Rede des rechtspolitischen Sprechers der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen Volker Beck zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der
Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag
vom 1. März 2002[1]
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Glos, ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Rede, weil
Sie so klare Worte gefunden haben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Sie haben gerade gesagt: bevor ein Ausländer nach Deutschland komme und hier einen
Arbeitsplatz einnehme, sei es besser, die Arbeitsplätze würden ins Ausland verlagert.
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das ist eine Verkürzung, eine Verfälschung! - Weitere
Zurufe von der CDU/CSU)
Das heißt, Sie wollen den Wirtschaftsstandort Deutschland schwächen. Sie wollen
Betriebsteile ins Ausland verlegen und damit Arbeitsplätze in unserem Land gefährden.
Rot-Grün sagt dagegen: Die Arbeitsplätze bleiben hier! Deshalb brauchen wir das Zuwanderungsgesetz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: Eure
Arbeitsplätze sind alle gefährdet!)
Dieses Gesetz wahrt die Humanität. Es gestaltet die
Zuwanderung aus arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Interessen. Es verpflichtet
zu Integration und regelt diese erstmals. Das ist auch gut so. Es räumt - das ist die
Stärke dieses Gesetzes - mit ausländergesetzlichen
Mythen auf. Es gestaltet die Problembereiche und verleugnet sie nicht länger.
Der Anlass für diese Gesetzgebungsinitiative war ein parteiübergreifender Konsens über
die Erkenntnis, dass wir in Deutschland Zuwanderung von hoch Qualifizierten, aber auch von
anderen Gruppen, die wir genau definieren, brauchen. Diesen Konsens hatten wir noch im
letzten Jahr.
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nein!)
Sie haben ihn aus billigen wahltaktischen Überlegungen aufgekündigt, zum Schaden unseres
Landes.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wir haben doch in der Debatte über die Greencard für IT-Fachleute ge merkt, dass man mit
dem Anwerbestopp und der Anwerbestoppausnahmeverordnung nicht mehr weiterkommt. Wir
müssen das Ganze positiv gestalten. Wir müssen definieren, wer aus welchen Gründen in
unser Land kommen darf. Nur wenn das positiv definiert wird, kann man das
verantwortungsvoll gestalten.
Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Beck, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Schauerte?
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte, gerne.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Herr Kollege Beck, Sie haben gerade gesagt, die Arbeitsplätze blieben hier und darum holten wir die Ausländer
hier her.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So pauschal habe ich das nicht
gesagt.
Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Wie wollen Sie das mit dem Tatbestand in Einklang
bringen, dass wir zum Beispiel im Land Niedersachsen bei den dort lebenden Ausländern
eine Arbeitslosigkeit von 27 Prozent haben und dass wir im Gegensatz dazu bei den in
Baden-Württemberg lebenden Ausländern nur eine Arbeitslosigkeit von 13 Prozent haben,
was immer noch entschie den zu viel ist? Welchen Sinn soll Ihre Regelung eigentlich
machen? Wenn Sie das Problem, die Menschen in Arbeit zu bringen, in den Ländern, in denen
Rot-Grün regiert, so schlecht gelöst haben - ich könnte auch die Zahl für
Nordrhein-Westfalen nennen -, wie wollen Sie es dann lösen, wenn Sie noch mehr Menschen
hierher holen?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank, Herr Schauerte, für
diese Frage; denn das möchte ich Ihnen gerne erklären. Die Situation der relativ hohen
Arbeitslosigkeit bei Migranten ist unter dem gegenwärtig geltenden Ausländergesetz
entstanden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Darin haben wir nicht präzise gesteuert, wer zu uns kommen soll und wie die
Qualifikationsmerkmale aussehen sollen. Außerdem haben wir einen Fehler in Bezug auf die
Gastarbeiter gemacht. Wir haben die Leute hierher geholt,
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht integriert!)
aber nicht beachtet, dass sich der Arbeitsmarkt in Deutschland umstrukturiert. Wir haben
sehr gering qualifizierte Leute ins Land geholt und sie nicht weiter qualifiziert.
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Aber genau an dieser Stellschraube drehen Sie doch jetzt
nicht mit dem neuen Gesetz!)
Wir haben auch nichts aktiv für ihre Integration getan. Das sind die Fehler der
Vergangenheit, mit denen dieses Gesetz aufräumt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Schauerte, ich will Ihnen noch einmal darstellen, was wir in diesem Gesetz regeln. Wir öffnen verschiedene Türen, über
die Zuwanderung möglich wird,
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Also doch!)
einmal für hoch Qualifizierte. In diesem Fall sind unsere Anforderungen sehr hoch:
Hochschulstudium, Einkommen usw.
(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Dann hätten Sie keine Chance zur Zuwanderung, Herr Beck!)
Das sind die Leute, in Bezug auf die Konsens besteht, dass wir sie brauchen; das haben
noch nicht einmal Sie infrage gestellt. - Bleiben Sie bitte stehen, Herr Schauerte, ich
bin mit der Antwort auf Ihre Frage noch nicht fertig.
(Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aber Sie gehen ja nicht auf meine Frage ein!)
Wir regeln darüber hinaus die Zuwanderung von Selbstständigen, die hier Arbeitsplätze
schaffen, und wir regeln ein Auswahlverfahren, in dem Bundestag und Bundesrat gemeinsam
beschließen, wie viele Menschen nach Deutschland kommen sollen und nach welchen
Kriterien, nach unserem Bedarf definiert, wir sie aufnehmen wollen. Indem wir definieren,
wer kommen soll, werden wir die Situation beenden, die in Ihrer Regierungszeit unter Ihrem
Ausländergesetz entstanden ist. Da können Sie gewiss sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Dass Sie den Leuten etwas vormachen, zeigen Ihre eigenen Landesregierungen. In Bayern und
Hessen regieren meines Wissens Unionsparteien.
(Sebastian Edathy [SPD]: Mehr schlecht als recht!)
Dort wirbt die Union unqualifizierte Arbeitskräfte aus Osteuropa an, nämlich
Haushaltshilfen für Haushalte, in denen pflegebedürftige Menschen leben.
(Sebastian Edathy [SPD]: Nicht sehr qualifiziert!)
Sie können mir doch nicht erzählen, dass es in Deutschland keine Menschen gibt, die
diese Arbeitsplätze besetzen könnten! Offensichtlich gelingt es auch Ihren
Landesregierungen nicht, die Arbeitskräfte in Deutschland dorthin zu bringen, wo Bedarf
besteht. Deshalb machen Sie den Leuten doch nichts vor und behaupten Sie nicht, es gäbe
keine Probleme, die einer dringenden Lösung bedürften!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Sie machen eine unverantwortliche Politik, die von Kardinal Sterzinsky zu Recht das
Prädikat "eine Schande" bekommen hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Ludwig Stiegler [SPD]: Die kommen
alle in die Hölle! Fegefeuer ist angesagt!)
Sie machen eine Politik, bei der Sie die wahren Bedürfnisse, die wahre Situation und den
wahren Gehalt des Gesetzes leugnen.
Herr Glos, in diesem Zusammenhang zurück zu Ihrer Rede. Sie haben eine Emnid-Umfrage zitiert. Ich
finde, dass man Politik aus Verantwortung und nicht auf der Grundlage von Umfragen machen
muss und dass man sie den Wählern erklären muss.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/ CSU]: Oje!)
Aber das mag dahingestellt sein. Sie haben diese Umfrage aber auch noch falsch zitiert.
Sie haben nämlich behauptet, dass 70 Prozent der Bevölkerung keine weitere Zuwanderung
haben wollen. Aber die Umfrage ergab auch, dass 74 Prozent der Bevölkerung die
Zuwanderung lediglich durch ein Gesetz gesteuert haben wollen. Genau das tun wir heute mit
diesem Gesetz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Sebastian Edathy [SPD]: Genau, und
da verweigern sie sich! Verweigerung ist das richtige Wort dafür!)
Sie haben in der Debatte zunächst gesagt, Sie wollen die Zuwanderung begrenzen. Genau das
tun wir in § 1 des Zuwanderungsgesetzes. Es stand ohnehin schon in den
§§ 18 bis 20 dieses Gesetzes,
wie die Zuwanderung gesteuert und begrenzt wird. Wer nämlich Zuwanderung steuern will,
muss sie notwendigerweise begrenzen. Alles andere wäre Unsinn.
Herr Bosbach hat nun aber am Dienstag auf seiner Pressekonferenz die Hosen
heruntergelassen.
(Zurufe von der SPD: Oh!)
Es geht ihm nicht um eine Begrenzung der Zuwanderung, sondern um eine Reduzierung. Sie
wollen in der Tat ein Zuwanderungsabschaffungsgesetz und behaupten gegenüber der
Bevölkerung, dass das möglich und sinnvoll sei. Wir müssen doch einmal zur Kenntnis
nehmen, dass wir in den letzten Jahren eine jährliche Abwanderung aus Deutschland von
über 500.000 Ausländern und Deutschen hatten. Um den Stand der Bevölkerung zu halten
oder wieder zu erreichen, brauchen wir mindestens eine entsprechende Zuwanderung.
Meine Damen und Herren von der Union, wir haben 18 Änderungsanträge aus Ihrem
16-Punkte-Papier übernommen.
(Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: 18 von 16?)
- In Ihren 16 Punkten sind in Wirklichkeit 91 Änderungsanträge enthalten. Auch das ist
eine Mogelpackung Ihrerseits. Wir haben zusätzlich noch die vier Änderungswünsche aus
Brandenburg übernommen. - Wir haben das Alter für den Kindernachzug auf 12 Jahre
abgesenkt. Wir haben bei den Verfolgungsgründen deutlich gemacht, dass sie keine
Ausweitung über die Genfer Flüchtlingskonvention hinaus bedeuten. Ich möchte an dieser
Stelle den UNHCR zitieren, der unsere Auffassung bestätigt. Der UNHCR-Repräsentant in
Deutschland attestiert dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf, dass die nun
gefundene Regelung für den Schutz vor nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer
Verfolgung die völkerrechtlichen Standards auf Grundlage der Genfer
Flüchtlingskonvention erfüllt.
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)
Wer unter dieses Abkommen fällt, ist genau definiert.
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so ist es!)
Es kann deshalb in Zukunft mit größerer Trennschärfe und Genauigkeit in Deutschland
festgestellt werden, wer den vollen Schutz der GFK verdient.
(Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD])
Wollen Sie wirklich hinter die völkerrechtlichen Standards beim Flüchtlingsschutz
zurückfallen? Was Sie hier vortragen, ist doch wirklich absurd.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Zuruf von der CDU/CSU: Erzählen
Sie doch keine Märchen!)
Wir sind Ihnen in § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes bei den Integrationskosten
entgegengekommen. Deswegen müsste Ihnen eine Zustimmung möglich sein. Uns ist es
wirklich sehr schwer gefallen, diesem Entgegenkommen zuzustimmen. Unser Koalitionspartner
weiß, wie wir mit uns und untereinander gerungen haben. Eine Zustimmung ist uns aber
deshalb möglich gewesen, weil an einigen Stellen des Gesetzes Korrekturen und - das soll
nicht unter den Tisch fallen - Verbesserungen erreicht wurden.
Wir werden ab dem 1. Januar 2003 - Marieluise Beck
wird das besonders freuen - keine Ausländerbeauftragte mehr haben, sondern eine
Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration mit einer gestärkten Position.
Das ist für uns ein wichtiger Punkt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Beck, Sie müssen zum Ende kommen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine letzte Bemerkung: Wir werden
eine Härtefallregelung bekommen - das ist ein Wunsch der Länder, von Baden-Württemberg
genauso wie von Niedersachen oder Nordrhein-Westfalen -, die es ermöglicht, jenseits des
starren Rechtes im Einzelfall humanitär begründete Entscheidungen zu fällen, die dann
noch einmal von den Ausländerämtern überprüft und berücksichtigt werden können.
(Zuruf von der CDU/CSU: Ein neuer Rechtszug!)
Auch das kann kein Grund für Ihre Ablehnung sein; denn Sie selbst haben im Saarland, in
Baden-Württemberg und überall dort, wo Sie regieren, diese Regelung gefordert.
Wenn Sie sachlich entscheiden, dann müssen Sie zustimmen. Wenn Sie allerdings nur
Wahlkampf auf dem Rücken von Ausländern und Flüchtlingen machen wollen, dann werden wir
Sie natürlich nicht überzeugen können. In diesem Fall würde kein Argument bei Ihnen
Gehör finden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
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