Rede des Abgeordneten Dr. Michael Bürsch (SPD) zum Entwurf eines
Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses
90/Die Grünen im Bundestag
vom 1. März 2002[1]
Dr. Michael Bürsch (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es sind noch rund 200 Tage bis zur Bundestagswahl.
Das ist bei der heutigen Debatte zu spüren. Dennoch möchte ich Sie einladen, ein wenig
innezuhalten, um in der Zuwanderungspolitik vielleicht doch gemeinsame Verantwortung zu
erkennen und auch wahrzunehmen.
Mein Thema - hier sollten Sie innehalten - ist die Integration. Ich bin überzeugt:
Zuwanderung kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn uns die Integration der Zuwanderer
gelingt. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind weit über 30 Millionen Menschen aus dem Ausland
zu uns gekommen. Jetzt müssen wir selbstkritisch feststellen: Bei der Zuwanderung dieser
Menschen wurden die Erfordernisse der Integration zu wenig berücksichtigt. Die
Einbeziehung der Ausländer in das politische, wirtschaftliche, kulturelle und
gesellschaftliche Leben Deutschlands wird und muss deshalb eine Hauptaufgabe der gesamten
Innenpolitik der nächsten Jahre sein, vielleicht sogar der gesamten Gesellschaftspolitik.
(Beifall bei der SPD)
Der vorliegende Gesetzentwurf skizziert nur einen Rahmen - darauf hat Herr Stadler zu Recht hingewiesen -, der noch von
Institutionen, Verbänden und Initiativen, auf deren Kompetenz wir bei der
Integrationsberatung angewiesen sind, aber auch noch vom 15. Deutschen Bundestag
ausgefüllt werden muss. Barbara John, langjährige Ausländerbeauftragte in Berlin, hat
gesagt: "Integration ist eine Aufgabe von 100 Jahren und wir sind noch ziemlich am
Anfang." Wir brauchen bei der Integration in der Tat einen sehr langen Atem. Aber es
gibt in manchen Bereichen schon jetzt dringenden Handlungsbedarf, zum Beispiel bei
jugendlichen Ausländern. Die PISA-Studie der OECD hat ein Schlaglicht auf die
Notwendigkeit geworfen, gerade die Bildungschancen sozial benachteiligter Kinder und
Jugendlicher aus Familien mit Integrationshintergrund zu verbessern. Wir können es uns
nach meiner Meinung nicht leisten, Schülerinnen und Schüler aus einem schwierigen
Lernumfeld länger zu vernachlässigen. Letztlich verweigern wir dadurch soziale Chancen
und blockieren leichtfertig Talente, die unser Land vorwärts bringen könnten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vor diesem Hintergrund müssen wir die Schulen als Lernorte des Zusammenlebens stärker
fördern. Wir müssen aber auch die Familien bei ihren Integrationsbemühungen
unterstützen. Das Zuwanderungsgesetz gibt bereits
die richtige Richtung vor: Die Integrationskurse setzen konsequent bei den
Sprachkenntnissen an. Ausländer, die dauerhaft in Deutschland leben, werden in Zukunft
einen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an einem Integrationskurs und damit die
Möglichkeit zu einer fundierten Sprachförderung erhalten. An die Adresse von Herrn Merz möchte ich in diesem Zusammenhang sagen:
Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sowie Grundkenntnisse unserer Rechts- und
Gesellschaftsordnung werden in Zukunft auch Voraussetzung für den Erwerb einer
dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung sein. Bei fehlenden oder mangelhaften
Deutschkenntnissen und einem Aufenthalt von weniger als sechs Jahren besteht für den
Ausländer sogar eine Teilnahmepflicht.
Ein Wort zur Finanzierung - das ist schon angesprochen worden -: Bund und Länder sind
sich einig, dass sie die Kosten der Sprachkurse übernehmen und den Kommunen bei der
Integration - sie ist eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe - keine zusätzlichen Lasten
aufbürden. Darauf muss hier und heute hingewiesen werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es geht aber bei der Integration nicht nur um Geld. Ein Großteil der
Integrationsleistungen wird schon bisher völlig unabhängig von staatlicher Steuerung und
Unterstützung erbracht. Verbände, Initiativen oder auch einzelne engagierte
Mitbürgerinnen und Mitbürger leisten hier eine großartige Arbeit, deren Wert nicht hoch
genug eingeschätzt werden kann. Dieses bürgerschaftliche Engagement gilt es zu fördern
und weiter zu mobilisieren. Die Zivilgesellschaft kann und soll nicht Ausfallbürge für
den Staat sein. Aber ohne zivilgesellschaftliches Engagement kann Integration nicht
gelingen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Einen viel versprechenden Weg in diese Richtung beschreitet der Aussiedlerbeauftragte der
Bundesregierung, Jochen Welt. Mit seiner Initiative "Integration und
bürgerschaftliches Engagement bei Spätaussiedlern" setzt er erfolgreich darauf,
dass sich ehrenamtlich Tätige und vor allem Aussiedlerfamilien der ersten Generation als
Integrationslotsen engagieren,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die neu ankommenden Spätaussiedlern Orientierungshilfe bieten, um sich in der neuen
Lebensumgebung einzufinden. Dieses Modell könnte meiner Meinung nach bei der Integration
anderer Zuwanderergruppen Schule machen: Engagierte Bürger können Zuwanderer auf ihrem
Weg in unsere Gesellschaft begleiten und so deren soziale, kulturelle und berufliche
Eingliederung erleichtern.
Zu erwähnen ist auch, dass dem Sport eine überragend wichtige Rolle für die Integration
zukommt. Tag für Tag leisten im Breitensport Hunderttausende in den Vereinen praktische
Integrationsarbeit. Spitzensportler aus dem Ausland - selbst in der
Fußballnationalmannschaft spielen aus dem Ausland stammende Sportler - sind wichtige
Vorbilder für ausländische Jugendliche. Auch das ist ein Beitrag zur Integration.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Das Gesetz hat in der Öffentlichkeit viel
Zustimmung gefunden. Es gibt keine gesellschaftliche Gruppe, die das Gesetzesvorhaben
nicht im Wesentlichen unterstützt hat: Die Evangelische Kirche in Deutschland, die
Deutsche Bischofskonferenz, die Wohlfahrtsverbände, die Gewerkschaften, die
Arbeitgeberverbände, Flüchtlingsorganisationen, Sozialwissenschaftler und Juristen sind
sich einig - das kam auch in der Anhörung zum Ausdruck -, dass wir einen Entwurf
vorlegen, der eine positive Aufnahme verdient.
Ich setze noch immer auf das Projekt Aufklärung und Information. Wenn über das
vorliegende Gesetz objektiv, in Ruhe und mit
Sachlichkeit aufgeklärt und diskutiert wird, dann wird es nicht nur bei den Experten,
sondern auch in der Bevölkerung eine breite Mehrheit für eine Zuwanderungspolitik nach
diesem Zuschnitt geben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich komme zum Schluss. Weil von der PISA-Studie immer wieder die Rede ist, möchte ich
einen Beitrag zu einer Bildungsoffensive im Bundestag leisten. Von dem römischen
Philosophen Seneca stammt die Erkenntnis:
Die menschliche Gesellschaft gleicht einem Gewölbe, das zusammenstürzen müsste, wenn
sich nicht die einzelnen Teile stützen würden.
Herr Glos, mit dem Zuwanderungsgesetz
und mit einem umfassenden Integrationskonzept können wir viel für den Zusammenhalt
unserer Gesellschaft tun. Deshalb bitte ich Sie: Stimmen Sie zu!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
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