Rede des Abgeordneten Dr. Jürgen Meyer zu Gesetzentwürfen zur
Bekämpfung des Terrorismus und Erhöhung der inneren Sicherheit
Vom 11. Oktober 2001
Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rechtsstaat lebt von
Reformen. Daran sollten wir denken, wenn wir neuen oder größer werdenden Gefährdungen
der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger durch neue Gesetze zu begegnen versuchen.
Wir sollten aber auch daran denken, dass die Reformen den Rechtsstaat am Leben erhalten
sollen und nicht ruinieren dürfen. Denn das wäre der größte Triumph der Terroristen,
mit dem wir uns auseinander zu setzen haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb bin ich froh, dass wir uns verständigt haben, keinen der vielen Vorschläge für
neue Gesetze übereilt umzusetzen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Faule Ausreden!)
Wir werden diese Vorschläge zum Gegenstand einer kritischen Überprüfung und einer
öffentlichen Sachverständigenanhörung am 7. November dieses Jahres machen. Bis dahin
gilt es, die bereits geltenden Gesetze konsequent anzuwenden. Wie notwendig eine kritische
Prüfung ist, will ich mit zwei Beispielen belegen.
Mein erstes Beispiel: Unter den hier Anwesenden bin ich wohl einer, der sich länger als
andere, nämlich seit mehr als 25 Jahren, mit rechtsvergleichenden und kriminologischen
Argumenten gegen die missbräuchliche Verwendung von Kronzeugen im Strafverfahren
engagiert. Dabei stört mich weniger die gedankenlose Übersetzung des englischen Begriffs
"crown witness", obwohl wir die Monarchie vor immerhin 83 Jahren abgeschafft
haben.
(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber Herr Meyer, so kleinkariert kann man
doch nicht sein.)
Mehr stört mich schon die Verwendung des Begriffs als einer Art Ehrenbezeichnung, einer
Nobilitierung für Verbrecher, welche die gewiss dringend benötigten Informationen über
ihre Komplizen vor allem um ihres Vorteils willen liefern. Die italienische Bezeichnung
"pentiti", die so etwas wie Reue unterstellt, ist da schon erträglicher, wenn
auch sehr euphemistisch. Am schlimmsten aber ist der Kuhhandel um Gerechtigkeit mit
Straftätern, die nicht selten zur Erlangung von Vergünstigungen das Blaue vom Himmel
herunterlügen.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb haben wir die alte Kronzeugenregelung auslaufen lassen.
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Dann hätten Sie eine neue machen können! - Gegenruf des Abg.
Alfred Hartenbach [SPD]: Machen wir ja! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Ja, nach zwei Jahren!
Nach dem 11. September!)
So wird sie auch nicht wiederkehren.
Ich vertraue darauf, dass wir uns auf eine neue Regelung verständigen werden, die den
bereits geltenden § 46 des Strafgesetzbuches für Verhalten nach der Tat konkretisiert
und keine Straffreistellung für Verbrecher oder eine absurd niedrige Strafe, etwa für
Mord, vorsieht,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Da müssen Sie natürlich Anreize schaffen! Dafür brauchen Sie
die Kronzeugenregelung nicht!)
sondern sich charakterisieren lässt als Strafzumessungsregel für Aufklärungshelfer. Das
dient dem Interesse potenzieller Verbrechensopfer und ist in Fällen des so genannten
Ermittlungsnotstandes ausnahmsweise sehr wohl zu rechtfertigen.
(Beifall bei der SPD)
Mein zweites Beispiel ist der Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion, die Gewinnabschöpfung durch
erweiterten Verfall auch für solche Fälle vorzusehen, in denen Gewinne nur mittelbar aus
rechtswidrigen Taten stammen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, übersehen dabei wohl,
dass in dem von Ihnen genannten Fall der Einnahmen eines Restaurants, das mit
Drogengeldern finanziert wird,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Zum Beispiel!)
längst mit dem vor über fünf Jahren auf meine Initiative weiterentwickelten § 443 StPO
geholfen werden kann;
(Beifall bei der SPD - Norbert Geis [CDU/CSU]: Der wird aber nicht angewendet! Wir müssen
da eine bessere Formulierung haben!)
übrigens auch mithilfe der vom Bundesgerichtshof verfassungskonform interpretierten
Vermögensstrafe mit vorausgehender Beschlagnahme. Ihr Vorschlag gehört also - gestatten
Sie diese Charakterisierung - in das Kapitel Aktivismus.
(Beifall bei der SPD - Norbert Geis [CDU/ CSU]: Nein, nein! Die Vermögensstrafe ist
wieder etwas anderes!)
Schlimmer allerdings ist, das Sie bisher den ins Zentrum der organisierten Kriminalität
zielenden Vorschlag,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Machen wir gar nicht!)
die gewerbsmäßige oder durch Banden begangene Steuerhinterziehung zur Vortat des
Geldwäschetatbestandes zu machen, ablehnen.
(Alfred Hartenbach [SPD]: Hört, hört!)
Ich zitiere zwei Sätze aus dem Minderheitenvotum der CDU/CSU im Zwischenbericht der
Enquete-Kommission "Globalisierung der Weltwirtschaft":
Eine Einbeziehung der schweren Steuerhinterziehung in den Vortatenkatalog der
Geldwäschestrafnorm wäre wegen der damit verbundenen automatischen Erweiterung der
Anzeigepflicht des Geldwäschegesetzes nicht nur für die Adressaten dieses Normgefüges
höchst bedenklich. Selbst die ganz überwiegende Anzahl redlich handelnder Bürger
müsste befürchten, nicht nur bewacht, sondern rein zufällig den
Strafverfolgungsbehörden gemeldet zu werden.
(Joachim Stünker [SPD]: Sieh mal an!)
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, übersehen bei Ihren
Einwänden, dass redlich handelnde Bürger nur höchst selten in den Verdacht schwerer
Steuerhinterziehung geraten
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und dass es geradezu unerträglich ist,
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Kommt darauf an, wer regiert! - Gegenruf des Abg. Alfred
Hartenbach [SPD]: Ein ehemaliger Innenminister! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Kanther hat
keine Steuern hinterzogen!)
die Anlage und den Transfer von Schwarzgeld im großen Stil durch Kreditinstitute
schönzumalen. Das ist Geldwäsche. Ohne die Mitwirkung von Kreditinstituten sind
organisierte Kriminelle und auch Terroristen nicht lebensfähig.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns also gemeinsam das Übel bei der Wurzel
packen und mit Augenmaß für den Rechtsstaat arbeiten, getreu dem Motto von Willy Brandt
aus dem Jahre 1969: Wer morgen sicher leben will, muss heute für Reformen kämpfen.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU -
Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Sehr gut der Schlusssatz!)
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