Rede des Abgeordneten Christian Schmidt (CSU) zur Europadebatte
im Deutschen Bundestag
Vom 18. Oktober 2001
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die Tatsache,
dass das Haus immer voller wird, deutet darauf hin, dass das jetzt diskutierte Thema die
Aufmerksamkeit aller Kollegen findet.
Ich darf zum Schluss der Debatte, die ja im Wesentlichen sehr fachbezogen und sachbezogen
war, Ihnen, Herr Kollege Meyer, zu Ihren Einlassungen
hinsichtlich des Konventes Zustimmung signalisieren. Sie haben das Prinzip der
Parlamentarisierung der europäischen Integration und deren Fortentwicklung in den
Vordergrund gestellt. Eines aber - ich vermute, auch darüber sind wir uns im Klaren -
sollte nicht passieren: Der Konvent ist keine klassische Constituante. Er lebt davon, dass
er gerade von den nationalen Parlamenten nicht nur Zuarbeit und Resonanz, sondern auch
Mitarbeit erhält. Deswegen kommt - ich nehme an, dass Sie dem Konvent angehören werden -
auf all diejenigen, die wir entsenden werden, eine große Aufgabe zu. Ich will betonen:
Ich hoffe und erwarte, dass die Einbindung in die parlamentarische Arbeit auf nationaler
Ebene erhalten bleibt.
Wir haben sowieso das Problem: Wir müssen - mein Kollege Gerd Müller hat besonders
intensiv darauf hingewiesen - die Rolle der nationalen Parlamente, die Rolle des Deutschen
Bundestages, in einer weiterentwickelten Europäischen Union diskutieren. Man sollte
dieses Problem nicht gering schätzen, denn nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts
gründet sich die Legitimität der europäischen Integration bis heute auch auf die
Vermittlung durch die nationalen Parlamente.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich möchte ein klein wenig pro domo sprechen: Uns darf nicht das passieren, was den
Kollegen aus den Länderparlamenten - bei allem Respekt - wohl passiert ist. Sie haben
vielleicht den Verlust von Kompetenzen zu spät bemerkt und müssen feststellen, jetzt
nicht mehr im Spiel dabei zu sein. Wir vertreten unser Volk und haben deswegen einen
Anspruch, auch beim Projekt Europa weiter beteiligt zu sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Natürlich ist aber auch die zweite Frage, die übrigens ganz wesentlich von unserer
Fraktion nach vorne gebracht worden ist, nämlich die Frage der Kompetenzabgrenzung - der
Herr Bundeskanzler hat sich selbst gerühmt, das im
Post-Nizza-Prozess durchgesetzt zu haben - ein ganz entscheidender Faktor für eine
stabile Struktur einer zukünftigen europäischen Integration. Bei der Diskussion über
die Kompetenzabgrenzung werden wir altbekannte Dinge vorfinden. Natürlich wird auch die
Landwirtschaftspolitik - mit einem entsprechenden Etat ausgestattet - Teil der
europäischen Integration bleiben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich hätte mir gewünscht, dass bei der Agenda 2000 die Vorschläge der Kofinanzierung mit
der Möglichkeit einer teilweisen Rückübertragung von der Bundesregierung aufgenommen
worden wären. Über das Elend, das sich auf dem Berliner Gipfel im Zusammenhang mit der
Agenda 2000 abgespielt hat,
(Zuruf von der SPD: Das Elend war vorher, Herr Kollege!)
hat sich aber der Kollege Hintze schon ausführlich
geäußert. Ich schließe mich diesen Bemerkungen an.
Ein weiterer wichtiger Punkt - er ist bereits genannt worden - treibt mich um, nämlich
die Frage der Zukunft der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Was ist mit der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in einer Zeit, in der die Tagesordnung von der
Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt wird und die Europäer nur am Rande mitlaufen und
nicht gehört werden? Es wurde geäußert - ich stimme dem zu -, es gebe eine gewisse
Renaissance der Nationalstaaten. Ist das gut? Können wir das hinnehmen? Ist das nicht zu
beachten oder schafft es uns ein Problem?
Es ist sicher ein Problem. Wieso? Es ist ein Problem, weil die Stärke Europas - das sagen
wir alle im Konsens - seit Jahren und Jahrzehnten nur darauf beruhen kann, dass Europa
gemeinsam handelt. Wir erleben allerdings gegenwärtig, dass diese gemeinsame Struktur
offensichtlich noch nicht ausreicht. Woran liegt das? - Das liegt daran, dass das Herz der
Politik, die Außen- und Sicherheitspolitik, vor allem von traditionell weltweit
operierenden Ländern wie Frankreich oder Großbritannien gerne national wahrgenommen
wird. Aber das kann nicht das Ende der Entwicklung sein. Anstatt darüber zu lamentieren,
dass das so ist, wie ich gesagt habe, sollte man lieber nach den Ursachen schauen. Hier
gibt es nämlich einen bedenklichen Befund, den ich ansprechen möchte. Der Bundeskanzler
hat in seiner Regierungserklärung gesagt, der Gedanke der Teilhabe am Haben und Sagen sei
ein genuin europäischer. Damit hat er Recht. Wer nichts hat, der kann nichts sagen. Wer
nichts hat, der wird nicht gehört. Wer im außen- und sicherheitspolitischen Bereich
nichts zu bieten hat, der kann auch nicht erwarten, mitreden zu können.
(Lachen bei der SPD)
- Ich möchte die Kollegen von der SPD bitten, sich ihr Lachen für später aufzuheben.
Sie sollten lieber einmal nachlesen, was auf dem Gipfel in Helsinki zu den "headline
goals" gesagt worden ist, und sich Gedanken darüber machen, wie eine gemeinsame
europäische Verteidigungstruppe, deren Aufstellung auf dem informellen Treffen in Feira
beschlossen worden ist, geschaffen werden kann und welche Antwort auf der bevorstehenden
Geberkonferenz auf die Frage "Was tragt ihr denn zu der Aufstellung der gemeinsamen
europäischen Verteidigungstruppe von 60000 Soldaten bei?" - vor ziemlich genau einem
Jahr, am 20. November, konnte in Brüssel noch kein Vollzug gemeldet werden - gegeben
werden soll. Am 19. November werden Sie sicherlich wieder gefragt werden: Wie weit habt
ihr euch denn eurem Ziel angenähert, bis 2003 über eine eigenständige europäische
Sicherheitskomponente zu verfügen? Hier geht es um das Haben und das Finanzieren. Wir
werden in weiten Bereichen Fehlanzeige melden müssen. Das wird sicherlich kaschiert
werden. Es werden potemkinsche Dörfer errichtet werden. Aber das wird nicht ausreichen,
gerade in einer Zeit, in der die Bedrohung durch den Terror so groß ist, dass wir selbst
bedroht sind, dass wir ihr nicht ausweichen können und dass wir uns nicht wie eine
größere Schweiz neutral verhalten können.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Somit kommt man selbst bei so großen Themen in die Niederungen des Einzelplans 14 des
Bundeshaushaltes, des Verteidigungshaushaltes, oder des Einzelplans 60. Wir werden noch
Gelegenheit haben, das zu vertiefen. Nur eines ist ganz klar: Geld alleine ermöglicht
keinen Einfluss; aber ohne Geld, quasi ohne Hardware, ist in den Bereichen, um die es hier
geht, kein Einfluss möglich. Deswegen fordere ich den Bundeskanzler auf, zu handeln und
die Situation auch dazu zu nutzen, die Schieflage, die im Bereich der Außen- und
Sicherheitspolitik entstanden ist, weil Frankreich und Großbritannien auf ihrem Treffen
in Saint-Malo vor zwei Jahren einen Accord vereinbart haben, zu beseitigen und diesen
Accord auszuweiten. Deutschland muss bereit sein, eine entscheidende - um nicht zu sagen:
eine führende - Rolle in diesem Bereich zu spielen.
In Gent wird vielleicht auch die Frage gestellt werden, warum die Äußerungen so schwach
ausgefallen sind. Friedrich Merz hat ja dargestellt, wie
wenig schlagkräftig die Beschlüsse des Europäischen Rates waren. Wir werden in diesem
Zusammenhang auch Fragen an unsere Kollegen und an die Mitglieder der Regierungen der so
genannten neutralen Staaten, die Mitglied der Europäischen Union sind, richten müssen.
Ich möchte zwar keinem Land zu nahe treten. Aber wir müssen die neutralen Staaten, egal,
ob es Schweden oder Österreich ist, fragen - erst diese Frage macht eigentlich die
inneren Reserven deutlich -: Gegenüber wem seid ihr eigentlich neutral? Müsst ihr euch
nicht neu orientieren? Gibt es irgendeinen Grund, sich zurückhaltend zu verhalten? -
Nein, ich glaube nicht. Gemeinschaftstreue müssen wir auch allen neuen Mitgliedstaaten
abverlangen.
Ich komme zum Schluss. Die Mitgliedstaaten, die im Rahmen der Osterweiterung der
Europäischen Union beitreten werden - der ungarische Ministerpräsident spricht lieber
von der Westverlängerung als von der Osterweiterung, weil die neuen Mitgliedstaaten in
zentralen Punkten westeuropäisch denken und handeln -, müssen schon jetzt bereit sein,
sich in schwierigen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik gemeinschaftstreu zu
verhalten. Die EU muss dafür sorgen, dass schon vor den Beitritten entsprechende
Strukturen vorhanden sind. Da gibt es immer noch ein Problem. Das können wir nicht durch
Verzögerung der Beitritte lösen, sondern nur durch mehr Anstrengungen bei uns selbst mit
dem Ziel, die großen Posten, die in Nizza nicht geklärt worden sind, die auf dem Tisch
geblieben sind, zu lösen. Da ist noch viel an Aufgaben zu erledigen und noch viel Platz
für Regierungserklärungen. Das muss zeitig erfolgen; denn sonst läuft uns die
Geschichte in diesen Fragen davon, macht uns einen Strich durch die
Rechnung und das darf in dieser Situation in Europa nicht geschehen.
Ich bedanke mich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
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