Rede der Stellvertreterin des Ministerpräsidenten und
Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst des Landes Hessen Ruth Wagner (FPD) zum
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und
der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat
vom 22. März 2002
Ruth Wagner (Hessen): Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Der Ministerpräsident meines
Landes hat für die Hessische Landesregierung erklärt, dass wir gewillt sind, uns
konstruktiv an der Beratung des Zuwanderungsgesetzes
zu beteiligen. Dazu haben wir den konstruktiven Vorschlag eingebracht, den
Vermittlungsausschuss anzurufen.
Diese Haltung haben wir uns in den letzten Wochen erarbeitet. Ich meine, das hat sich
gelohnt; denn Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und schließlich alle CDU-regierten
Länder sind dem Vorschlag, den Vermittlungsausschuss anzurufen, gefolgt. Heute ist es an
den SPD-geführten Ländern, diese Brücke zu begehen und einen letzten Versuch zu
unternehmen, zu einem konstruktiven Ergebnis zu kommen.
Es ist offenkundig, dass die Gründe der Koalitionspartner unterschiedlich sind:
Ministerpräsident Müller hat sehr
grundsätzliche Erwägungen vorgetragen, Ministerpräsident Koch teilt sie, während die FDP in Hessen
nach Klärung von drei entscheidenden Fragen, die nach meiner Meinung im
Vermittlungsausschuss behandelt werden müssen, dem Gesetz
zustimmen könnte.
Ich will Ihnen kurz vortragen, warum wir der Auffassung sind, dass es an der Zeit ist,
eine begrenzte gesteuerte Zuwanderung in Deutschland zu regeln.
Es gilt, das Problem der Schlepperbanden zu überwinden. Wir wissen alle, dass dies
nicht nur ein deutsches Problem ist. Die Anlandung eines Flüchtlingsschiffes vor der
sizilianischen Küste vor zwei Tagen zeigt dies. In unseren Großstädten stellen osteuropäische
Arbeitnehmer für ein paar Euro ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Deshalb brauchen wir
eine begrenzte gesteuerte Zuwanderung.
Der verstorbene liberale Justizminister Caesar hat dieses Verfassungsorgan
1997 - Herr Beck hat es erwähnt - zum
ersten Mal mit einem Gesetzentwurf befasst. Dieser ist von meiner Fraktion im Deutschen
Bundestag im Jahr 2000 erneut aufgegriffen worden, nachdem wir diesbezüglich unter der
vorherigen Bundesregierung leider vergeblich Versuche unternommen hatten.
Deshalb, meine Damen und Herren, sage ich wie viele in diesem Saal: Es besteht die große
Chance, in diesem Jahr im breiten Konsens der gesellschaftlichen Gruppen, die in unserem
Land Meinungsmacher sind, ein Gesetz über eine gesteuerte Zuwanderung zu verabschieden.
Herr Müller und Herr Biedenkopf haben zu Recht darauf
hingewiesen, dass es offensichtlich einen Dissens im Hinblick auf die emotionale
Bewertung durch die Menschen in unserem Land gibt. Dies war in großen nationalen
Fragen aber schon häufig der Fall. Denken Sie z. B. an die Einführung der Euro-Währung
im Laufe der letzten Jahre. In Fragen von nationaler Bedeutung muss es darauf ankommen,
dass wir uns trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen zu Lösungen durchringen, die
schließlich auch zum Erfolg unseres Landes beitragen.
Die FDP hat vier Aspekte vorgetragen, die eine Regelung als dringend notwendig erscheinen
lassen.
Die demografische Entwicklung, auf die Herr Biedenkopf eingegangen ist, ist
dramatisch. Dieses Problem kann mit dem Zuwanderungsgesetz
allein nicht gelöst werden. Nach der Statistik beträgt die Zahl unserer Einwohner im
Jahr 2050 nicht mehr über 82 Millionen, sondern nur noch über 60 Millionen. Wir müssten
von 300 000 bis 500 000 zuwandernden Personen pro Jahr ausgehen, was bezogen auf die
Integration nicht verträglich wäre. Das ist völlig ausgeschlossen. Deshalb meine ich,
dass Zuwanderung nur ein Teil der Lösung dieses Problems sein kann.
Herr Biedenkopf hat zu Recht darauf
hingewiesen, dass mit dem Gesetz ein Thema
angeschnitten ist, das wir, die heute lebende politische Generation, aufgreifen müssen,
damit die folgenden Kinder- und Enkelgenerationen nicht in die Situation kommen, dass alle
sozialen Sicherungssysteme an die Wand gefahren werden. Wer glaubt, dass die Zahl
der Erwerbstätigen als Eckparameter eines Sozialsystems, das in der Bismarck-Zeit
erfunden wurde, für dieses Jahrhundert noch taugt, der ist wirklich auf dem Holzweg,
meine Damen und Herren. Wir brauchen völlig andere Verfahren. Dazu gehört eben nicht nur
eine Veränderung der Sozialsysteme, sondern auch eine veränderte Zuwanderungspolitik und
eine veränderte Kinder- und Familienpolitik.
Wir stimmen - zweitens - mit denjenigen überein, die sagen, dass wir Zuwanderung aus
wirtschaftlichen Gründen brauchen. Es kann nicht sein, dass die Zuwanderer in
Großbritannien und in den USA ein deutlich höheres Qualifikationsniveau haben als der
Durchschnitt der Bewohner der Länder, aus denen sie kommen, während es in Deutschland
genau umgekehrt ist. Wir müssen auf Grund der wirtschaftlichen Situation, auf Grund der regionalen
Bedürfnisse - ganz eindeutig - in Ost wie West selbst steuern können, welche
Arbeitskräfte in Deutschland auf Dauer Platz haben sollen.
Meine Damen und Herren, ich verstehe die Ängste nicht, die von Politikern mit geschürt
werden, dass bei 4 300 000 Arbeitslosen Zuwanderung politisch nicht zu vermitteln sei. 1
Million dieser Arbeitslosen könnten die freien Arbeitsplätze in Deutschland besetzen;
sie tun es aber nicht. Deshalb brauchen wir gezielte Zuwanderung. Wir brauchen sie in den Dienstleistungsbereichen
der Ballungsgebiete. Wir brauchen mehr Selbstständige, auch unter Ausländern,
die zu uns zugewandert sind. Etliche haben einen Betrieb gegründet und neue
Arbeitsplätze geschaffen. Wir brauchen dringend Zuwanderung in den akademisch
gebildeten Bereichen.
Die humanitären Aspekte sind in Bezug auf die ausländischen Jugendlichen in Deutschland
außerordentlich wichtig. Wir sollten uns sehr differenziert mit der Gruppe im Alter von
14 bis 17 Jahren beschäftigen, die nicht gewillt sind, sich zu integrieren. Ich nenne nur
das Beispiel Spätaussiedler. Sie sind häufig gegen ihren Willen mit den Eltern in
unser Land gekommen und verursachen in den Schulen und in den Sozialsystemen riesige
Probleme. Wenn wir nicht endlich entsprechende Integrationsanstrengungen unternehmen,
können sie zum Quell sozialer Auseinandersetzungen werden, wie wir sie uns noch nicht
vorstellen können. Deshalb bedarf es dringend einer Verstärkung der
Integrationsbemühungen zu Gunsten der hier lebenden Ausländer.
Lassen Sie mich zu den Punkten kommen, von denen ich meine, dass sie noch zu klären sind,
Herr Schily.
Erstens: die Kosten. Ich kann nicht verstehen, dass Bundesfinanzminister Eichel im
Zusammenhang mit dem "blauen Brief" aus Europa die Verantwortung für die
Verschuldungssituation unseres Landes den Ländern zugeschoben hat und mit dem Gesetz den Ländern erneut alle Kosten aufgebürdet
werden sollen. Was werden wir denn tun? Wir werden die Gemeinden einbeziehen. Eine faire
Kostenverteilung , wie sie der rheinland-pfälzische Antrag begehrt, würde sich nach
dem Konnexitätsprinzip richten, das wir jeden Sonntag predigen, das aber
offensichtlich nicht eingehalten wird. Im Sinne eines fairen Kostenausgleichs sind der
Bund, die Länder, die Gemeinden und - das füge ich hinzu - die Integrationswilligen, die
ihr Leben lang hier bleiben wollen, mit einem Teil der Kosten zu belasten. Warum
diskutieren Sie mit uns nicht im Vermittlungsausschuss darüber? Das wäre der Diskussion
wert.
Verehrter Herr Beck, ich glaube keiner
Erklärung des Bundeskanzlers mehr, die er zu diesem Gesetz
abgibt. Wenn es nicht im Gesetz steht, wird Herr Eichel
keine müde Mark, geschweige denn einen Euro bezahlen. Deshalb muss dies geklärt werden.
Der zweite Punkt betrifft die bürokratischen Verfahren bei den Arbeitsämtern. Wegen
der Kürze der Zeit will ich nur so viel sagen: Glaubt jemand in diesem Saal, dass die
Arbeitsverwaltung in dem Zustand, in dem sie sich im Augenblick befindet, in der Lage ist,
dieses Problem zu lösen? Ich glaube das nicht.
Drittens. Mit Green, Blue und sonstigen Cards wurde versucht, hoch qualifizierte
Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen, um unsere Arbeitsmarktprobleme zu lösen. Ich
bin der Auffassung, dass die Probleme dieser Menschen nicht hinreichend geklärt sind.
Meine Damen und Herren, die CDU hat sich bewegt. Sie ist von einer generellen Ablehnung
des Gesetzes abgegangen und hat erklärt, die
Brücke zum Vermittlungsausschuss zu begehen. Ich appelliere ein letztes Mal an die SPD in
diesem Haus, diesen Weg mitzugehen. Herr Beck
hat es getan, warum tun es nicht auch Herr Gabriel,
Herr Clement und die übrigen SPD-Ministerpräsidenten? Der Vermittlungsausschuss ist
verfassungsrechtlich das Instrument, das es erlaubt, in unserem föderalen System einen
Kompromiss zu finden.
Ich möchte noch einige Bemerkungen zum Abstimmungsverhalten machen. Herr Gabriel hat auf Artikel 51 Abs. 3 Grundgesetz hingewiesen und eine etwas
abwegige Verfassungsinterpretation vorgetragen. Die Absicht der Mütter und Väter der
Verfassung ist eindeutig:
Jedes Land kann so viele Mitglieder entsenden, wie es Stimmen hat. Die Stimmen eines
Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter
abgegeben werden.
Eine Koalitionsregierung muss also so lange miteinander ringen, bis sie eine einheitliche
Meinung gefunden hat. Ich möchte Herrn Kollegen Schönbohm, der in eindrucksvoller
Weise dargelegt hat, wie schwer wiegend und tief gehend ein solcher Konflikt sein kann,
großen Respekt zollen. Ich meine, er hat sich zu Recht auf eine preußische Tradition
berufen, die zeigt, wie individuelle Verantwortung mit dem Wohl eines
Landes verbunden sein kann. Dafür möchte ich ihm sehr herzlich danken.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss noch einmal sagen: Sie haben die
Chance, den Vermittlungsausschuss als ein legitimes, kurzes Arbeitsmittel zu begreifen, um
zu einem Kompromiss zu kommen, den die deutsche Bevölkerung will. Die Zeit ist reif. SPD
und CDU müssen sich heute aufeinander zubewegen.
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