Rede des Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern Dr. Edmund Stoiber (CSU) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat

vom 22. März 2002


Dr. Edmund Stoiber (Bayern): Herr Bundesinnenminister, ich habe Ihnen nicht nur heute, sondern immer sehr aufmerksam zugehört. Ich möchte für mich und für mein Land festhalten, dass Sie die Fragen, die Bedenken und die Anmerkungen, die meine Kollegen Müller, Koch und Schönbohm heute Vormittag vorgebracht haben, nicht ausgeräumt haben.

Sie haben mich mehrfach zitiert. Deswegen möchte ich eine kurze Anmerkung dazu machen. Sie haben mich mit der Aussage zitiert, dass wir im Wettbewerb um die besten Köpfe selbstverständlich eine bessere Grundlage brauchen, dass wir im Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit anderen europäischen Nationen um die Zuwanderung von Eliten nicht mithalten können. Sie haben daraus geschlussfolgert oder zumindest den Eindruck erweckt, dass man dem Gesetz auf Grund einer solchen Aussage dann auch zustimmen müsse.

Dieser Schluss ist eindeutig falsch. Alle Vertreter von Seiten der CDU wie der CSU, die heute hier, die im Bundestag oder außerhalb der parlamentarischen Gremien gesprochen haben, haben in den letzten Monaten sehr deutlich gemacht: Wir brauchen eine Neuordnung des Zuwanderungsrechts, eine Änderung des Ausländerrechts und eine Änderung des Asylrechts, um Asylmissbrauch wesentlich zu beschränken. Nach langen Diskussionen innerhalb von CDU und CSU haben wir am 10. Mai unsere Eckpunkte eingebracht und vor dem ersten Entwurf des Zuwanderungsgesetzes erklärt, was notwendig ist, um zu einer vernünftigen Neuregelung zu kommen.

Ich möchte das festhalten, weil einige Vertreter der SPD hier deutlich zu machen versuchten, es gebe einen Gegensatz: Die einen wollen die Neuordnung des Zuwanderungsrechts, die anderen wollen sie nicht. Dem ist natürlich nicht so. Wir brauchen und wollen eine Neuordnung des Zuwanderungsrechts unter anderem, um im Wettbewerb mit anderen Ländern um die besten Köpfe zu bestehen.

Aber, Herr Bundesinnenminister - das zieht sich leider schon durch den Gesetzentwurf - , wir wollen keine Erweiterung der Zuwanderung insgesamt, sondern eine Begrenzung. Wir wollen auch eine andere Zusammensetzung der gegenwärtigen Zuwanderer.

Wir haben doch einige tief greifende Probleme: In unser Land kommen jedes Jahr etwa 500 000 bis 600 000 Menschen. Wir integrieren jedes Jahr eine Stadt in der Größenordnung von Dortmund oder Nürnberg. Unsere Integrationsbemühungen sind nicht hinreichend, wie z. B. die Pisa-Studie zeigt, die auch in diesem Zusammenhang erwähnt werden muss. In ihr wird festgestellt, dass sich ein Großteil der ausländischen Kinder in der schlechtesten Gruppe, der Gruppe 5, befindet. Diese können sich sprachlich kaum vernünftig ausdrücken. Unsere Integrationsbemühungen müssen eher verstärkt werden, um mit dem gegenwärtigen Problem fertig zu werden. Wir können es uns nicht leisten, Zuwanderung zu erweitern, wenn wir die Integration der gegenwärtig Zuwandernden schon nicht bewältigen. Sie verlagern alle damit verbundenen Probleme und Aufgaben auf die Schulen. Sie übertragen sie den Ländern, insbesondere den Kommunen. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass in den letzten Jahren leider ein hohes Maß an Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme stattgefunden hat; das ist heute noch der Fall.

Unser Land gibt mehr als 20 Milliarden Euro allein für Sozialhilfe aus. Eine solche Größenordnung ist in keinem anderen Land Europas festzustellen. Unsere Kommunen ächzen und stöhnen an allen Ecken und Enden unter ihrer Aufgabenlast. Die Investitionskraft der Kommunen und der Länder geht zurück und, und, und. Das heißt: Diese Fragen müssen erörtert werden.

Ich sage Ihnen noch einmal: Das Gesetz hat große Auswirkungen auf die gesellschaftliche Balance in unserem Land. Es ist kein Gesetz wie viele andere, es ist ein Gesetz mit weit reichender Wirkung.

Ich danke herzlich Herrn Kollegen Biedenkopf für seine Ausführungen grundsätzlicher Art. Sie beinhalteten keinen Widerspruch zu Herrn Kollegen Koch und Herrn Kollegen Müller, die sich konkreter mit dem Gesetz auseinander gesetzt haben. Herr Kollege Biedenkopf ist intensiv auf die Probleme der demografischen Entwicklung eingegangen. Er hat vor allen Dingen einen Punkt erwähnt, den Sie nicht ausgeführt haben: Wir wollen in diesem Jahr festlegen, wer im Jahre 2004 wohl in die Europäische Union aufgenommen wird. In absehbarer Zeit werden etwa 100 Millionen Menschen zusätzlich Inländer. Dabei besteht die große Möglichkeit, dass diejenigen Köpfe in unser Land kommen, über die wir im Moment nicht verfügen. Das muss man in Erwägung ziehen, bevor man Zuwanderung erweitert.

Ich bedauere es außerordentlich, dass weder Sie noch die von Ihnen apostrophierte Industrie dies berücksichtigen. Letztere ist nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es morgen und übermorgen etwa 100 Millionen neue Inländer geben wird. Man muss sich genau überlegen, welche Integrationsbemühungen und - leistungen in diesem Zusammenhang auf unser Land zukommen.

Das hat, wie Sie oder der Bundeskanzler zu suggerieren versuchen, nichts mit einem Machtkampf zwischen zwei Personen zu tun. Dies ist absoluter Unsinn. Hier geht es um die Sache. Wir teilen nicht Ihre Meinung, dass Ihr Gesetz die Zuwanderung begrenzt. Das Gesetz, das Sie vorgelegt haben, ist kein Begrenzungsgesetz. Sie müssten eine Reihe von Paragrafen ändern und dürften nicht lediglich etwas, was vorher in der Begründung gestanden hat, in einen Paragrafen hineinschreiben.

Herr Schily, wir wissen, dass wir eine Neuordnung des Zuwanderungsrechts brauchen. Deswegen bemühen wir uns um die letzte parlamentarische Möglichkeit, die Anrufung des Vermittlungsausschusses, um das Gesetz grundlegend zu überarbeiten. Wir stimmen dem Antrag, den Herr Kollege Müller gestellt hat, selbstverständlich zu. Die Fragen, die Herr Kollege Stolpe hier eingebracht hat, gehören in den Vermittlungsausschuss. Es kann doch nicht angehen, dass Antworten auf Fragen grundlegender Natur von Ihnen en passant, ohne schriftliche Vorlage im Bundesrat vorgetragen und vorgelesen werden. Damit kann sich der Bundesrat nicht zufrieden geben. Das ist für mich ein Stück Verschlampung der Institutionen.

Ich sage Ihnen noch einmal: Wir brauchen die Chance, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten. Ich nenne Ihnen auch den Grund für mein Interesse:

Das Gesetz ist von anderer Bedeutung als die Steuerreform, die Änderung der Gewerbeordnung oder des Immissionsschutzgesetzes. Es hat Auswirkungen auf unsere gesellschaftliche Balance. Es kommt darauf an, dass es von der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung mitgetragen wird. Herr Kollege Biedenkopf hat völlig Recht: Zur Integration gehören immer zwei - die Ausländer, die sich integrieren wollen, und die Deutschen, die die Ausländer integrieren wollen.

Wenn Sie ein Gesetz dieser Tragweite unter den von Kollegen Schönbohm geschilderten Umständen - Kollege Müller und Kollege Koch haben sie angedeutet - hier durchzusetzen versuchen, statt dem Vorschlag des Saarlandes, den Vermittlungsausschuss anzurufen, Folge zu leisten, müssen Sie damit rechnen, dass das Gesetz auf heftige Widerstände in Deutschland stößt und dass die Diskussion über die Richtigkeit und Durchsetzungsfähigkeit des Gesetzes mit der heutigen Debatte nicht beendet ist.

Ich möchte, wie ich angekündigt habe, dass wir vor dem 22. September selbstverständlich alle Chancen nutzen, um zu einem großen Konsens zu kommen. Ist das nicht möglich, wird die zweite Anordnung im Falle meiner Wahl zum deutschen Bundeskanzler sein, so schnell wie möglich eine Änderung des Zuwanderungsrechts vorzubereiten. Ich werde sie im Falle des Falles auch vorlegen.

So viel, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu den Anmerkungen, die Sie gemacht haben. Ich bitte Sie, noch einmal darüber nachzudenken, ob Sie dem Antrag von Kollegen Müller, das Gesetz generell zu überarbeiten, zustimmen. Stimmen Sie dem nicht zu, gehen Sie einen schweren Gang: Sie versuchen - auch mit Anmerkungen an die Adresse von Kollegen Stolpe - , ein Gesetz durchzupeitschen, das nicht in Ordnung ist und das von der Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptiert wird. - Danke schön.

 

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Quelle: Bundesrat, Stenographischer Bericht der 774. Sitzung vom 22.03.2002 (Plenarprotokoll 774).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern Dr. Edmund Stoiber (CSU) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat (22.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_stoiber_zuwanderungsgesetz.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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