Rede des Vorsitzenden der SPD-Fraktion Dr. Peter Struck zur Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan

Vom 11. Oktober 2001


(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Jetzt wird geholzt!)

Dr. Peter Struck (SPD) (von der SPD mit Beifall begrüßt):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, für die großartige und große Rede danken, die Sie hier gerade gehalten haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Bewertung gilt nicht für die Rede meiner Vorrednerin. Das war eine kleinkarierte, innenpolitische Rede, Frau Merkel, die der Vorsitzenden einer großen Partei völlig unwürdig und unangemessen ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als wir am 12. September, einen Tag nach den brutalen Angriffen auf New York und Washington, hier zusammengekommen sind, waren wir uns einig, dass uns die schrecklichen Bilder nie mehr loslassen werden. Heute, nur einen Monat später, habe ich den Eindruck, dass es schon notwendig geworden ist, manchen an diese Bilder zu erinnern, daran zu erinnern, dass die brutalen Massenmorde in den USA die Ursache für jene Bilder sind, die uns seit Sonntag aus Afghanistan erreichen, und daran zu erinnern, dass die amerikanisch-britischen Luftangriffe auf die militärische Infrastruktur der Taliban ein unerlässlicher Bestandteil des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie sind ein Akt der Selbstverteidigung.

Die amerikanische Regierung geht dabei besonnen vor. Sie ist daran interessiert, die breite internationale Koalition gegen den internationalen Terrorismus fortzuführen.

Wer bisher an der Urheberschaft von Osama Bin Laden und seiner Terrororganisation al-Qaida an den Anschlägen gezweifelt hat, ist in den zurückliegenden Tagen eines Besseren belehrt worden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Da hat er Recht!)

Das Videoband mit einem Kampfaufruf Bin Ladens gegen die USA und die Ankündigung weiterer Terrorakte - Attacken durch Flugzeugangriffe - durch einen Sprecher von al-Qaida sind das Eingeständnis der grausamen Anschläge und sie belegen auch die enge Verflechtung und wechselseitige Abhängigkeit zwischen Bin Laden und den Taliban.

Zweifellos hat die NATO in den letzten Wochen richtig gehandelt, als sie nach Unterrichtung durch die amerikanische Regierung den Bündnisfall festgestellt hat; denn die kollektive Verteidigung der USA gegen kriegerische Terrorangriffe ist für die Verbündeten nicht nur eine Frage der Solidarität. Sie ist zugleich für jedes NATO-Mitglied, also auch für unser Land, ein Akt der Selbstverteidigung; denn angegriffen wurde die tolerante, freiheitliche Lebensform aller westlichen Demokratien.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP])

Im Visier der islamischen Terroristen sind Deutschland und auch andere EU-Staaten. Deswegen unterstützt die SPD-Fraktion ohne Wenn und Aber die Bereitschaft der Bundesregierung, den USA AWACS-Flugzeuge zur Überwachung des amerikanischen Luftraums zur Verfügung zu stellen. Die Mehrheit in diesem Haus ist mit uns der Meinung, dass diese Maßnahme nicht vom Parlamentsvorbehalt betroffen ist. Deshalb bedarf es für die Entsendung auch allein der Entscheidung der Bundesregierung.

Seit dem 11. September 2001 ist das ganze Ausmaß des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus immer deutlicher geworden. Es ist eine äußerst komplexe und komplizierte Strategie notwendig, die sich auf politische, wirtschaftliche, finanzielle, entwicklungspolitische, kulturelle und militärische Elemente stützen muss.

Bezüglich der finanziellen Elemente möchte ich von Ihnen, Frau Kollegin Merkel, dann aber schon einmal Klarheit haben, ob Ihnen das Bankgeheimnis tatsächlich noch wichtiger ist als das Leben von Menschen, die von terroristischen Anschlägen bedroht sind.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS - Widerspruch bei der CDU/CSU)

Es ist schon peinlich, wenn Sie die Maßnahme der Bundesregierung, eine Stelle im Finanzministerium einzurichten, an der Person des Bundesfinanzministers scheitern lassen wollen. Das ist ja absolut lächerlich, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie sollten nicht vergessen, meine Damen und Herren, dass die Taliban Afghanistan okkupiert haben. Sie sind nicht die legitime und völkerrechtlich an erkannte Regierung. Zur Durchsetzung ihrer Macht haben sie grausamste Menschenrechtsverletzungen begangen und die Frauen in dem Land regelrecht versklavt. Sie haben Afghanistan zu einer Brutstätte des Terrorismus und der organisierten Kriminalität gemacht. Sie destabilisieren mit ihren fundamentalisti schen Glaubenskriegern die gesamte Region. Unter der Herrschaft der Taliban wird das afghanische Volk unterdrückt, und es leidet Hunger und große soziale Not. Es ist deshalb sehr wichtig, bei allen Aktionen zwischen den Taliban und dem afghanischen Volk streng zu unterscheiden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Die Taliban und nicht das afghanische Volk machen mit den Terroristen gemeinsame Sache.

Wir begrüßen daher sehr die amerikanische Initiative, die militärischen Angriffe mit Hilfen für die darbende Bevölkerung zu flankieren. Das ist Bestandteil einer umfassenden Initiative der westlichen Staaten und der Afghanistan Support Group, dem afghanischen Volk mit humanitärer Hilfe beizustehen.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Repnik?

Dr. Peter Struck (SPD): Nein, im Augenblick nicht. Ich bitte um Entschuldigung.

Allein die europäischen Staaten und die Europäische Union haben 314 Millionen Euro für diesen Zweck zur Verfügung gestellt. Ich danke der Bundesregierung, dass sie darüber hinaus weitere 51 Millionen DM für humanitäre Hilfe in der Region bereitgestellt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen auch die Zukunft Afghanistans im Auge haben. Es ist völlig klar, dass ein wirtschaftlicher und politischer Aufbau unter einer legitimen Regierung mit breiter internationaler Unterstützung nur möglich ist, wenn die Taliban nicht mehr an der Macht sind. Bei der Schaffung neuer politischer Strukturen in diesem Land soll den Vereinten Nationen eine entscheidende und besondere Rolle zukommen.

Diese neuen politischen Strukturen können sich nur entwickeln, wenn sie die Akzeptanz der afghanischen Stammesgesellschaft finden. Aus ihr heraus muss eine legitime Übergangsregierung gebildet werden, die den schwierigen und mühevollen Wiederaufbau Afghanistans beginnen kann.

Ich stimme Bundeskanzler Gerhard Schröder und Innenminister Otto Schily ausdrücklich darin zu, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht allein mit Militär, Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu gewinnen ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen eine geistig-politische Auseinandersetzung mit einem Denken, das alle freiheitlich-demokratischen Werte infragestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir dürfen die Lüge nicht zulassen, hier werde ein Kampf für die Unterdrückten der Welt geführt. Bin Laden ist nicht Robin Hood.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Er und seine Helfershelfer in aller Welt betreiben organisierte Kriminalität in bis her nicht vorstellbarer Brutalität.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Sie kämpfen nicht für unterprivilegierte Muslime, sondern sie benutzen sie, um ihre weltzerstörerische Aktivität zu rechtfertigen. Sie wollen die Werte zerstören, die die Welt menschlich gemacht haben. Wer bei uns die Religionsfreiheit ausnutzt und in Moscheen auch hier in Deutschland predigt, um in Wahrheit unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung anzugreifen, hat keinen Anspruch darauf, dass ihn diese freiheitliche Grundordnung gewähren lässt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ebenso falsch ist es - wie geschehen -, Bin Laden bei öffentlichen Diskussionen als Freiheitskämpfer zu verherrlichen.

Deutschland muss und wird ein weltoffenes Land bleiben. Wir haben es nicht hingenommen, dass Rechtsradikale diese Weltoffenheit untergraben. Und wir werden es nicht hinnehmen, dass uns terroristische Feinde des freiheitlich-demokratischen Westens dieser Weltoffenheit berauben wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir wollen, dass die drei Millionen Muslime in Deutschland eine sichere Heimat haben. Aber wir wollen auch, dass alle, deutsche wie ausländische Mitbürger, wissen: Diese Sicherheit gibt es nur auf der Grundlage unserer Gesetze und unserer Verfassung. Daran lassen wir nicht rütteln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Bundesinnenminister ist dabei, die nötigen Maßnahmen einzuleiten, um die Sicherheitsrisiken zu minimieren. Im Anschluss an diese Debatte wer den wir über das erste Antiterrorpaket beraten, das zweite wird noch Ende dieses Monats im Kabinett und anschließend in den Koalitionsfraktionen behandelt.

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Arbeit von Otto Schily ist so groß, dass es der Opposition keinen realen Raum lässt, um sich zu profilieren. Deshalb wirken Ihre Versuche, Frau Merkel, daran etwas herumzureden, eher hilflos. Sie tun mir in diesem Zusammenhang Leid.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Lachen bei der CDU/CSU)

Der Innenminister kündigt nicht an, sondern er handelt. Er handelt so, dass den Sicherheitsinteressen Rechnung getragen wird, ohne die freiheitliche Ordnung über Gebühr zu strapazieren. Die innere Sicherheit in Deutschland hat in Otto Schily einen guten Anwalt.

(Beifall bei der SPD)

Nun haben Sie, Frau Kollegin Merkel, Ihre eigenen Sicherheitsvorstellungen offenbar in dieser Woche in Ihrer Fraktion diskutiert und abgestimmt. In den Teilen, die Sie von Otto Schily abgeschrieben haben, gebe ich Ihnen Recht. Hier sind Sie auf dem richtigen Weg. Aber ich kann - das will ich für meine Fraktion deutlich sagen - Ihrer Forderung, die Bundeswehr im Innern einzusetzen, nicht zu stimmen. Im Übrigen habe ich Ihren Versuch einer Begründung dessen nicht verstanden. Dies wird nicht die Zustimmung meiner Fraktion finden.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])

Wenn wir in wenigen Wochen über die Pakete zur Terrorbekämpfung abstimmen, haben alle Fraktionen in diesem Haus die Möglichkeit, zu zeigen, ob sie es mit der Unterstützung der Regierung bei dieser schwierigen Aufgabe ernst meinen. Ich bedanke mich ausdrücklich - ich will das unterstreichen, was der Kanzler in diesem Zusammenhang gesagt hat -

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ich bin schwer beeindruckt!)

für die große außenpolitische Zusammenarbeit, die wir in Krisengesprächen auch von Vertretern der Oppositionsfraktionen, die PDS ausgenommen, erfahren haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Für uns ist die Unterstützung der Maßnahmen der Bundesregierung überhaupt keine Frage. Sie wird auch keine Frage der Koalitionsfraktionen sein. Beide Fraktionen werden den Kurs der Bundesregierung unterstützen, um unsere internationale Freiheit nicht durch Terrorismus zerstören zu lassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Präsident Wolfgang Thierse: Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Peter Repnik das Wort.
Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Herr Kollege Struck, da Sie meine Zwischenfrage nicht zugelassen haben, möchte ich Sie hiermit auf folgenden Sachverhalt hinweisen. Wir begrüßen ganz ausdrücklich Ihre Aussage, dass durch die Videoaufnahmen Bin Ladens seine Schuld als Verursacher der Terroranschläge anerkannt ist.

Die Frage an Sie lautet: Wie verhält es sich mit der Aussage, die Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer Wilhelm Schmidt heute in der "Frankfurter Rundschau" getroffen hat? Ich darf zitieren:
Vor einem Einsatz der Bundeswehr im aktuellen Afghanistankonflikt erwartet die SPD-Bundestagsfraktion von der Bundesregierung die Offenlegung von Beweisen gegen das Terrornetzwerk von Osama Bin Laden.

Die Abgeordneten des Bundestages würden mehr Informationen von der Bundesregierung bekommen, "wenn sie - Zitat Wilhelm Schmidt - über einen Einsatz der Bundeswehr abstimmen sollen." Derzeit weigert sich die Bundesregierung, das von den USA vorgelegte Beweismaterial vorzulegen.

Meine konkrete Frage an Sie: Ist das die Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion oder stimmt Ihre Aussage von vorhin, dass die Videoaufnahmen Bin Laden eindeutig der Schuld überführt haben?

Darüber hinaus habe ich eine Bitte an den Bundesminister der Verteidigung, der anschließend noch das Wort ergreifen wird: Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung zu diesem Sachverhalt steht, das heißt, ob sie die Beweise als gegeben betrachtet bzw. welche Probleme sie noch sieht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Struck, Sie haben die Möglichkeit zu einer Antwort.
Dr. Peter Struck (SPD): Herr Kollege Repnik, um Ihnen eine Antwort zu geben: Ich kommentiere nicht Äußerungen meines Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers

Lachen bei der CDU/CSU)

- ja, langsam! -, die in der Presse wiedergegeben worden sind. Ich sage nur: Die Bundesregierung hat - Sie konnten leider nicht dabei sein, aber Ihr Fraktionsvorsitzender war dabei - in den Besprechungen, die wir mit allen Vertretern unserer Sicherheitsorgane zur aktuellen Lage geführt haben, deutlich gemacht, dass es eigene Erkenntnisse der Bundesregierung über die Urheberschaft Bin Ladens gibt. Das steht für mich außer Frage. Diese Urheberschaft ist im Übrigen nach den Ereignissen vom vergangenen Sonntag von den Taliban und von Bin Laden selbst bestätigt worden. Wir erinnern uns alle an das Video, das offenbar vor den Angriffen aufgezeichnet und später veröffentlicht wurde.

Die Bundesregierung informiert die Fraktionen - nicht nur die Koalitionsfraktionen, sondern auch die Oppositionsfraktionen - in umfassendem und ausreichendem Maße, Herr Kollege Repnik. Ich habe in diesem Punkt nichts zu beanstanden und werde die Bundesregierung in diesen Fragen nach wie vor uneingeschränkt unterstützen. Davon können Sie ausgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

 

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Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, 192. Sitzung vom 11. Oktober 2001, Stenographischer Bericht (Plenarprotokoll 14/192).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Vorsitzenden der SPD-Fraktion Dr. Peter Struck zur Aktuelle Lage nach Beginn der Operation gegen den internationalen Terrorismus in Afghanistan (11.10.2001), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2001/rede_struck_1011.html, Stand: aktuelles Datum.


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