Rede des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag

vom 1. März 2002[1]


Otto Schily, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen!

(Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kolleginnen auch!)

Wir haben eine historische Chance, ein Problem, das sich über Jahrzehnte aufgestaut hat, einer vernünftigen Lösung zuzuführen. Wir dürfen diese historische Chance nicht versäumen; denn sie wird so schnell nicht wieder kommen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hinter uns liegt eine kurvenreiche Strecke. Wir sind jetzt in der Ziel geraden. Herr Kollege Stadler, ich habe Verständnis dafür, dass Sie mit dem Endspurt vielleicht nicht so ganz einverstanden sind. Wenn ich noch in der Opposition wäre, dann hätte vielleicht auch ich eine kritische Bemerkung gemacht.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Das können Sie bald wieder haben!)

Ich bitte Sie einfach um Verständnis dafür, dass dieser Endspurt unter den Bedingungen, unter denen dieses Gesetzgebungswerk zustande gekommen ist, nicht vermeidbar war. Ich hätte das gerne vermieden.

(Beifall des Abg. Dr. Uwe Küster [SPD])

Ich habe mir über zwei Jahre wahrlich große Mühe gegeben, diejenigen Überlegungen, die in allen politischen Lagern entstanden und die durchaus positiv einzuschätzen sind, so zusammenzubringen, dass daraus ein modernes, flexibles und den humanitären Prinzipien gerecht werdendes Zuwanderungsgesetz entstehen kann. Ich möchte mich an dieser Stelle besonders bei Frau Professor Süssmuth für ihre herausragende Arbeit bedanken, die hierbei eine wichtige Unterstützung war.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS] - Ludwig Stiegler [SPD]: Die CDU/CSU ist die Fraktion der eingeschlafenen Hände!)

Ich habe keine Mühe gescheut: Ich habe Ministerpräsidenten und Ministern die Schönheiten bayerischer Klöster gezeigt. Ich habe ihnen auch eine gute bayerische Brotzeit serviert. Ich habe manchmal meine Stimmbänder überbeansprucht, wofür ich mich nachträglich entschuldige.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Angenommen!)

Ich habe sogar die Vermutung gehabt, in der Opposition seien Persönlichkeiten, die mit dem nationalen Liedgut besonders vertraut seien und das Lied "Das Wandern ist des Müllers Lust" kennten. Aber leider habe ich mich getäuscht: Weder der saarländische Ministerpräsident noch Herr Glos haben meine Erwartungen erfüllt. Nur die Vorsitzende der Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen tut dies.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Unlustgefühle, die Sie verbreiten wollen, sind bei diesem Thema kein guter Ratgeber.

Wir haben uns von folgenden Überlegungen leiten lassen - ich will sie aufzählen -: Die Begrenzung der Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit und der Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland muss das Ziel des Gesetzes sein. Die Wahrnehmung der humanitären Verpflichtungen Deutschlands muss das Ziel des Gesetzes sein. Die Steuerung der Zuwanderung unter Berücksichtigung der nationalen Interessen, also auch der arbeitsmarktpolitischen Interessen, muss das Ziel des Gesetzes sein. Die Ausgestaltung der Zuwanderung unter Beachtung des Integrationszieles muss das Ziel des Gesetzes sein. - Das alles schlägt sich in § 1 dieses Gesetzentwurfes nieder. Es stimmt mit dem überein, was im Papier der von Ministerpräsident Müller geleiteten Kommission formuliert worden ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ludwig Stiegler [SPD]: Hört! Hört! PISA: Die können nicht lesen!)

Wir haben uns ferner an folgendem Grundsatz orientiert:
... wenn trotz erhöhter Ausbildungsleistungen der Betriebe und verstärkter Umschulungs- und Qualifizierungsanstrengungen der Arbeitsverwaltung freie Arbeitsplätze nicht besetzt werden können, dann muss dies negative Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes haben. Eine gesteuerte Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte liegt daher durchaus im Interesse unserer Volkswirtschaft und damit des gesamten Landes.

Ich habe erwartet, dass Sie Beifall zollen; denn ich habe wortwörtlich aus dem Bericht der Müller-Kommission vorgetragen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wenn das Gesetz so wäre, würden wir auch klatschen!)

Aber Sie können es nicht mehr hören.

Gerade zur Sicherung wissenschaftlicher Spitzenleistungen, hoher Innovationskraft und wirtschaftlicher Dynamik muss Deutschland offen sein für ausländische Fachkräfte, Unternehmer und Wissenschaftler. Weltoffenheit ist Voraussetzung für herausragende Leistungen in allen Bereichen, nicht nur im Sport.

Das war wiederum ein Originalzitat aus dem Papier der Müller-Kommission, dessen Inhalt durch unser Gesetz verwirklicht werden kann. Sie verweigern sich.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wer "die Besten" gewinnen will, muss sie - und ihre Familien - - ich betone: und ihre Familien - mit offenen Armen und ohne Ressentiments aufnehmen und ihnen in der Bundesrepublik eine dauerhafte, attraktive Arbeits-, aber auch Lebensperspektive bieten.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist alles kein Widerspruch!)

Meine Damen und Herren, wie wahr! Wiederum Originalzitat aus dem Bericht der Müller-Kommission. Wir haben es realisiert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von wegen!)

Zuwanderung aus legitimen nationalen Interessen und Zuwanderung aus humanitären Gründen müssen in einer vernünftigen Balance gehalten werden.

Auch das haben wir geregelt.

Ein letzter Satz aus dem Bericht der Müller-Kommission.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Ach so! Ich habe schon gehofft, es ist Schluss!)

- Ich könnte auch alles vorlesen, Herr Zeitlmann; Sie haben es wahrscheinlich nie gelesen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie leiden ohnehin an Leseschwäche. Sie sind ein Beweis für die Ergebnisse der PISA-Studie, Herr Zeitlmann, und das ist traurig.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Was soll die Unverschämtheit? Herrenreiter! - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ausfallend wird er!)

Noch ein Satz also:

Die Frage lautet nicht:

- Originalzitat aus dem Bericht der Müller-Kommission; hören Sie mal gut zu! - Zuwanderung - ja oder nein, sondern: Zuwanderung - weitgehend ungeregelt wie bisher oder geregelt und begrenzt.

Das ist die Alternative. Sie entscheiden sich für die ungeregelte Zuwanderung,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

für den Massenzustrom an einer Stelle, an der wir es gar nicht wollen,

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Von wegen!)

und gegen die wirtschaftlichen Interessen. Wir entscheiden uns für Zuwanderungsregelung,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Begrenzung und Zulassung von Zuwanderung da, wo es für unser Land entscheidend ist.

(Beifall bei der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: Da lachen ja die Hühner! Das glauben Sie doch selber nicht!)

Meine Damen und Herren, alles, was Sie vortragen, erweist sich als Ausflüchte und Vorwände.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Warten Sie mal ab, bis Herr Bosbach kommt!)

Sie verschanzen sich hinter Ihren Vorurteilen. Sie haben eine panische Angst vor dem Konsens.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sie haben eine panische Angst vor den Wählern!)

Sie sind auf der Flucht vor der Verantwortung. Sie beweisen Ihre Technikfeindlichkeit dadurch, dass Sie nicht einmal in der Lage sind, die Bretter vor Ihren Köpfen abzumontieren.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU)

Sie manipulieren die Zahlen. Sie - Herr Merz an allererster Stelle - verfälschen tagtäglich den Inhalt des Gesetzes.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ja, ja! Darauf wird Ihnen Herr Bosbach gleich antworten! - Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Machen Sie weiter so! Das ist schön! - Michael Glos [CDU/CSU]: Das bringt Wähler!)

Sie behaupten, Sie könnten dem Gesetz nicht zustimmen. Die Wahrheit ist eher: Sie wollen dem Gesetz partout nicht zustimmen

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

oder - noch etwas genauer gesagt; gehen wir der Sache einmal auf den Grund -

(Zuruf von der SPD: Sie dürfen nicht!)

Sie dürfen nicht wollen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen des Abg. Friedrich Merz [CDU/CSU])

Sie dürfen nicht wollen, weil sich der Kandidat Stoiber auf die Rolle des Grantlers und Nörglers festgelegt hat

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das hätten Sie gern!)

und sich mit Händen und Füßen gegen einen vernünftigen Kompromiss sträubt.

(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Sagen Sie was zu den Inhalten, Herr Schily!)

Mit Sträuber-Stoiber können Sie aber nicht beweisen, dass man Ihnen guten Gewissens eine Regierungsbeteiligung anvertrauen darf.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Machen Sie doch nicht so viel Reklame!)

Wer sich einer verantwortlichen Politik verweigert, wer blockiert und der Vernunft den Weg zu versperren versucht, hat kein Vertrauen verdient.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Das ist gelesene Pöbelei! - Michael Glos [CDU/CSU]: Der Bundeskanzler ist auch schon übergelaufen!)

Die einst so stolze CDU/CSU-Fraktion bietet heute wirklich ein trostloses, ein klägliches Bild.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU/CSU)

Was Sie veranstalten, ist keine Opposition, sondern reine Obstruktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Machen Sie mal weiter so! Wenn Sie so weitermachen, werden Sie den Bayerischen Verdienstorden aberkannt bekommen!)

Sie wollen starrsinnig auf niemanden hören, nicht auf Dieter Hundt von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, nicht auf den Bundesverband der Deutschen Industrie, nicht auf die Gewerkschaften, nicht auf den DGB-Vorsitzenden Schulte, nicht auf den Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Herrn Braun,

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nicht auf Schily!)

nicht auf Herrn Philipp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, nicht auf den UNO-Flüchtlingskommissar, nicht auf die Vernünftigen in Ihren Reihen, nicht auf das Deutsche Rote Kreuz, nicht auf den Deutschen Städtetag, nicht auf den Deutschen Städte- und Gemeindebund

(Michael Glos [CDU/CSU]: Nur auf den Wähler!)

und nicht auf die Mehrheit des Volkes, die - schauen Sie auf die heutige Umfrage! - ein vernünftiges Zuwanderungssteuerungsgesetz will.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen versuchen Sie, Herr Glos, sich hier mit einem klassenkämpferischen Pathos als Spät-68er aufzuführen.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Dabei haben Sie aber zu erkennen gegeben, dass Ihnen jeglicher wirtschaftliche Sachverstand inzwischen abhanden gekommen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Der läuft wirklich zur Hochform auf!)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie wollen auf niemanden hören.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Machen Sie noch ein bisschen weiter so!)

Aber überhaupt nicht mehr verstehen kann ich, dass Sie auch nicht mehr auf die Kirchen hören,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Michael Glos [CDU/CSU]: Ich gehe zur Beichte!)

die Sie eindringlich mahnen, sich dem Zuwanderungsgesetz nicht in den Weg zu stellen. Die Worte von Kardinal Lehmann und von Präses Kock verhallen und beeindrucken Sie nicht.

(Ludwig Stiegler [SPD]: Alle exkommunizieren!)

Man braucht Sie nur anzuschauen, um festzustellen, dass Sie das überhaupt nicht mehr beeindruckt, was einer der herausragenden Kardinäle unseres Landes, Kardinal Lehmann, und was Präses Kock sagen.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Ich zahle immer noch Kirchensteuer! Der Großteil der Regierungsbank nicht!)

Sie müssen es sich gefallen lassen, dass Kardinal Sterzinsky Ihre Anträge als Schande brandmarkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie noch eine Spur von Ehrgefühl hätten, dann würden Sie sich dafür schämen, dass ein Kardinal die Anträge der CDU/CSU, die früher einmal stolz das "C" im Namensschild führte, als Schande bezeichnet.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Sehr souveräner Auftritt, Herr Minister!)

Warum können Sie denn die hoffentlich noch vorhandenen Rest bestände wirtschaftlicher Kompetenz und humanitärer Verantwortung nicht mobilisieren?

(Michael Glos [CDU/CSU]: Wir sind hier nicht bei einem Terroristenprozess! Sie könnten sich eines anderen Tones befleißigen!)

Versuchen Sie doch einmal, diese Dinge, wenn Sie sie verlegt haben, wieder aufzustöbern. Dann geht Ihnen vielleicht das Licht auf, dass Sie auf einen schlammigen Holzweg geraten sind. Kommen Sie zurück auf den geraden Weg der Vernunft und der Verantwortlichkeit, damit der Weg frei wird für die Reform des Zuwanderungs rechtes, die den wohlverstandenen Interessen unseres Volkes entspricht: den wirtschaftlichen, aber auch den sozialen. Stimmen Sie zu, damit die Wirtschaft agieren kann, damit Arbeitsplätze entstehen können, damit traumatisierte Menschen nicht von Tag zu Tag oder Monat zu Monat in Angst leben müssen, damit Frauen, die verfolgt werden und hier Schutz suchen, einen vernünftigen Aufenthaltsstatus bekommen und damit wir alle noch in den Spiegel schauen können, wenn wir uns fragen, ob wir die humanitären Prinzipien gewahrt haben. Ich glaube, das wäre an der Zeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Welchen Spiegel?)

Die Zeichen der Zeit, meine Damen und Herren, gebieten, dass wir ein Gesetz auf den Weg bringen, das zwar unter Schmerzen zustande gekommen ist - das ist sicherlich nicht zu bestreiten -,

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Die hat man Ihnen heute angehört!)

das aber zugleich die Möglichkeiten bietet, Zuwanderung in Zukunft so zu gestalten, dass die Menschenrechte gewahrt werden und die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes positiv beeinflusst wird.

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Selten so viel Dummheit auf einen Schlag!)

Ich bitte Sie alle noch einmal, in sich zu gehen,

(Wolfgang Zeitlmann [CDU/CSU]: Nach der Rede?)

und Sie von der CDU/CSU, Ihre Entscheidung zu überdenken und dem Gesetz zuzustimmen.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Dieses Dokument ist Bestandteil von
Zur documentArchiv.de-Hauptseite

Weitere Dokumente finden Sie in den Rubriken


19. Jahrhundert

Deutsches Kaiserreich

Weimarer Republik

Nationalsozialismus

Bundesrepublik Deutschland

Deutsche Demokratische Republik

International

 

Anmerkung:
[1] Im Deutschen Bundestag gaben im Anschluß an die Debatte 587 Abgeordnete ihre Stimme ab. Der Entwurf des Zuwanderungsgesetzes wurde mit 321 zu 225 Stimmen und 41 Enthaltungen angenommen und damit als Gesetz beschlossen.
In seiner Sitzung vom 22. März stimmte der Bundesrat nach heftiger Debatte und einer verfassungsrechtlich umstrittenen Abstimmung, die von lautstarker und vorher abgesprochener "Empörung" der CDU-geführten Länder begleitet wurde, mit einer knappen Mehrheit von 35 Stimmen ebenfalls für das Gesetz.
Bundespräsident Johannes Rau fertigte am 20. Juni 2002 das Zuwanderungsgesetz aus, nachdem er durch sorgfältige Prüfung der verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich der Abstimmung im Bundesrat zu dem Ergebnis gekommen war, dass "zweifelsfrei und offenkundig ein Verfassungsverstoß" nicht vorläge. Er verwies jedoch ausdrücklich auf die Möglichkeit, die Vorgänge der Abstimmung im Bundesrat durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Anschließend wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet und hätte somit zum vorbestimmten Zeitpunkt in Kraft können.
Daraufhin reichten die sechs CDU-regierten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen wegen der verfassungsrechtlich umstrittenen Bundesratsabstimmung Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts schloss sich am 18. Dezember 2002 der Auffassung der Union an. Er stellte fest, dass die Abstimmung im Bundesrat nicht verfassungsgemäß stattgefunden hatte. Aus diesem Grund trat das Zuwanderungsgesetz, trotz Verkündung im Bundesgesetzblatt, nicht in Kraft.


Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 222. Sitzung vom 01.03.2002 (Plenarprotokoll 14/222).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
Rede des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag (01.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_schily_03-01.html, Stand: aktuelles Datum.


Diese Dokumente könnten Sie auch interessieren:
Reden zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag (01.03.2002):
Rüdiger Veit (SPD), Friedrich Merz (CDU), Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grüne), Dr. Max Stadler (FDP), Petra Pau (PDS), Dr. Michael Bürsch (SPD), Michael Glos (CSU), Volker Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Roland Claus [I] (PDS), Sebastian Edathy (SPD), Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), Christel Riemann-Hanewinckel (SPD), Christa Lörcher (fraktionslos), Leyla Onur (SPD), Otto Schily (SPD), Wolfgang Bosbach (CDU), Gerhard Schröder (SPD), Dr. Angela Merkel (CDU), Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen), Roland Claus [II] (PDS), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
Reden zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern [Zuwanderungsgesetz] im Bundesrat (22.03.2002):
Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Sachsen (CDU); Heide Simonis, Schleswig-Holstein (SPD); Peter Müller [I], Saarland (CDU); Kurt Beck, Rheinland-Pfalz (SPD); Roland Koch, Hessen (CDU); Sigmar Gabriel [I], Niedersachsen (SPD); Jörg Schönbohm, Brandenburg (CDU); Dr. Fritz Behrens, Nordrhein-Westfalen; Herbert Mertin, Rheinland-Pfalz (FDP); Ruth Wagner, Hessen (FDP); Dr. h. c. Manfred Stolpe, Brandenburg (SPD); Otto Schily [I], Bundesinnenminister (SPD); Dr. Edmund Stoiber, Bayern (CSU); Otto Schily [II], Bundesinnenminister (SPD); Peter Müller [II], Saarland (CDU); Sigmar Gabriel [II], Niedersachsen (SPD); Dr. Günther Beckstein, Bayern (CSU); Otto Schily [III] (SPD)
Wortlaut der Abstimmung des Bundesrats über das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) und die daraus resultierenden Anträge bezüglich des festgestellten Abstimmungsergebnisses (22.03.2002)
Erklärung von Bundespräsident Johannes Rau zur Ausfertigung des Zuwanderungsgesetzes am 20. Juni 2002 im Schloss Bellevue in Berlin (20.06.2002)
Begleitbrief des Bundespräsidenten Johannes Rau an den Bundeskanzler und die Präsidenten von Bundestag und Bundesrat bezüglich der Unterzeichnung des Zuwanderungsgesetzes (20.06.2002)
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern [Zuwanderungsgesetz] (20.06.2002)


Dieses Dokument drucken!
Dieses Dokument weiterempfehlen!
Zur Übersicht »Bundesrepublik Deutschland« zurück!
Die Navigationsleiste von documentArchiv.de laden!


Letzte Änderung: 03.03.2004
Copyright © 2002-2004 documentArchiv.de