Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Wolfgang Bosbach zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag

vom 1. März 2002[1]


Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Schily, Sie müssen hier gar nicht so herumbrüllen. Wir sind hier nicht in Ihrem Ministerium, wir sind hier im Deutschen Bundestag.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP - Peter Dreßen [SPD]: Was soll das jetzt?)

Wer gute Argumente hat, muss nicht holzen, der kann mit der Kraft der Argumente überzeugen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD)

Tatsache ist: Dieser Innenminister ändert auch in puncto Zuwanderung seine Meinung schneller, als sich ein Propeller drehen kann, und beschimpft heute jene, die das sagen, was er selber noch bis vor kurzem als richtig und wahr verkündet hat.

(Beifall bei der CDU/CSU)

18. November 1998, Originalton Schily:
Die Grenzen der Belastbarkeit durch Zuwanderung sind überschritten. Auch ein Zuwanderungsgesetz kann daran nichts ändern; denn die darin festzulegende Quote müsste auf null gesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

"Süddeutsche Zeitung", 7. Januar 1999:
Frage: Die Wirtschaft sagt, dass sie Zuwanderer benötigt.
Schily: Wenn mir Siemens sagt "Wir brauchen so und so viele", bin ich sofort bereit. Da brauchen wir kein Zuwanderungsgesetz. Das gehe schon mit dem geltenden Ausländergesetz.

(Beifall bei der CDU/CSU)

"Die Zeit":
Frage: Ist es nicht anachronistisch, dass bis heute nur die Opfer staatlicher Verfolgung Asyl erhalten?
Schily: Wenn das Leben dieser Menschen daheim konkret bedroht ist, schicken wir sie nicht zurück. Die Sache droht sonst auszuufern. Wo wollen Sie die Grenze für nicht staatliche Verfolgung ziehen?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Menschen in diesem Lande erwarten, dass der Innenminister diejenigen, die das zitieren, was er früher selber als richtig erkannt hat, nicht beschimpft; sie er warten vielmehr einen standhaften und prinzipienfesten Innenminister. Den können sie haben, aber erst nach dem 22. September. In dieser Wahlperiode bekommen sie einen solchen nicht mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Frau Kollegin Onur, das mit der Lüge würde ich mir sehr gut überlegen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Stimmt aber!)

In der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf heißt es:
Zu den öffentlichen Interessen gehören im Gegensatz zum geltenden Ausländergesetz nicht länger eine übergeordnete ausländerpolitische einseitige Grundentscheidung der Zuwanderungsbegrenzung oder der Anwerbestopp.

Sie heben mit diesem Gesetz den seit 1973 geltenden Anwerbestopp auf. Die Begrenzung der Zuwanderung soll nicht länger im öffentlichen Interesse liegen. Sie behaupten, als Ergebnis würde das die Zuwanderung nicht erhöhen. Das ist die glatte Unwahrheit. Die Menschen wissen das.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Veit, Sie haben in Ihrer Rede gesagt, wir würden um des Prinzips willen, um der Opposition willen Nein sagen, und behaupten, selbst wenn wir Ihre 16 Kernforderungen übernähmen, würden wir Nein sagen. Ich mache Ihnen das Angebot: Nehmen Sie unsere 16 Kernforderungen an und wir werden sofort zustimmen! Sie wollen das aber nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU - Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Heute noch!)

Sie haben gesagt, wir hätten auf die Kollegen in unserer Fraktion, die anderer Meinung sind, Druck ausgeübt, was nicht gut sei. Das war auch von Kollege Özdemir gestern in der Sendung "Berlin Mitte" zu hören. Wir hätten uns gefreut, wenn Rita Süssmuth, Heiner Geißler und Christian Schwarz-Schilling mit der Fraktion gestimmt hätten. Wir respektieren aber, dass sie eine andere Auffassung haben. Der Fraktionsvorsitzende hat in der Sitzung am Dienstag ausdrücklich darum gebeten, dass auf die Kollegen keinerlei Druck ausgeübt werde.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Warum reden die heute nicht!)

Ich komme nun zu etwas, was infam ist. Sie, Herr Kollege Veit, haben am 16. November im Deutschen Bundestag - es ging in der Debatte um den Afghanistan-Einsatz und die Beteiligung beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus - gesagt:

(Rüdiger Veit [SPD]: Haben wir schon gehört! - Gegenruf des Abg. Michael Glos [CDU/CSU]: Das kann man nicht oft genug sagen!)

Das war eine Gewissensentscheidung. Wir standen in einem Konflikt, den wir nicht gewollt haben, sondern der uns leider aufgezwungen worden ist.

Darunter ist der Zwischenruf von Herrn van Essen zu lesen: "Also doch Erpressung!"

(Sebastian Edathy [SPD]: Sprechen Sie noch zur Sache, Herr Kollege? - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Nun zur Zuwanderung!)

Frau Kollegin Müller, Sie haben hier mit gespielter Empörung gesagt, Sie könnten uns gar nicht verstehen; die Koalition sei uns so weit entgegengekommen, dass wir eigentlich zustimmen müssten, ein sachlich begründetes Argument für unsere Ablehnung gebe es nicht. Sie selber haben als Damendoppel mit der Vorsitzenden Roth nach der Pressekonferenz mit dem Bundeskanzler gesagt, das Gesetz sei im Kern unverändert. Genau so ist es!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Aber wenn Sie sich in der Sache nicht substanziell bewegt haben, können Sie von uns nicht verlangen, dass wir zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Sebastian Edathy [SPD]: Können Sie sich denn noch in der Sache äußern, Herr Kollege?)


Vizepräsidentin Anke Fuchs: Herr Kollege Bosbach, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Müller?

Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Ja.

Vizepräsidentin Anke Fuchs: Bitte sehr.

Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Kollege Bosbach, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass ich auf dieser Pressekonferenz - ich weiß noch sehr genau, was ich dort gesagt habe - wie auch heute im Deutschen Bundestag sehr deutlich dargestellt habe, in welchen Punkten wir Ihnen entgegengekommen sind und dass das Gesetz in der Substanz natürlich bei seiner modernen und humanitären Ausrichtung bleibt.

(Lachen bei der CDU/CSU)

- Da brauchen Sie gar nicht zu lachen. Ich habe nicht gesagt - das hat er gerade behauptet -, das Gesetz sei unverändert geblieben.

Könnten Sie daher bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir Veränderungen vorgenommen haben, etwa indem wir das Nachzugsalter abgesenkt haben und indem wir im Bereich der Zuwanderung die Begrenzung ins Gesetz geschrieben haben? Könnten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir Ihre Anträge - etwa, es dürfe keine Orientierung am regionalen Arbeitsmarkt geben und Selbstständige dürften sich nur unter bestimmten Bedingungen niederlassen - aufgenommen haben? Aber natürlich werden wir nicht im Kern aus einem Zuwanderungsgesetz ein Auswanderungsgesetz machen, wie manche Anträge von Ihnen es nahe legen. Nur das habe ich gesagt. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Frau Kollegin Müller, ich danke Ihnen für die lange Frage, weil sie mir die Möglichkeit gibt, ohne Anrechnung auf die Redezeit lange zu antworten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Richtig, Sie haben in der Pressekonferenz gesagt, Sie hätten sich auf die Union zubewegt, allerdings nicht von der Stelle weg; im Kern bleibt alles so, wie es ist.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie behaupten schon wieder etwas Falsches!)

Ich sage Ihnen noch einmal: Da haben Sie Recht.

Beispiel Begrenzung. Wir haben gesagt, es genügt nicht, einen Paragraphen voranzustellen, in dem zur Begründung der Behauptung, die Zuwanderung würde nicht ausgeweitet, die Überschrift wiederholt wird, wenn sich aus der Addition der übrigen Vorschriften unzweideutig ergibt, dass im Gesetz das Gegenteil geregelt sein wird. Das ist der Grund. Es genügt nicht, in einem Paragraphen das Gegenteil von dem zu behaupten, was in der Folge im Gesetz steht.

(Sebastian Edathy [SPD]: Frage ist beantwortet!)

Zweites Beispiel: Kindernachzugsalter. Das geltende Recht sieht 16 Jahre vor, die nicht bei Beherrschung der deutschen Sprache gelten. Der ursprüngliche Gesetzentwurf hatte die Altersgrenze auf 14 Jahre reduziert, aber auch die Sprachanforderung auf nur noch "ausreichende deutsche Sprachkenntnisse" gesenkt. Jetzt haben Sie sich scheinbar auf die Union zubewegt, indem Sie zwar das Nachzugsalter auf zwölf Jahre reduziert haben, aber gleichzeitig nur noch das Regelbeispiel "Kenntnisse der deutschen Sprache" aufgenommen,

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist im jetzigen Gesetz auch so!)

mit der Folge, dass in der ausländerrechtlichen Praxis nicht die Senkung des Nachzugsalters, sondern die Heraufsetzung auf 18 Jahre die Folge sein wird. Das ist der Grund.

(Beifall bei der CDU/CSU - Sebastian Edathy [SPD]: Was sind Sie so familienfeindlich und kinderfeindlich, Herr Kollege?)

- Herr Kollege, Sie sagen, das sei familienfeindlich. Sie haben offensichtlich eine völlig falsche Vorstellung davon, was dem Wohle der Familie und insbesondere der Kinder dient. Es geht nicht um das Zuzugsalter, es geht um das Nachzugsalter, es geht um das Lebensschicksal derjenigen ausländischen Kinder, die von ihren Eltern, in der Regel zur Vermeidung von Verwestlichung, ins Herkunftsland zurückgeschickt werden, um dort erzogen zu werden und zur Schule zu gehen. Wenn Sie glauben, dass das dem Kindeswohl dienen würde, haben wir in dieser Hinsicht eine völlig unterschiedliche Vorstellung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie preisen es als humanitäre Errungenschaft, wenn die Eltern in Deutschland und ihre kleinen Kinder in der Türkei leben.

(Sebastian Edathy [SPD]: So ein Quatsch!)

Wir sagen, die Kinder sollen mit ihren Eltern gemeinsam in Deutschland leben; sie sollen hier die deutsche Sprache lernen, weil das dem Wohl der Kinder dient, nicht die Erziehung in einem anderen Land.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

- Nein, ich lasse keine weiteren Zwischenfragen zu.


Vizepräsidentin Anke Fuchs: Der Redner lässt keine weiteren Zwischenfragen zu. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch bemerken: Es ist auch sinnvoll, dass jetzt keine Zwischenfragen mehr zugelassen werden.

(Unruhe bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Ich will das als Präsidentin begründen: Es dient dem Ablauf der Debatte; schließlich warten schon alle auf die Abstimmung.

Bitte sehr, Herr Bosbach, Sie haben das Wort.


Wolfgang Bosbach (CDU/CSU): Frau Kollegin Müller, es ist nicht richtig, dass Sie die regionale Betrachtung des Arbeitsmarktes aufgegeben haben. Das ist gerade der Unterschied zwischen uns - wir sind entschieden anderer Auffassung -: Sie sind der Meinung, dass nur der regionale Arbeitsmarkt betrachtet werden müsste, um zu entscheiden, ob wir einen Zuwanderungsbedarf haben oder nicht.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch geändert!)

Wir sagen: Angesichts von 4,3 Millionen Arbeitslosen - Tendenz steigend - und knapp 2 Millionen Menschen auf dem zweiten Arbeitsmarkt müssen wir bundesweit zunächst einmal die Arbeitslosen in Brot und Arbeit bringen, bevor wir weitere Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland organisieren.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])

Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie sich mit dieser Vorschrift nicht auf die Wirtschaft und auch nicht auf den DGB berufen können. Sowohl die Arbeitgeberverbände als auch der Deutsche Gewerkschaftsbund

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Begrüßen das Gesetz!)

lehnen diese Vorschrift ausdrücklich ab.

(Beifall bei der CDU/CSU - Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie für einen Müll?)

Hinsichtlich Ihres Hinweises auf die Aussage von Kardinal Sterzinsky

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Eine Schande, hat er gesagt!)

und die Meinung der Kirche sage ich: Diejenigen, die hier herumpöbeln, wären glaubwürdiger, wenn sie auch beim Schutz des ungeborenen Lebens auf die Kirche hören würden. Aber dann haben Sie mit der Kirche gar nichts am Hut.

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Unter Ihrem Niveau!)

Sie sagen, Deutschland müsse sich endlich dazu bekennen, ein Einwanderungsland zu sein, wir müssten unsere Grenzen weiter öffnen, die Menschen würden mobiler und die Grenzen verlören an Bedeutung. Es geht doch nicht um die Frage, ob wir Zuwanderung haben werden. Wir haben bereits Zuwanderung und wir werden sie auch in Zukunft haben. 31 Millionen Menschen sind nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gekommen; 22 Millionen Menschen haben unser Land verlassen.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Richtig!)

Nach der Wiedervereinigung sind 12 Millionen Menschen in unser Land gekommen; 10 Millionen Menschen haben unser Land verlassen. Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika hatten nicht eine so hohe Zuwanderung wie die Bundesrepublik Deutschland. Warum loben Sie denn nicht endlich einmal die gewaltige Integrationsleistung, die wir in den letzten Jahrzehnten erbracht haben?

(Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das haben wir doch gemacht!)

Warum stellen Sie unser Land immer in eine bestimmte Ecke?

Es geht doch nur um die Frage - darum dreht sich der politische Streit -, ob wir über den ohnehin hohen Zuwanderungsdruck hinaus noch mehr Zuwanderung nach Deutschland sowohl aus humanitären Gründen als auch aus Gründen, die mit dem deutschen Arbeitsmarkt zu tun haben, zulassen sollen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Taktik!)

Die Zahl der Menschen, die wir jedes Jahr in unsere Gesellschaft integrieren müssen, liegt in der Größenordnung der Einwohnerzahl von Städten wie Nürnberg oder Dortmund. Es gibt doch unübersehbare Integrationsprobleme in vielen Teilen unseres Landes. Glauben Sie denn ernsthaft, wir könnten diese Probleme mit mehr Zuwanderung lösen? Wir haben keinen Mangel an Zuwanderung. Wir haben einen erkennbaren Mangel an Integration.

(Beifall bei der CDU/CSU - Sebastian Edathy [SPD]: Das wollen wir ja ändern, Herr Kollege! Und Sie blockieren!)

Sie sagen der deutschen Wirtschaft, dass Sie ihren Wünschen nach mehr ausländischen Arbeitnehmern Rechnung tragen würden - und erweitern die Bleiberechte aus humanitären Gründen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist doch völlig isoliert!)

Sie erweitern den Familiennachzug. Sie heben den Anwerbestopp auf und wollen die Zuwanderung aus demographischen Gründen. Trotzdem sagen Sie, dass alles dies im Ergebnis nicht zu mehr Zuwanderung führen würde. Das glauben wir Ihnen nicht und das glaubt Ihnen auch die Bevölkerung nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie können Politik gegen die Opposition machen; Sie haben die Mehrheit. Sie können auch, wie das jetzt bei diesem Gesetz der Fall ist, gegen eine breite Mehrheit in der Bevölkerung Politik machen. - Das geht zwar meistens nicht lange gut;

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir ja sehen!)

aber man kann es ja einmal versuchen. - Aber Sie können doch nicht gegen die Realität, wie sie sich in den Zahlen widerspiegelt, Politik machen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Sie machen gegen jede Vernunft Politik! Unvernünftig sind Sie!)

Ich warne davor, die Menschen in unserem Land - 76 Prozent der Bevölkerung wollen nicht mehr Zuwanderung, 72 Prozent der Wähler der Grünen wollen nicht mehr Zuwanderung, 73 Prozent der Wähler der SPD wollen nicht mehr Zuwanderung -

(Sebastian Edathy [SPD]: An der Sache vorbei!)

in eine rechte Ecke zu stellen.

(Beifall bei der CDU/CSU - Sebastian Edathy [SPD]: Sie schüren Ängste!)

Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen. Wir wissen schon, dass wir unter Druck stehen; das ist hier angesprochen worden. Natürlich, auch wir sehen im Fernsehen und lesen in der Presse, dass wir diesem Gesetzentwurf zustimmen sollen. 76 Prozent der Bevölkerung wollen nicht mehr Zuwanderung. Vermutlich sind jedoch 76 Prozent aller Kommentatoren der Auffassung, dass die Bevölkerung falsch liegt.

(Sebastian Edathy [SPD]: Herr Bosbach, Sie reden wider besseres Wissen!)

Es gibt einen erheblichen Unterschied zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung.

(Beifall bei der CDU/CSU -Sebastian Edathy [SPD]: Sie waren einmal ganz vernünftig!)

Mich würde einmal interessieren, ob all die Kommentatoren und Redakteure, die für mehr Zuwanderung nach Deutschland plädieren,

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Wir wollen steuern und begrenzen!)

in Stadtvierteln mit überwiegend ausländischer Bevölkerung wohnen. Die Probleme werden doch je nach Umfeld ganz unterschiedlich wahrgenommen.

(Sebastian Edathy [SPD]: Das ist verantwortungslos, was Sie da machen! - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Demagogische Rede!)

Sie unterstellen uns, wir würden über dieses Thema nicht ausführlich und sachlich, sondern unter wahltaktischen Gesichtspunkten sprechen. Wenn wir uns in Deutschland entschließen würden, nicht mehr über das Thema Zuwanderung zu sprechen, begingen wir einen kapitalen Fehler, weil wir dieses Thema den Rechtsradikalen überlassen würden. Genau das sollten wir nicht tun.

(Beifall bei der CDU/CSU - Sebastian Edathy [SPD]: Der Zündler warnt vor Brandstiftung! Das ist doch nicht zu fassen!)

Sie können von uns nicht verlangen, dass wir einem Gesetzentwurf zu stimmen, der nicht den Interessen des Landes dient und der die Probleme auf dem Arbeitsmarkt und die der Integration nicht löst, sondern verschärft.

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Das ist Ihre Wahrnehmung! - Sebastian Edathy [SPD]: Nehmen Sie einmal die Scheu klappen ab!)

Es ist nicht nur das Recht der Opposition, zu einer solchen Politik Nein zu sagen; es ist unsere Pflicht.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - Dr. Michael Bürsch [SPD]: Hinsetzen!)

 

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Anmerkung:
[1] Im Deutschen Bundestag gaben im Anschluß an die Debatte 587 Abgeordnete ihre Stimme ab. Der Entwurf des Zuwanderungsgesetzes wurde mit 321 zu 225 Stimmen und 41 Enthaltungen angenommen und damit als Gesetz beschlossen.
In seiner Sitzung vom 22. März stimmte der Bundesrat nach heftiger Debatte und einer verfassungsrechtlich umstrittenen Abstimmung, die von lautstarker und vorher abgesprochener "Empörung" der CDU-geführten Länder begleitet wurde, mit einer knappen Mehrheit von 35 Stimmen ebenfalls für das Gesetz.
Bundespräsident Johannes Rau fertigte am 20. Juni 2002 das Zuwanderungsgesetz aus, nachdem er durch sorgfältige Prüfung der verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich der Abstimmung im Bundesrat zu dem Ergebnis gekommen war, dass "zweifelsfrei und offenkundig ein Verfassungsverstoß" nicht vorläge. Er verwies jedoch ausdrücklich auf die Möglichkeit, die Vorgänge der Abstimmung im Bundesrat durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Anschließend wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet und hätte somit zum vorbestimmten Zeitpunkt in Kraft können.
Daraufhin reichten die sechs CDU-regierten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen wegen der verfassungsrechtlich umstrittenen Bundesratsabstimmung Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts schloss sich am 18. Dezember 2002 der Auffassung der Union an. Er stellte fest, dass die Abstimmung im Bundesrat nicht verfassungsgemäß stattgefunden hatte. Aus diesem Grund trat das Zuwanderungsgesetz, trotz Verkündung im Bundesgesetzblatt, nicht in Kraft.


Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 222. Sitzung vom 01.03.2002 (Plenarprotokoll 14/222).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Wolfgang Bosbach zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag (01.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_bosbach_03-01.html, Stand: aktuelles Datum.


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Rüdiger Veit (SPD), Friedrich Merz (CDU), Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grüne), Dr. Max Stadler (FDP), Petra Pau (PDS), Dr. Michael Bürsch (SPD), Michael Glos (CSU), Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Roland Claus [I] (PDS), Sebastian Edathy (SPD), Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Christel Riemann-Hanewinckel (SPD), Christa Lörcher (fraktionslos), Leyla Onur (SPD), Otto Schily (SPD), Wolfgang Bosbach (CDU), Gerhard Schröder (SPD), Dr. Angela Merkel (CDU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Roland Claus [II] (PDS), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
Reden zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern [Zuwanderungsgesetz] im Bundesrat (22.03.2002):
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Sachsen (CDU); Heide Simonis, Schleswig-Holstein (SPD); Peter Müller [I], Saarland (CDU); Kurt Beck, Rheinland-Pfalz (SPD); Roland Koch, Hessen (CDU); Sigmar Gabriel [I], Niedersachsen (SPD); Jörg Schönbohm, Brandenburg (CDU); Dr. Fritz Behrens, Nordrhein-Westfalen; Herbert Mertin, Rheinland-Pfalz (FDP); Ruth Wagner, Hessen (FDP); Dr. h. c. Manfred Stolpe, Brandenburg (SPD); Otto Schily [I], Bundesinnenminister (SPD); Dr. Edmund Stoiber, Bayern (CSU); Otto Schily [II], Bundesinnenminister (SPD); Peter Müller [II], Saarland (CDU); Sigmar Gabriel [II], Niedersachsen (SPD); Dr. Günther Beckstein, Bayern (CSU); Otto Schily [III] (SPD)
Wortlaut der Abstimmung des Bundesrats über das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und die daraus resultierenden Anträge bezüglich des festgestellten Abstimmungsergebnisses (22.03.2002)
Erklärung von Bundespräsident Johannes Rau zur Ausfertigung des Zuwanderungsgesetzes am 20. Juni 2002 im Schloss Bellevue in Berlin (20.06.2002)
Begleitbrief des Bundespräsidenten Johannes Rau an den Bundeskanzler und die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat bezüglich der Unterzeichnung des Zuwanderungsgesetzes (20.06.2002)
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern [Zuwanderungsgesetz] (20.06.2002)


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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