Erwiderung des Ministerpräsidenten des Landes Saarland Peter
Müller (CDU) auf die Reden des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zum Gesetz zur
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der
Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat
vom 22. März 2002
Peter Müller (Saarland): Herr Bundesinnenminister, ich will gerne auf
Ihre letzte Frage, an welchen Stellen das Gesetz zu
zusätzlicher Zuwanderung führt, eingehen. Ich will sie gerne beantworten. Ich glaube,
diese Fragestellung zeigt den fundamentalen Unterschied in der Bewertung des Gesetzes.
Sie sagen: Dieses Gesetz ist ein Gesetz, das
Zuwanderung begrenzt, das nicht zu mehr Zuwanderung führt. - Wir sagen: Genau das ist
nicht der Fall. Dieses Gesetz wird zwingend die
Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland erweitern. Deshalb - wenn ich das noch
replizieren darf -, Herr Kollege Gabriel,
geht es nicht um Peanuts, worüber wir hier sprechen, sondern es geht um eine grundsätzlich
unterschiedliche Bewertung des Gesetzes.
Ich komme zu der Frage: Wo werden neue, zusätzliche Zuwanderungstatbestände geschaffen?
Erster Punkt: Der Anwerbestopp wird aufgehoben, die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt
wird grundsätlich erlaubt. Sie sagen, das werde durch die Bindung an den Nachweis eines
nationalen Arbeitsmarktbedürfnisses kompensiert. Genau dies ist aber zu bezweifeln, weil
erstens im Bereich der so genannten nachfrageorientierten Zuwanderung die Entscheidung, ob
ein Arbeitsmarktbedürfnis besteht, den regionalen Arbeitsämtern überlassen ist, womit
eben nicht sichergestellt werden kann, dass nach einem nationalen Arbeitsmarktbedürfnis
entschieden wird.
Zweitens, Herr Kollege Schily: Die
Regelung des § 20 ist ein völlig neues
Element in der Zuwanderungssystematik. Eine angebotsorientierte Zuwanderung,
aus verständlichen Gründen von der Wirtschaft gefordert, gab es bisher nicht. Wenn sich
das Angebot erhöht, reduzieren sich die Preise!
Sie sagen dazu, diese Möglichkeit sei eine reine Option. Es bleibe in der Entscheidung
des Bundestages und des Bundesrates, ob und wann, möglicherweise im Jahre 2010, davon
Gebrauch gemacht wird.
Zunächst einmal ist die Zustimmung des Bundesrates nur im Rahmen des § 20 Abs. 3 bei der Bestimmung der Kriterien des
Punktesystems erforderlich, nicht aber bei der Festlegung der Zahl nach § 20 Abs. 4.
Im Übrigen bleibt an diesem Punkt richtig, was Kurt Biedenkopf heute Morgen am Beginn
der Debatte gesagt hat, dass wir uns nämlich angesichts der Notwendigkeit der Entwicklung
eines Gesamtkonzepts vor dem Hintergrund der Osterweiterung der EU sehr davor
hüten müssen, jetzt einen zusätzlichen Zuwanderungstatbestand und damit mehr
Zuwanderung zu schaffen.
Mehr Zuwanderung wird im Bereich der Selbstständigen ermöglicht. Ich sage Ihnen:
Das ist richtig, das wollen wir. - Aber dann können Sie doch nicht sagen, es gebe nicht
mehr Zuwanderung.
Mehr Zuwanderung wird ermöglicht, wenn eine Härtefallklausel eingeführt wird,
die es in dieser Form im Gesetz nicht gibt. Ich sage
nicht, dass das falsch ist, aber sie führt zu mehr Zuwanderung. Diese Auswirkung lässt
sich doch schlechterdings nicht bestreiten.
Wenn es also unbestreitbar - auch von uns gemeinsam gewollte - Tatbestände zusätzlicher
Zuwanderung gibt, dann frage ich Sie, Herr Kollege Schily, im Gegenzug: Wo wird denn
Zuwanderung reduziert? An welchen Punkten des Gesetzes
tritt ein Weniger an Zuwanderung ein? Das ist doch eigentlich die interessante, die zu
beantwortende Frage.
Deshalb ist der Befund eindeutig: Wenn es sowohl im Bereich der Arbeitsmigration als auch
im Bereich der humanitären Zuwanderungen zusätzliche Tatbestände gibt, die Zuwanderung
ermöglichen, aber es keine Kompensation dieser Tatbestände gibt, dann steht am Ende
dieses Gesetzes ein Mehr an Zuwanderung.
Lieber Herr Kollege Schily, ich will in
diesem Zusammenhang sagen, dass wir auch in der Bewertung der Auswirkungen einzelner
Vorschriften nicht übereinstimmen. Alle Probleme, die Herr Kollege Stolpe - wie ich finde, völlig zu Recht -
beschrieben hat, ergeben sich, weil das Gesetz so
formuliert ist, wie es ist, weil es, um es vorsichtig auszudrücken, Unklarheiten beinhaltet.
Diese Unklarheiten können doch nicht dadurch beseitigt werden, dass Sie hier sagen: Das
ist alles nicht so, wie es im Gesetz möglicherweise
steht, sondern es ist so, wie ich, der Bundesinnenminister, das jetzt sage, und im
Übrigen lassen Sie uns vereinbaren, dass wir alle uns im Jahr 2006 wieder treffen, um das
Gesetz zu überprüfen; wenn sich herausstellt, dass
es anders ist, als ich es gesagt habe, dann ändern wir das Gesetz.
Lieber Herr Bundesinnenminister, die
Zusage, das Gesetz im Jahr 2006 zu ändern, falls
sich zeigt, dass die Befürchtungen, die Herr Kollege Stolpe mit Blick auf einzelne Punkte
völlig zu Recht artikuliert hat, berechtigt sind, können Sie leicht geben. Sie werden
sie nicht einhalten müssen. Es ist der Tatbestand der tatsächlichen Unmöglichkeit: Wenn
man nicht mehr im Amt ist, braucht man eine solche Zusage auch nicht mehr einzulösen.
(Vereinzelt Heiterkeit)
Im Übrigen kann es doch nicht sein, dass Gesetzgebungsverfahren mittlerweile so ablaufen,
dass Fragen, die nach der Systematik und der Arbeitsweise dieses Verfassungsorgans
notwendigerweise im Vermittlungsausschuss zu klären sind, durch einseitige Erklärung
eines Mitglieds der Bundesregierung vermeintlich geklärt werden.
Ich kann nur sagen: Alle Punkte, die Herr Kollege Stolpe vorgetragen hat, sind
klärungsbedürftig. Es sind auch die Punkte, die Herr Kollege Schönbohm im Rahmen des
8-Punkte-Kataloges aufgeführt hat. Die Klärung kann nicht erfolgen, indem man hier eine
einseitige Äußerung des Bundesinnenministers zur Kenntnis nimmt. Die Klärung kann nur
erfolgen, indem der Gesetzestext eindeutig gemacht
wird.
(Bundesminister Otto Schily: Er ist eindeutig!)
Die Klärung kann nur erfolgen, indem das Vermittlungsverfahren durchgeführt und auf der
Basis der Ergebnisse des Vermittlungsverfahrens dann ein Gesetzestext geschrieben wird,
der wirklich dem entspricht, was als Wille hier geäußert worden ist, was aber in
Wahrheit im vorliegenden Gesetzestext nicht
wiederzufinden ist.
Lieber Herr Kollege Schily, ich bin
Ihnen dafür dankbar, dass Sie an einigen Stellen Ihrer Äußerungen Sätze von mir
zitiert haben - nicht weil Sie mich zitiert haben, sondern weil der Inhalt richtig ist und
deshalb verbreitet werden muss.
(Vereinzelt Heiterkeit)
Ich habe mich gefragt, warum Sie darauf verzichtet haben, an der einen oder anderen Stelle
Otto Schily zu zitieren. Vielleicht haben Sie das deshalb getan, weil sonst die Diskussion
eine andere Richtung genommen hätte. Denn es war doch Bundesinnenminister Otto Schily,
der in der "Zeit" vom 28. Oktober 1999 auf die Frage: "Die Grünen
sagen: Wir brauchen weitere Zuwanderung. Warum sind Sie anderer Meinung?" geantwortet
hat:
Weil wir mehr Menschen für absehbare Zeit nicht verkraften können. Meine Antwort auf die
Forderung der Grünen, jährlich 200 000 weitere Einwanderer aufzunehmen, lautet schlicht:
Nennt mir das Bundesland und die Kommune, die bereit wären, weitere Menschen aufzunehmen!
Dann bin ich gerne bereit, über ein Zuwanderungsgesetz zu reden.
Ich kann Ihnen nur sagen: Wer so argumentiert, der hat den Nachweis zu führen, an welcher
Stelle er Zuwanderung einschränkt, wenn er gleichzeitig ein Gesetz mit Tatbeständen vorlegt, die zur Erweiterung
der Zuwanderung führen.
Es war auch Bundesinnenminister Otto Schily, der auf die Frage der "Süddeutschen
Zeitung" vom 7. Januar 1999: "Die Wirtschaft sagt auch, dass sie Zuwanderer
benötigt" mit dem Satz zitiert wird:
Wenn mir Siemens sagt, wir brauchen so und so viele, bin ich sofort bereit. Da brauchen
wir kein Zuwanderungsgesetz. Das geht schon mit dem geltenden Ausländergesetz.
Wenn Ihre Bewertung ist, dass der Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte auf der Basis des
geltenden Ausländerrechts möglich ist, dann wird doch ein Popanz aufgebaut, wenn Sie
hier sagen: Wir brauchen das Zuwanderungsgesetz, um
diejenigen Arbeitskräfte in unseren Arbeitsmarkt zuwandern lassen zu können, die wir
benötigen, damit sich die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland positiv
entwickelt.
Es war zum Dritten Bundesinnenminister Otto Schily, der im "Tagesspiegel"
vom 15. November 1998 gesagt hat - ich zitiere - :
Selbst wenn wir heute ein Zuwanderungsgesetz hätten, müsste eine Zuwanderungskommission
die Zuwanderungsquote auf null setzen. Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch
Zuwanderung ist überschritten.
Ich mache mir diesen Satz ausdrücklich nicht zu Eigen. Ich hoffe, dass Sie ihn heute so
nicht mehr sagen würden.
Wenn das der Ausgangspunkt der Diskussion ist, können wir unzweifelhaft feststellen:
neuer Tatbestand für die Zuwanderung von Selbstständigen; neuer Tatbestand im Rahmen des
§ 20 "angebotsorientierte Zuwanderung in
den Arbeitsmarkt"; Aufhebung des Anwerbestopps; Regionalisierung der Entscheidung, ob
ein nationales Arbeitsmarktbedürfnis besteht; Härtefallklausel; Formulierungen zur
humanitären Zuwanderung, die über den Wortlaut der Genfer Flüchtlingskonvention
hinausgehen - ich kann es Ihnen vorlesen, § 60 geht über den Wortlaut der Genfer
Flüchtlingskonvention hinaus. Dann müssen Sie, lieber Herr Bundesinnenminister, darlegen können, wie
Sie mit diesem Gesetz ein Konzept entwickeln wollen,
das nicht zu einem Mehr an Zuwanderung führt. Das haben Sie nicht dargelegt. Die Fragen
des Kollegen Stolpe sind nicht beantwortet.
Deshalb kann ich nur sagen: Wenn wir wirklich das gleiche Ziel haben, nämlich in der
Zuwanderung umzusteuern, müssen die Unklarheiten und Fehler des Gesetzes ausgeräumt werden. Dann gibt es keine
Alternative zu einem Vermittlungsverfahren. Jeder, dem es um den Konsens in der
Sache geht, muss dem Antrag auf Durchführung des Vermittlungsverfahrens zustimmen.
Herr Bundesinnenminister, wenn Sie
sagen, ein Vermittlungsverfahren bedeute, dass die Entscheidung ins Unendliche verschoben
werde, entgegne ich Ihnen: Die Zeitabläufe des Vermittlungsverfahrens bestimmt nicht die
Bundesregierung. Dieses Haus und der Deutsche Bundestag haben eine Vielzahl von
Vermittlungsverfahren durchgeführt. Von einer Verschiebung ins Unendliche war nie die
Rede. Wir sprechen von einem Zeitraum von vier oder fünf Wochen, nicht mehr.
Wenn dieses Gesetz für unsere Gesellschaft so
bedeutsam ist, wenn richtig ist, was Sie selbst immer wieder gesagt haben, dass Sie für
das Gesetz eine breite gesellschaftliche Mehrheit
brauchen, dann gibt es keine Alternative zur Zustimmung zum Antrag des Saarlandes, ein
Vermittlungsverfahren durchzuführen. - Vielen Dank.
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