[ Wortlaut der Abstimmung des Bundesrats über das Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der
Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und die daraus
resultierenden Anträge bezüglich des festgestellten Abstimmungsergebnisses
vom 22. März 2002
Wortlaut
der Abstimmung des Bundesrats über das Zuwanderungsgesetz
Antrag
auf Unterbrechung der Sitzung
Antrag der
CDU/CSU-geführten Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Saarland,
Sachsen und Thüringen auf Korrektur des festgestellten Abstimmungsergebnisses zum
Zuwanderungsgesetz
Erwiderung
des Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit zum Antrag der Bundesländer Bayern,
Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen auf Korrektur des
festgestellten Abstimmungsergebnisses zum Zuwanderungsgesetz
Stellungnahme
des Ministerpräsidenten Niedersachsens Sigmar Gabriel zum Antrag der Bundesländer
Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen auf
Korrektur des festgestellten Abstimmungsergebnisses zum Zuwanderungsgesetz
Feststellung
des Bundesratspräsidenten Klaus Wowereit, das festgestellte Abstimmungsergebnis nicht zu
korrigieren
Antrag des
Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen Dr. Bernhard Vogel auf Vertagung des
Bundesrat wegen der umstrittenen Feststellung des Abstimmungsergebnisses zum
Zuwanderungsgesetz
Stellungnahme des
Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz Kurt Beck zum Antrag des
Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen Dr. Bernhard Vogel auf Vertagung des
Bundesrat
Abstimmung
über die Vertagung des Bundesrates
Bevor
der Bundesrat über das Zuwanderungsgesetz abstimmte, lieferten sich Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (Sachsen), Heide Simonis (Schleswig-Holstein), Peter Müller [I] (Saarland), Kurt Beck (Rheinland-Pfalz), Roland Koch (Hessen), Sigmar Gabriel [I] (Niedersachsen), Jörg Schönbohm (Brandenburg), Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-Westfalen), Herbert Mertin (Rheinland- Pfalz), Ruth Wagner (Hessen), Dr. h. c. Manfred Stolpe (Brandenburg), Otto Schily [I] (Bundesminister des
Innern), Dr. Edmund Stoiber (Bayern), Otto Schily [II] (Bundesminister des
Innern), Peter Müller [II]
(Saarland), Sigmar Gabriel [II]
(Niedersachsen), Dr. Günther Beckstein
(Bayern), Otto Schily [III]
(Bundesminister des Innern) einen teilweise heftigen "Schlagabtausch" zum Gesetz
und ihrem geplanten Abstimmungsverhalten. ]
[...]
Präsident Klaus Wowereit: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. - Herr Staatsminister
Mertin (Rheinland-Pfalz) gibt eine Erklärung zu Protokoll*).
Wir kommen zur Abstimmung. Die Empfehlungen der Ausschüsse ersehen Sie aus Drucksache
157/1/02. Daneben liegen Landesanträge auf Anrufung des Vermittlungsausschusses in den
Drucksachen 157/2 und 3/02 vor.
Da die Anrufung des Vermittlungsausschusses aus mehreren Gründen beantragt ist, frage ich
zunächst, wer allgemein ein Vermittlungsverfahren wünscht. Bitte das Handzeichen! - Das
ist die Mehrheit.
Dann stimmen wir über die einzelnen Anrufungsgründe ab.
Ich beginne mit dem Antrag des Saarlandes in Drucksache 157/3/02, bei dessen Annahme der
Antrag von Rheinland-Pfalz erledigt ist. Wer stimmt dem saarländischen Antrag zu? - Das
ist die Minderheit.
Dann bitte ich um das Handzeichen zu dem Antrag von Rheinland-Pfalz. - Das ist die
Minderheit.
Die Anrufung des Vermittlungsausschusses wird nicht gewünscht.
Wir kommen dann zur Frage der Zustimmung. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und
der Wirtschaftsausschuss empfehlen, dem Gesetz nicht
zuzustimmen. Die Abstimmungsfrage ist positiv zu fassen.
Rheinland-Pfalz hat gebeten, über die Frage der Zustimmung durch Aufruf der Länder
abzustimmen. Ich bitte den Schriftführer, die Länder aufzurufen.
Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer: |
Baden-Württemberg |
Enthaltung |
Bayern |
Nein |
Berlin |
Ja |
Brandenburg |
|
Alwin Ziel (Brandenburg): |
Ja! |
Jörg Schönbohm (Brandenburg): |
Nein! |
Präsident Klaus Wowereit: Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg nicht
einheitlich abgestimmt hat. Ich verweise auf Artikel 51 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz. Danach können Stimmen eines Landes
nur einheitlich abgegeben werden.
Ich frage Herrn Ministerpräsidenten Stolpe, wie das Land Brandenburg abstimmt.
Dr. h. c. Manfred Stolpe (Brandenburg): Als Ministerpräsident des Landes
Brandenburg erkläre ich hiermit Ja.
(Jörg Schönbohm [Brandenburg]: Sie kennen meine Auffassung, Herr Präsident!)
Präsident Klaus Wowereit: Damit stelle ich fest, dass das Land Brandenburg mit Ja
abgestimmt hat.
(Peter Müller [Saarland]: Das ist unmöglich! - Roland Koch [Hessen]: Das geht wohl gar
nicht! - Weitere Zurufe: Verfassungsbruch! - Das gibt es doch nicht!)
- Herr Ministerpräsident Stolpe hat für Brandenburg erklärt, dass er, dass das Land
Brandenburg mit Ja abstimmt. Das ist nicht - -
(Roland Koch [Hessen]: Herr Schönbohm hat widersprochen! Nein, das geht nicht, Herr
Präsident!)
- Das ist so. Dann geht es weiter in der - -
(Peter Müller [Saarland]: Selbst Sie sind an die Verfassung
gebunden, Herr Präsident! - Roland Koch [Hessen]: Nein, das geht nicht! - Weiterer Zuruf:
Völlig unmöglich! Sie kennen die Verfassung
nicht!)
Dann geht es weiter - - Dann geht es weiter in der Abstimmung.
(Peter Müller [Saarland]: Nein! - Roland Koch [Hessen]: Nein, Herr
Präsident! Sie brechen das Recht!)
- Nein!
(Roland Koch [Hessen]: Herr Präsident, nein!)
- Ich habe bei der zweiten Frage gefragt, ob Herr Ministerpräsident Stolpe für
Brandenburg eine Erklärung abgibt. Das hat er gemacht. Und - -
(Peter Müller [Saarland]: Auch Sie sind an das Grundgesetz
gebunden, Herr Präsident! - Roland Koch [Hessen]: Das geht nicht! Nein, Herr Präsident,
nein! - Weitere Zurufe)
Und jetzt ist festgestellt - -
(Peter Müller [Saarland]: Das Grundgesetz gilt
auch für Sie!)
Es ist festgestellt - -
(Roland Koch [Hessen]: Jawohl! Das ist ja unglaublich! Das ist glatter Rechtsbruch!)
Ich kann - -
(Roland Koch [Hessen]: Das ist unglaublich!)
- Ja, Herr - - Bitte sehr - -
(Roland Koch [Hessen]: Herr Präsident, unterbrechen Sie, damit wir das beraten! Das gibt
es nicht!)
- Bitte sehr, Herr Koch, ich bitte Sie, sich auch zu mäßigen.
(Roland Koch [Hessen]: Nein, ich mäßige mich nicht!)
- Ja.
(Roland Koch [Hessen]: Da ist offensichtlich und gewollt das Recht gebrochen! Das geht
nicht! - Weitere Zurufe: Ein vorbereiteter Rechtsbruch! - Rechtsbeugung!)
Also nochmal - -
(Roland Koch [Hessen]: Wenn Herr Schönbohm eben geschwiegen hätte, mag das sein! Aber er
hat gesagt: Ich nicht!)
Ich kann - -
(Roland Koch [Hessen]: Es sind vier Stimmen! Sie sind unterschiedlich abgegeben, und das
haben Sie zur Kenntnis zu nehmen!)
Ich kann - - Ich kann auch - -
(Peter Müller [Saarland]: Unterbrechen Sie die Sitzung, dass diese Frage geklärt wird!
Das geht so nicht! - Roland Koch [Hessen]: Das ist ja wohl das Letzte! - Weitere Zurufe)
Ich kann auch Herrn Ministerpräsidenten Stolpe nochmal fragen, ob das Land noch
Klärungsbedarf hat.
(Roland Koch [Hessen]: Das Land hat keinen Klärungsbedarf! Sie manipulieren eine
Entscheidung des Bundesrates! Was fällt Ihnen ein! - Zuruf: Verfassungsbrecher!)
- Nein!
(Roland Koch [Hessen]: Herr Präsident, nein! - Weitere lebhafte Zurufe)
Herr Ministerpräsident Stolpe.
Dr. h. c. Manfred Stolpe (Brandenburg): Als Ministerpräsident des Landes
Brandenburg erkläre ich hiermit Ja.
(Roland Koch [Hessen]: So! Und was sagt Herr Schönbohm?)
Präsident Klaus Wowereit: So, dann ist das so festgestellt.
Ich bitte fortzufahren in der Abstimmung.
(Zuruf: Unerhört!)
- In der Abstimmung fortzufahren.
(Dr. Bernhard Vogel [Thüringen]: Ich bitte um das Wort zur Geschäftsordnung!)
- Sie können sich anschließend, nach der Abstimmung, zur Geschäftsordnung melden. Wir
sind jetzt in der Abstimmung.
Dr. Manfred Weiß (Bayern), Schriftführer: |
Bremen |
Enthaltung |
Hamburg |
Enthaltung |
Hessen |
Enthaltung |
Mecklenburg-Vorpommern |
Ja |
Niedersachsen |
Ja |
Nordrhein-Westfalen |
Ja |
Rheinland-Pfalz |
Ja |
Saarland |
Nein |
Sachsen |
Nein |
Sachsen-Anhalt |
Ja |
Schleswig-Holstein |
Ja |
Thüringen |
Nein |
Präsident Klaus Wowereit: Das ist die Mehrheit.
Der Bundesrat hat dem Gesetz zugestimmt.
Jetzt rufe ich Herrn Ministerpräsident Vogel zur Geschäftsordnung auf.
(Roland Koch [Hessen]: Eiskalter Rechtsbruch! Eiskalt! - Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Das
hat Konsequenzen!)
Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind
soeben Zeugen eines ungewöhnlichen Vorganges geworden. Ein Abstimmungsergebnis ist
festgestellt worden, das nach meiner Überzeugung klar und eindeutig dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
widerspricht.
(Vereinzelt Beifall)
Dort heißt es in Artikel 50, dass die
Länder durch den Bundesrat bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mitwirken. Es
ist keine Außenvertretung gegeben, sondern wir sind Teil der Mitwirkung an der
Bundesgesetzgebung.
In Artikel 51 Abs. 3 heißt es, dass die
Stimmen eines Landes nur einheitlich abgegeben werden können. Dies ist offensichtlich und
hörbar nicht der Fall gewesen. Das Land Brandenburg war zu einer einheitlichen
Stimmabgabe nicht in der Lage. Nirgendwo, Herr Präsident, steht geschrieben, dass der
Ministerpräsident eines Landes die einheitliche Stimmabgabe festzulegen hat. Dies widerspricht
dem Grundgesetz für die Bundesrepublik
Deutschland.
Ich wiederhole deswegen meine Feststellung: Die eben getroffene Entscheidung widerspricht
dem Grundgesetz.
Ich stelle den Antrag auf Unterbrechung der Sitzung und bitte, wenigstens diesem Recht der
Minderheit in diesem Hause zu entsprechen.
Präsident Klaus Wowereit: Diesem Antrag wird entsprochen.
Herr Vogel, haben Sie eine Zeitvorstellung?
Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Ich schlage vor, dass die Sitzung zunächst bis
15.30 Uhr unterbrochen wird.
Präsident Klaus Wowereit: Dem ist so stattgegeben.
Die Sitzung ist unterbrochen und wird um 15. 30 Uhr fortgesetzt.
(Unterbrechung von 14.42 bis 15.40 Uhr)
Präsident Klaus Wowereit: Meine Damen und Herren, ich eröffne die Sitzung wieder.
Zur Geschäftsordnung hat sich Herr Ministerpräsident Koch (Hessen) gemeldet.
Roland Koch (Hessen): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Namens der
Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen und
Thüringen beantrage ich, dass Sie, Herr Präsident, die Feststellung des
Abstimmungsergebnisses zum Zuwanderungsgesetz, die
Sie vor der Unterbrechung getroffen haben, korrigieren.
Ich begründe jetzt diesen Antrag: Nach der Auffassung der zitierten Länder ist die Feststellung
des Abstimmungsergebnisses offensichtlich verfassungswidrig, weil sie das
unterschiedliche Abstimmungsverhalten des Bundeslandes Brandenburg nicht korrekt
aufgenommen hat.
Kollege Schönbohm hat während der
Debatte zu Ihrer Kenntnis, Herr Präsident, ausdrücklich an Sie adressiert, bereits
festgestellt, dass er eine Zustimmung zu dem Gesetz
nicht mitzutragen bereit ist. Er hat diese Erklärung bei Ihrer ersten Abstimmungsfrage
wiederholt. Nach unserer Rechtsauffassung hätte sich jede weitere Frage schon damit
automatisch erübrigt.
Ich halte es rechtlich zumindest für sehr zweifelhaft, ob Sie berechtigt waren, das Land
Brandenburg ein zweites Mal zu fragen. Der Ministerpräsident hat dann für das Land
Brandenburg geantwortet, und Herr Kollege Schönbohm hat Ihnen mitgeteilt, dass er bei
seiner Auffassung bleibt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war jede weitere Frage
rechtswidrig, und niemand muss sich daran beteiligen. Deshalb ist die Frage, wie man sich
bei einer dritten, vierten oder fünften Frage verhält, für die Einschätzung des Landes
Brandenburg irrelevant.
Wir sind der Auffassung, dass sich manche Diskussionen, die es darüber geben könnte, was
passiert, wenn bei einer zweiten Abstimmung etwa ein neuer Konsens hergestellt wird, wie
aus den Diskussionen des Jahres 1953 gelegentlich zitiert, hier jedenfalls erübrigen. Das
macht den Verfassungsbruch auch zu einem offensichtlichen Verfassungsbruch.
Es besteht nach unserer Einschätzung selbst angesichts juristischer Mindermeinungen, die
es gelegentlich gegeben hat, man könne einen Sachverhalt hier anders beurteilen, bei
diesem konkreten Tatbestand keinerlei Interpretationsspielraum. Deshalb ist das Gesetz nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen.
Herr Präsident, ich muss darauf hinweisen, dass Sie selbst in der Konferenz der
Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder, wie mir berichtet worden ist, auf die
Frage des Kollegen Professor Biedenkopf vor zwei Tagen geantwortet haben, Sie seien der
Rechtsauffassung, dass dissentierende Voten nicht durch eine Nachfrage korrigiert werden
können, sondern offensichtlich im Raum stehen.
Ich denke, es ist notwendig, dass die Öffentlichkeit zur Kenntnis nimmt, dass die
Bundesratsverwaltung, in ihrer Rechtstradition seit 50 Jahren, auch Ihnen schriftlich
geraten hat, bei der Verfassungsrechtspraxis zu bleiben und sich entsprechend zu
verhalten. Wir haben den Direktor des Bundesrates in der Besprechung der antragstellenden
Länder erneut gebeten, dazu Stellung zu nehmen, und erneut bestätigt bekommen, dass es
nach wie vor die Rechtsauffassung der Verwaltung des Bundesrates ist, dass Ihr Verhalten
hier bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nicht
vereinbar ist.
Sie haben also nicht in einer schnellen Aktion - versehentlich - , sondern offensichtlich
wissentlich und geplant gegen eine grundlegende Regel der Verfassung verstoßen. Das ist aus unserer Sicht
bei einem Präsidenten des Bundesrates, der nach unserem Verständnis die zweithöchste
Position in diesem Staat innehat, noch zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte unseres
Landes vorgekommen - und dies ausgerechnet bei einem Gesetz,
mit dem man, wie alle bis vor wenigen Minuten gesagt haben, gesellschaftliche Akzeptanz
und Konsens erzielen will. Konsens und gesellschaftliche Akzeptanz sind aber auf einem
solchen Wege nicht zu erzielen.
Wir sagen auch sehr klar: Wir erwarten, ja wir sind uns sicher, dass der Herr
Bundespräsident ein solches Gesetz nicht
unterzeichnen wird, weil die Voraussetzungen für die Unterzeichnung des Gesetzes offensichtlich nicht vorliegen. Wir sind uns
sicher, dass es nicht am 1. Januar des kommenden Jahres in Kraft treten wird. Sie werden
am Ende mit dieser Methode keinen Erfolg haben.
Wir wissen nicht, Herr Präsident, warum Sie in den letzten zwei Tagen Ihre Meinung
geändert haben. Wir vermuten, dass es mit der Entscheidung an anderer politischer Stelle
zu tun hat. Aber das ist egal. Es geht darum, am Ende festzustellen, ob wir uns in einem
schwierigen Prozess - unabhängig davon, was in einzelnen Bundesländern geschieht und was
wir hier politisch nicht zu bewerten haben - wenigstens darauf verlassen können, fair
behandelt zu werden.
Fair und nach den Regeln behandelt zu werden ist essenziell dafür, ob Parteien
vernünftig miteinander koalieren können. Deshalb müssen wir darauf bestehen, dass diese
Frage geklärt wird, und zwar für die Zukunft.
Wir haben uns in der Verfassungstradition 50 Jahre darauf verlassen, dass im Zweifel die
Vertragstreue eines Partners in Länderkoalitionen auch durch das Verhalten im Bundesrat
erzwungen werden kann. Sie haben hier heute eine grundlegende Veränderung herbeigeführt,
die, würde man sie rechtlich akzeptieren, dazu führt, dass sich Vertragspartner nicht
mehr sicher sein können, dass sie durch das Verhalten im Bundesrat die Möglichkeit
haben, die gegenseitige Vertragstreue bei Bundesratsklauseln sicherzustellen.
Diese Veränderung der Qualität von politischen Diskussionen ist nicht zu unterschätzen
und macht es, im Augenblick jedenfalls, für bestimmte Parteien sicherlich sehr
fragwürdig, ob es sich lohnt, Verträge auf dieser Basis abzuschließen, wenn sie
anschließend gebrochen werden, was aber selbst gegen die Regeln des Artikels 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes zu diesen Folgen führt.
Herr Präsident, dies ist ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Wir, die wir darüber
beraten haben, geben zu, dass wir heute mit vielem gerechnet haben. Dies aber ist ein
kalkulierter Bruch der Regeln unserer Verfassung.
Das ist eines Gremiums wie der zweiten Kammer des deutschen Parlamentarismus unwürdig. Es
durfte nicht geschehen. Es muss korrigiert werden.
Sie haben in Ihrer Kompetenz als Präsident die Möglichkeit, es zu korrigieren und damit
einen Zustand zu heilen, der über den Tag hinaus - weit jenseits der Frage, ob es um das Zuwanderungsgesetz geht oder nicht - eine Veränderung
der Art der politischen Diskussionen herbeiführen würde.
Deshalb beantragen wir, dass Sie das Ergebnis korrekt feststellen, unter Einbeziehung der
Tatsache, dass das Bundesland Brandenburg gemäß Artikel 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes die Abstimmung nicht einheitlich
vorgenommen hat und damit die Stimmen des Landes Brandenburg bei der Feststellung des
Abstimmungsergebnisses nicht zu werten sind. - Vielen Dank.
Präsident Klaus Wowereit: Herr Ministerpräsident, ich kann nachvollziehen, dass
man bei dieser komplizierten Rechtsfrage unterschiedlicher Auffassung ist. Was ich aber
nicht hinnehme, ist, dass Sie so tun, als ob in diesem Hause der Präsident beraten worden
ist und der Präsident sich in eine andere Richtung verhalten hat. Dann darf ich Ihnen aus
dem Vermerk des Bundesrates vorlesen:
|
|
Für den Fall, dass bei der Abstimmung durch Aufruf nach
Ländern die Stimmen eines Landes nicht einheitlich abgegeben würden, sollte Herrn
Präsidenten vorgeschlagen werden, die Vertreter des betreffenden Landes auf das Gebot der
einheitlichen Stimmabgabe wie folgt hinzuweisen: "Gemäß Artikel 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes können die Stimmen eines Landes nur
einheitlich abgegeben werden. Ich bitte deshalb um einheitliche Beantwortung der
Abstimmungsfrage." |
Und genau dies ist geschehen. Nur so weit zur Klarstellung des
Sachverhalts.
Herr Ministerpräsident Gabriel zur Geschäftsordnung.
Sigmar Gabriel (Niedersachsen): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für das
Land Niedersachsen spreche ich gegen den Antrag, den Herr Kollege
Koch vorgetragen hat. Ich will das begründen.
Ich habe das Abstimmungsverhalten gut in Erinnerung, Herr Kollege Koch. Wir haben
zuerst einmal erlebt, dass sich zwei Landesminister unterschiedlich geäußert haben.
Dafür gibt es einen Präzedenzfall in diesem Haus. Der Bundesratspräsident hat - korrekt
- den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg nach seiner Entscheidung gefragt. Damit
hat er sich auf den Präzedenzfall bezogen. Die Antwort des Kollegen Stolpe war eindeutig.
Insofern ist der Vorwurf, Herr Wowereit hätte nicht noch einmal fragen dürfen, schlicht
nicht gerechtfertigt.
Dann haben Sie kritisiert, dass Herr Kollege Wowereit ein zweites Mal gefragt habe. Die
Antwort des Innenministers des Landes Brandenburg nach der Antwort des Kollegen Stolpe war
nach meinem Gehör - ich nehme an, alle haben das Gleiche wahrgenommen - nicht eindeutig.
Er hat bemerkt: Sie kennen meine Haltung.
(Roland Koch [Hessen]: Ja!)
Um eine klare Position des Landes Brandenburg zu erfahren, hat der Bundesratspräsident
daraufhin den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg ein zweites Mal gefragt, wie das
Land Brandenburg abstimmt. Es ist ein zweites Mal mit Ja geantwortet worden, eine weitere
Äußerung aus Brandenburg gab es nicht.
Wie in den Verfassungen der meisten Länder gibt es in derjenigen Brandenburgs die
Richtlinienkompetenz. Nach Artikel 91 der Verfassung Brandenburgs spricht der
Ministerpräsident für das Land. Deswegen: Es gibt hier eine klare Äußerung. Sie
beziehen sich auf einen Artikel des Grundgesetzes,
der eintritt, wenn die Möglichkeiten des jeweiligen Ministerpräsidenten nicht genutzt
werden. Das war aber nicht der Fall.
Insofern halte ich Ihren Antrag für nicht in Ordnung. Wir weisen
ihn zurück. Es gibt dafür keine Rechtsgrundlage. Das Land Brandenburg hat mit der Stimme
seines Ministerpräsidenten gesprochen. Die Stimmabgabe ist spätestens nach der zweiten
Frage an den Ministerpräsidenten eindeutig, ohne Widerspruch, erfolgt. Die Auszählung
ist eindeutig.
Das Einzige, was es hier gegeben hat, Herr Kollege Koch, ist ein kalkulierter Ausbruch von
Ihnen, aber kein kalkulierter Rechtsbruch.
Präsident Klaus Wowereit: Ich stelle fest, dass das Abstimmungsverhalten nicht
korrigiert wird. Die Abstimmung war korrekt. Die notwendige Mehrheit von 35 Stimmen ist
erzielt worden.
Damit ist Tagesordnungspunkt 8 beendet.
Herr Ministerpräsident Vogel zur Geschäftsordnung.
Dr. Bernhard Vogel (Thüringen): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich
stelle den Antrag auf Vertagung der heutigen Sitzung des Bundesrates. Ich
möchte das kurz begründen.
Nach den heutigen Ereignissen ist es uns unzumutbar, die Verhandlungen fortzusetzen, als
sei nichts geschehen. Nach unserer Überzeugung ist gegen Artikel 51 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes eindeutig verstoßen worden.
Ich füge hinzu: Der Präzedenzfall ist kein Präzedenzfall; denn im Gegensatz zu heute
hat die Aussage des damaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten bei den
übrigen Kabinettsmitgliedern und stimmberechtigten Bundesratsmitgliedern keinen
Widerspruch gefunden.
Außerdem weise ich darauf hin, Herr Kollege Gabriel: Artikel 91 der brandenburgischen
Verfassung beschäftigt sich mit der Vertretung des Landes nach außen. Der Bundesrat
betrifft nicht die Außenvertretung, er ist ein Organ des Bundes, dem die Länder
angehören. Das ist völlig eindeutig.
Ziel unseres Vertagungsantrages ist es, die Klärung der nicht verfassungsgemäß zu
Stande gekommenen Feststellung des Abstimmungsergebnisses zu erreichen.
Ich bitte Sie, dem Antrag auf Vertagung zuzustimmen. Sollten Sie das nicht tun, muss ich
Ihnen leider mitteilen, dass sich die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen,
Saarland, Sachsen und Thüringen nicht in der Lage sehen, den weiteren Beratungen
beizuwohnen.
Präsident Klaus Wowereit: Herr Ministerpräsident Beck (Rheinland-Pfalz).
Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Die Debatte über das Abstimmungsverhalten halte ich für abgeschlossen. Ich will mich auf
den Vertagungsantrag von Herrn Kollegen Dr. Vogel beziehen.
Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Wenn sich der Bundesrat vertagt und die
Beratungen nicht fortsetzt, verzichtet er in einer Reihe von Punkten wegen Fristablaufs
auf seine Rechte. Bei einigen Tagesordnungspunkten wissen wir nicht, ob beispielsweise die
Anrufung des Vermittlungsausschusses gewünscht wird oder nicht. In jedem Fall werden die
Fristen abgelaufen sein, bis sich der Bundesrat erneut trifft.
Ich halte das wegen der Bedeutung der Tagesordnungspunkte, die heute noch zu erledigen
sind, für nicht akzeptabel. Ich bitte Sie nachdrücklich, dies zu bedenken. Auf weitere
Begründungen will ich nicht eingehen.
Ich meine, wir alle tun gut daran, die Aufwallungen, die vorhin wahrzunehmen waren, nicht
weiter zu schüren.
Ich widerspreche deshalb dem Vertagungsantrag.
Präsident Klaus Wowereit: Ich lasse darüber abstimmen. Wer für Vertagung ist,
den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist eine Minderheit.
Die Sitzung wird fortgesetzt.
(Die Vertreter der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Saarland, Sachsen
und Thüringen verlassen den Saal)
[...]
[Im Folgenden befaßte sich der Bundesrat mit weiteren Gesetzen, die auf der Tagesordnung
standen.]
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