Rede der Abgeordneten Christel Riemann-Hanewinckel zum Entwurf
eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des
Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag
vom 1. März 2002[1]
Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Herr Präsident! Meine sehr
geehrten lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute neben dem Zuwanderungsgesetz auch den Sechsten Familienbericht.
Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn Sie den Sechsten Familienbericht, der in
Ihrer Zeit von Ihrer damaligen Ministerin Nolte in Auftrag gegeben worden ist, gelesen
hätten, würden Sie heute hier anders reden. Dann würden Sie nämlich die Fakten, die in
diesem Familienbericht stehen, nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch dementsprechend
handeln. Das würde bedeuten, dass Sie dem heute vorliegenden Kompromiss uneingeschränkt
hätten zustimmen müssen. Im Gegenteil: Sie hätten mit Ihrem so genannten christlichen
Familienverständnis eigentlich noch geradezu Verbesserungen von der Koalition erzwingen
müssen. Aber Sie haben genau das Gegenteil getan.
(Sebastian Edathy [SPD]: Ignorant sind sie!)
Der Sechste Familienbericht hat sich die Aufgabe gestellt, die Leistungen, Belastungen und
Herausforderungen Familien ausländischer Herkunft in Deutschland genau zu untersuchen.
Der Bericht räumt vor allen Dingen mit Vorurteilen auf, die vonseiten der Union im
vergangenen Jahrzehnt gepflegt worden sind und auch heute noch gepflegt werden.
Ich nenne nur zwei Vorurteile. Ein Vorurteil lautet: Deutschland ist kein
Einwanderungsland. Das sagen Sie ja heute noch. Dieser Bericht macht aber deutlich, dass
Deutschland schon lange ein Einwanderungsland ist, dass Sie es aber versäumt haben, mit
entsprechenden Regularien und Gesetzen - zum Beispiel einem Zuwanderungsgesetz - auf
dieses Faktum zu reagieren. Wir aber tun das heute.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Der Familienbericht räumt auch mit einem zweiten Vorurteil auf. Dieses Vorurteil lautet,
dass es sich bei denjenigen, die nach Deutschland kommen, um einzelne Personen handelt
bzw. dass, wenn es Familien sind, diese dann nur die deutschen Kassen und den deutschen
Steuerzahler belasten würden.
Erstens ist Migration in Deutschland, nach Deutschland und auch durch Deutschland hindurch
nicht ein Phänomen von Einzelpersonen, sondern von Familien. Migration ist ein
Familienprojekt. Das stellt nicht nur der Sechste Familienbericht fest, sondern auch die
unabhängige Kommission "Zuwanderung". Aber Sie haben ja bereits deutlich
gemacht, dass Sie dieser Kommission keinen Wert beimessen. Sie hätten es vermutlich am
liebsten gesehen, wenn die Mitglieder Ihrer Partei dort nichts zu sagen gehabt hätten.
Trotzdem kommen Sie alle und auch die deutsche Öffentlichkeit nicht daran vorbei, dass in
dem Bericht der Zuwanderungskommission Daten und Fakten genannt sind, die wir für unser Einwanderungsgesetz genutzt haben.
Ich möchte jetzt auf das eingehen, was vor allem Familien und Frauen betrifft. Wenn
Migration ein Familienprojekt ist, das nicht innerhalb einer Generation abgeschlossen ist,
sondern mehrere Generationen umfasst, dann bedeutet das, dass Familien ausländischer
Herkunft langfristige Perspektiven haben müssen. Wenn in Zukunft Familien, die einwandern
wollen, von vornherein wissen, welche Bedingungen in Deutschland auf sie warten, dann
können sie ihre Zukunft nicht nur entsprechend planen, sondern auch gestalten und wissen,
was auf sie zukommt.
Ein nächster Punkt ist, dass in beiden Berichten deutlich festgestellt wurde, dass -
bisher jedenfalls - die Familien ausländischer Herkunft in Deutschland und nicht etwa die
Bundesrepublik Deutschland den größten Beitrag zur Integration geleistet haben. Auch
damit wird mit unserem Zuwanderungsgesetz Schluss
gemacht. Familien, die zuwandern wollen, wissen nicht nur, worauf sie sich einlassen,
sondern haben nun auch ein Recht auf Integration, wie es in diesem Maße vorher nicht der
Fall war. Denn das bisherige Ausländergesetz sah keine Integrationsmaßnahmen vor.
Ein weiterer Punkt: Das Zuwanderungsgesetz ist ein
großer Erfolg für Frauen, denn sie werden bei geschlechtsspezifischer Verfolgung
berücksichtigt, und zwar im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Als Vorsitzende des
Ausschusses für Familien, Senioren, Frauen und Jugend bin ich sehr enttäuscht darüber,
dass die Kolleginnen der CDU/CSU-Fraktion genau an dieser Stelle unserem Gesetz nicht zustimmen, weil das eine Forderung ist,
die sie an anderer Stelle immer wieder erhoben haben und immer noch erheben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
All denen, die behaupten, Deutschland würde von Frauen, die aus geschlechtsspezifischen
Gründen verfolgt werden und hierher kommen, geradezu überschwemmt, ist entgegenzuhalten,
dass maximal 1.000 Frauen jährlich in Deutschland Zuflucht suchen. Nicht nur unser Grundgesetz, sondern auch unsere Verpflichtung
gegenüber den Menschenrechten, gebietet es, diesen Frauen Aufenthalt zu gewähren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Michael
Bürsch [SPD]: Da fühlt sich die CDU/CSU bedroht! - Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr Beitrag
zum Internationalen Jahr der Frau!)
Ein zweites frauenpolitisches Anliegen war es, dass Frauen im Auswahlverfahren nicht
benachteiligt werden. Ginge es nämlich nur um schulische und berufliche Qualifikation
sowie um die Berufserfahrung des Zuwanderungsbewerbers, dann dürften in Zukunft nur noch
Männer nach Deutschland einwandern. Umgekehrt gilt, dass es Frauen, die einwandern
wollen, in Zukunft nicht zum Nachteil gereichen darf, wenn sie Kinder erzogen oder
Familienangehörige gepflegt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin froh, dass es gelungen ist, im Bundesministerium
der Justiz eine Mitarbeiterin zu finden, die sich in der Lage sah, dieses Zuwanderungsgesetz geschlechtsneutral bzw. an den
Stellen, an denen es einfach notwendig war, geschlechtsspezifisch zu formulieren. Gender
Mainstreaming gilt eben auch bei Gesetzestexten. Es wäre mehr als peinlich gewesen, wenn
ein neues Gesetz nur "mit Schlips und
Kragen" in das Bundesgesetzblatt gekommen wäre. Daher sage ich von dieser Stelle aus
schon jetzt ein herzliches Dankeschön an diese Mitarbeiterin im Bundesjustizministerium.
Frauen als Flüchtlinge oder Einwanderinnen werden sich in Zukunft auch hiervon deutlich
angesprochen fühlen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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