen, zielorientiert, kraftvoll, aber auch besonnen. Wir wollen - da haben wir keine Einigkeit - keine Militarisierung der inneren Sicherheit. Wir brauchen keine neuen Vorschriften für die Bundeswehr, die vor allen Dingen für die äußere Sicherheit zuständig ist. In Bezug auf ihren Einsatz im Innern haben wir völlig ausreichende Vorschriften.

(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])

Polizei kann Militär nicht ersetzen; Militär kann Polizei nicht ersetzen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das will auch keiner!)

Das wissen wir alle doch auch. Das sind Geisterdiskussionen, die da geführt werden. Wir brauchen keine neuen Behörden,

(Beifall des Abg. Ludwig Stiegler [SPD])

sondern da und dort bei bestehenden Behörden mehr Effektivität und auch mehr Geld und Personal, damit sie ihre Arbeit in den Bereichen, in denen sie über lastet sind, besser machen können.

(Beifall bei der SPD - Norbert Geis [CDU/CSU]: Und wir brauchen neue Gesetze!)

Wir brauchen auch keine Nationalgarde - ein Vorschlag, der übrigens auch aus unseren Reihen kam -, weil das, was die Amerikaner - durchaus erfolgreich - machen, nicht mit dem vergleichbar ist, was wir hier in Deutschland machen. Wir haben ein anderes Verfassungsgefüge.

Wir müssen klar und zielorientiert das tun, was nötig ist. Wir werden keine totale Sicherheit herstellen können. Das ist aber auch nicht gefragt. Das Menschenmögliche muss gemacht werden. Das, was notwendig ist - seien wir doch auch da ganz freimütig -, lieber Herr Marschewski, werden wir hier in diesem Hause mit breiter Mehrheit tun. Das Sicherheitspaket 1 hat Ihre Zustimmung, die der FDP und vielleicht auch die der PDS gefunden. Das Sicherheitspaket 2, das in Vorbereitung ist, wird ebenfalls mit breitester Mehrheit beschlossen werden. Ich kann nicht ausschließen, dass noch ein drittes oder viertes Paket folgen wird.

Ich bin der Auffassung, dass die Sicherheitsphilosophie in Deutschland durch den 11. September nachhaltig beeinflusst werden wird. Wir werden das Rad nicht neu erfinden müssen. Dennoch muss man feststellen, dass sich die Lage verändert hat.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist wahr!)

Wir werden noch viele Monate die Maßnahmen abarbeiten müssen, die sich aus den Herausforderungen ergeben. Wir tun dies aber als freiheitlicher Rechtsstaat, weil wir dieses kostbare Gut Freiheit nicht gefährden wollen. Wir werden Antworten finden, die auf den Mitteln eines sich entschlossen verteidigenden Rechtstaates beruhen. Dazu gibt es keine Alternative. Das ist die Gemeinsamkeit, die uns alle eint.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sollten nicht versuchen, Schlachten der Vergangenheit zu schlagen,

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Haben wir nicht gemacht!)

die uns wirklich nicht weiterbringen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Wenn Sie in unserer Lage wären: Was würden Sie alles veranstalten!)

Lieber Herr Marschewski und lieber Herr Geis, ob Sie es glauben oder nicht: Sie werden diesem Kurs der Bundesregierung folgen.

Ein Schlusssatz. Wer glaubt, er könne bei Rot-Grün auf Streit über die innere Sicherheit spekulieren, den werden wir enttäuschen; denn Rot-Grün wird gemeinsam handeln.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Erwin Marschewski [Recklinghausen] [CDU/CSU]: Das glauben Sie wohl selbst nicht!)

Innere Sicherheit ist ein Markenartikel von Rot-Grün.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU)

Es ist auch ein Markenartikel des Ministers, den wir gemeinsam unterstützen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie in die falsche Kiste gegriffen! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Ströbele ist ein Markenartikel der inneren Sicherheit! Herr Beck ist ein Markenartikel der inneren Sicherheit!)

Herr Marschewski, wir haben den Personalabbau beim Bundesamt für Verfassungsschutz gestoppt.


Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege, Sie waren doch schon in der Schlussphase Ihrer Rede.


Dieter Wiefelspütz (SPD): Jawohl. - Herr Ströbele und der innenpolitische Sprecher einer anderen Regierungspartei, den Sie, Herr Marschewski, gerade angesprochen haben, haben das G-10-Gesetz vor dem 11. September verantwortlich entworfen. Im Übrigen haben auch Sie diesem Gesetz zugestimmt. Dies ist ein Gesetz, das wir gerade vor dem Hintergrund weltweiter terroristischer Herausforderungen dringend benötigen. Sie werden sich wundern, was uns in Sachen innere Sicherheit noch alles einfällt, Herr Marschewski.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 192. Sitzung vom 11. Oktober 2001, Stenographischer Bericht (Plenarprotokoll 14/192).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion Dieter Wiefelspütz zu Gesetzentwürfen zur Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit (11.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_wiefelspuetz_1011.html, Stand: aktuelles Datum.


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