Rede des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westphalen Dr. Fritz Behrens (SPD) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat

vom 22. März 2002


Dr. Fritz Behrens (Nordrhein-Westfalen): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Seit etwa zwei Jahren findet in unserem Land eine breite gesellschaftliche und parlamentarische Debatte über Zuwanderung statt, z. B. im Landtag Nordrhein-Westfalen, zuletzt gestern. Dort hat es im letzten Jahr Konsens über eine so genannte Integrationsoffensive zwischen allen vier im Landtag vertretenen Parteien sowie einen entsprechenden Beschluss gegeben.

Das uns nun zur Entscheidung vorliegende Zuwanderungsgesetz ist das Ergebnis dieser zwei Jahre währenden Debatte und des erkennbaren Bemühens um einen Ausgleich gegenläufiger Interessen. Ich stehe nicht an, Bundesinnenminister Otto Schily ausdrücklich Dank zu sagen, der mit unendlichem Langmut, mit viel Geduld und Überzeugungskraft bis heute versucht hat, einen Konsens darüber zu Stande zu bringen. Ich persönlich kenne kein Gesetzesvorhaben der letzten Jahre, das so gründlich vorbereitet wurde und bei dem versucht worden ist, die in der Gesellschaft vorhandenen Positionen mit dem Ziel des Konsenses in die Gesetzgebungsarbeit einzubeziehen.

Das vorliegende Zuwanderungsgesetz enthält nach meiner Auffassung ein umfassendes Konzept einer zukunftsfähigen Regelung der Zuwanderung und Integration. Dabei berücksichtigt das Gesetz z. B. nicht nur wesentliche Inhalte des Berichts der Süssmuth-Kommission, er stellt aus meiner Sicht auch einen Kompromiss zwischen den Vorschlägen aller politischen Parteien dar, der im Interesse unserer Gesellschaft heute als Gesetz auch vollendet werden sollte.

Es muss doch nachdenklich stimmen, wenn die große Mehrheit der gesellschaftlichen Gruppen - gerade in den zurückliegenden Tagen - endlich eine Entscheidung von den gesetzgebenden Gremien in Deutschland fordert. Der ganz besonders wichtigen Forderung, endlich auch in Deutschland den Weg für eine dauerhafte und erfolgreiche Integration zu ebnen, wird mit den vorgesehenen Regelungen zur Frage der Integration nach meiner Überzeugung entsprochen. Damit kämen wir in Deutschland endlich auf die Höhe der Zeit.

Das Thema "Integration und Zuwanderung" ist auf allen Seiten, vor allem bei der deutschen Bevölkerung, aber auch bei Migrantinnen und Migranten, in erheblichem Maße von Ängsten und Emotionen um Identitäten, soziale Sicherheit oder berufliche Zukunft geprägt. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag haben bereits zahlreiche Forderungen aus dieser auch in der Gesellschaft und in den Parteien geführten Debatte aufgenommen. Sie haben damit deutlich gemacht, dass sie es für wichtiger halten, eine Wahlkampfauseinandersetzung um dieses sensible Thema zu vermeiden, als um jeden Preis Maximalforderungen durchzudrücken.

Meine Damen und Herren, ich will nachfolgend nur kurz auf die aus meiner Sicht wichtigsten Änderungen der letzten Beratungsrunden eingehen:

In § 1 des Gesetzes sind nunmehr die Steuerung und die Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland als Zweck des Aufenthaltsgesetzes ausdrücklich genannt. Das Aufenthaltsgesetz ermöglicht und gestaltet damit die Zuwanderung unter Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit sowie der wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen. Das Gesetz entspricht damit dem Anspruch eines umfassenden Konzepts für eine Regelung der Zuwanderung und Integration, wie wir es seit langem schon brauchen.

Die Altersgrenze für nicht mit ihren Familien einreisende Kinder wird von 14 auf 12 Jahre gesenkt. Zurzeit - das wissen Sie - gelten 16 Jahre. Zusätzlich eingefügt ist eine Ermessensregelung, wonach minderjährigen ledigen Kindern unter Berücksichtigung bestimmter Gesichtspunkte über die Altersgrenze hinausgehend eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Ich meine, dass sich mit dieser Ermessensregelung in der Praxis besondere Härten in Einzelfällen positiv lösen lassen.

Ebenfalls neu ist, dass, abweichend von den sonstigen Regelungen, auf Ersuchen einer durch die Landesregierung eingerichteten Stelle im Rahmen der Härtefallklausel ein Aufenthaltstitel erteilt oder verlängert werden kann, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet rechtfertigen. Damit wird uns, den Ländern, die Möglichkeit gegeben, in Einzelfällen besonderer Härte ein Aufenthaltsrecht zu erteilen.

Es wird nach Verabschiedung des Gesetzes darauf ankommen, von einer solchen Möglichkeit umsichtig Gebrauch zu machen. Zum einen ist es natürlich zu begrüßen, dass auf persönliche Härten im Einzelfall - im Besonderen aus humanitären Gründen - positiv reagiert werden kann. Zum anderen muss aber doch verhindert werden, dass es einer Vielzahl an sich ausreisepflichtiger Ausländer so gelingen kann, über ein Ersuchen als Härtefall unberechtigterweise den Aufenthalt im Bundesgebiet zu verlängern.

Das Gesetz billigt den Ländern einen weiten eigenen Spielraum zu. Die Zusammensetzung der Härtefallstelle und das Verfahren regeln die Länder durch Rechtsverordnungen. Ich denke, dass eine Abstimmung unter den Ländern unverzichtbar sein wird, um Wanderungsbewegungen zwischen den Ländern vorzubeugen. Auch müssen die unbestimmten Rechtsbegriffe der dringenden humanitären und persönlichen Gründe in den zu erlassenden Verwaltungsvorschriften zur Ausführung von § 25 Abs. 4a des Aufenthaltsgesetzes noch näher bestimmt werden; denn die betroffenen Ausländer haben Anspruch auf annähernde Gleichbehandlung, unabhängig von ihrem Wohnort. Die Ausländerbehörden haben damit ein Instrumentarium in der Hand, um in schwierigen, humanitär besonders belastenden und mit den normalen Gesetzesinstrumentarien nicht zufrieden stellend lösbaren Fällen eine befriedende Wirkung im gesellschaftlichen Raum zu erreichen.

Auf den Arbeitsmarkt wird Rücksicht genommen. Vor der Anstellung ausländischer Arbeitnehmer müssen künftig nachteilige Auswirkungen, wie es heißt, auf den gesamten Arbeitsmarkt geprüft werden. Außerdem soll die bundesweite Vermittlung deutscher und bevorrechtigter ausländischer Arbeitsloser Vorrang vor den Erfordernissen des regionalen Arbeitsmarktes haben. Mit der Streichung der rein regionalen Ausrichtung wurde den Bedenken der Opposition wie auch der Wirtschaft und der Gewerkschaften entsprochen.

Nun zu dem sicherlich besonders schwierigen Punkt der Verteilung der Kostenlast für die wichtige Aufgabe der Integration.

Nach der Änderung verpflichtet sich der Bund erstmals, für alle Ausländer die Integrationskosten für Basissprachkurse und den Orientierungskurs zu übernehmen. Bislang galt das nur für diejenigen Ausländer, die nach Einreise erstmals eine Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis erhalten.

Außerdem ist neu geregelt, dass für die Teilnahme am Integrationskurs von dem jeweiligen Zuwanderer unter Berücksichtigung seiner Leistungsfähigkeit ein angemessener Kostenbeitrag erhoben werden kann. Ich habe mich in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, immer dafür ausgesprochen, dass sich der Bund an den Integrationskosten angemessen beteiligt. Eine Mehrbelastung von Ländern und Kommunen sollte vermieden werden. Ich werde dieses Anliegen auch weiterverfolgen - ich spreche hier für die gesamte Landesregierung - und im Rahmen der Mitwirkung am Erlass der Rechtsverordnung darauf hinwirken, dass diese Grundsätze beachtet werden.

Den Ländern verbleiben in dieser wichtigen Frage deshalb auch für den Fall einer grundsätzlichen Zustimmung zu dem Gesetz heute noch vielfältige Möglichkeiten, auf eine sachgerechte Lösung gerade der wichtigen Kostenfrage Einfluss zu nehmen. Ich appelliere von hier aus noch einmal an den Bundesinnenminister, bei den weiteren Umsetzungsschritten die Finanzlage der Länder und Kommunen ausreichend in Rechnung zu stellen.

Schließlich wurde mit den Änderungen im Bereich des Asylrechts deutlich gemacht, dass das Zuwanderungsgesetz nicht über die geltenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Genfer Flüchtlingskonvention hinausgeht. Eine Ausweitung des Asylrechts ist daher mit dem Gesetz nicht verbunden. Der Ausgleich zwischen nationalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland und humanitären Verpflichtungen im internationalen und europäischen Kontext ist gelungen.

Angesichts der Bedeutung einer Zuwanderungsregelung für unsere Gesellschaft kommt dem Zustandekommen ein besonders hoher Stellenwert zu. Das Gesetz, das uns heute vorliegt, stellt, so glaube ich, eine faire Grundlage für einen politischen Konsens dar. Manch weitergehender oder abweichender Vorschlag - auch das eine oder andere fachliche Bedenken aus ausländer-, integrations- oder finanzpolitischer Sicht - muss nach Auffassung der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung wegen der Bedeutung des Zustandekommens der Regelung insgesamt zurücktreten.

Mit der Zustimmung im Bundesrat heute können wir zeigen, dass wir über die Parteigrenzen hinweg bereit sind, in dieser wichtigen Zukunftsfrage tatsächlich Verantwortung zu übernehmen. Es besteht doch weithin Einigkeit darüber, meine Damen und Herren, dass das geltende deutsche Ausländerrecht dringend reformbedürftig ist, dass es nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht und dass es schon gar nicht die Zukunftsaufgaben einer in die Globalisierung eingebundenen Industrienation wie Deutschland mitgestalten kann. Es besteht deshalb dringender Handlungsbedarf. Deshalb muss die Zuwanderung jetzt neu geregelt und darf nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Das hielten wir für unverantwortlich.

Stellen Sie sich also, meine Damen und Herren, Ihrer, stellen wir uns unserer Verantwortung für Deutschlands Zukunft! Stimmen Sie zu, wie Nordrhein-Westfalen das gleich tun wird! - Vielen Dank.

 

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Quelle: Bundesrat, Stenographischer Bericht der 774. Sitzung vom 22.03.2002 (Plenarprotokoll 774).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westphalen Dr. Fritz Behrens (SPD) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat (22.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_behrens_zuwanderungsgesetz.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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