Rede des Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg Dr. h. c.
Manfred Stolpe (SPD) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur
Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern
(Zuwanderungsgesetz) im Bundestag
vom 22. März 2002
Dr. h. c. Manfred Stolpe (Brandenburg): Herr Präsident! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Bei allen Äußerungen und Aufgeregtheiten, die
vielleicht noch kommen, sollte der Konsens, der am heutigen Vormittag herauszuhören war,
nicht untergehen: Deutschland braucht ein Zuwanderungsregelungsgesetz. Ich habe dieses
Thema in den letzten Monaten intensiv begleitet und kann es nur zutiefst bedauern, dass es
nun doch im Wahlkampf gelandet ist.
Was mich außerordentlich verwundert - das betrifft auch erfahrene Politiker und
Politikerinnen - : Manche meinen wirklich, dass heute, am 22. März, in diesem Rund über
den 22. September entschieden wird. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Bis dahin ist es
noch sehr lange, und es werden viele Faktoren noch eine Rolle spielen. Ich kann Sie nur
bitten: Lösen Sie sich von dieser Vorstellung!
Meine Damen und Herren, verehrte Frau Wagner,
wenn das Zuwanderungsregelungsrecht zurückgestellt wird - nach allen Erfahrungen des
Gesetzgebungsverfahrens nicht für ein paar Monate, sondern etwa ein Jahr lang - , werden
wir alle Verlierer sein. Während dieser Zeit würden Emotionen gefördert. Wir alle
trügen indirekt dazu bei, dass Fremdenfeindlichkeit durch die reale Situation begünstigt
würde.
Das vorliegende Gesetz ist den Erwartungen des
Landes Brandenburg deutlich entgegengekommen. Doch will ich nicht verhehlen, dass ich
durchaus Sorgen habe.
Nach der bei der Arbeitsmigration erfolgten Veränderung ist vorgesehen, dass die
bundesweite Vermittlung deutscher Arbeitsuchender Vorrang vor der Zulassung
zusätzlicher ausländischer Arbeitskräfte hat. Dies muss aus der Sicht eines Landes mit
sehr hoher Arbeitslosigkeit sichergestellt sein. Ich fordere die Bundesregierung hiermit
auf, zu dieser Frage noch einmal ausdrücklich Stellung zu nehmen und hier zu bestätigen,
dass diese Sicherstellung auch im Verwaltungsvollzug, also bei den Verwaltungsanweisungen
des Bundesministers für Arbeit an die Bundesanstalt für Arbeit, erfolgt.
Was die Regelungen zum Schutz vor Abschiebung aus humanitären Gründen betrifft, muss
ebenfalls sicher sein, dass Abschiebeschutz nur bei Verfolgungshandlungen im
Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt wird. Die durch das Gesetz eingeräumte Möglichkeit, Schutz vor
Abschiebung zu erhalten, darf nicht über die Praxis in anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union hinausgehen, damit keine Sogwirkung nach Deutschland entsteht.
Ich bitte die Bundesregierung, sich auch hierzu noch einmal ausdrücklich zu äußern.
Schließlich habe ich die Sorge, dass nach der Absenkung der Altersgrenze für den
Nachzug lediger Kinder auf zwölf Jahre die neue Härtefallregelung ein schwer zu
kontrollierendes Einfallstor darstellt. Ich bitte, das bei den anstehenden
Überlegungen zu notwendigen Anwendungshinweisen und späteren Verwaltungsvorschriften zu
prüfen. Sollte sich herausstellen, dass die Regelung nicht die im Interesse einer
Integration der Kinder notwendige Filterwirkung entfaltet, so spreche ich mich schon heute
dafür aus, zu einem möglichst frühen Zeitpunkt neue Überlegungen zu dieser Bestimmung
anzustellen.
Fragen habe ich zu der neuen Härtefallregelung, wie sie in § 25
des Aufenthaltsgesetzes vorgesehen ist. Ich kann nicht ausschließen, dass sich diese
Bestimmung im Ergebnis als unpraktikabel, ja als die Ausländerbehörden zahlenmäßig
belastend herausstellt und dass sie möglicherweise die Verfahren verlangsamt. Aus meiner
Sicht muss die Härtefallregelung daher nach Ablauf von etwa zwei Jahren einer Überprüfung
im Hinblick auf ihre tatsächlichen Wirkungen und ihre rechtliche Ausgestaltung
unterzogen werden.
Die Überprüfung, ob die im Gesetz enthaltenen
Regelungen ausreichend sind, halte ich auch bei der Frage der Sanktionsmöglichkeit bei
Nichtteilnahme eines Ausländers an einem Integrationskurs für
erforderlich, wenn sich durch Verwaltungsvorschriften eine einheitliche und stringentere
Anwendung der Bestimmungen nicht erreichen lässt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns nach Ablauf einer gewissen Frist noch einmal
darüber nachdenken, ob der nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nach 36 Monaten
bestehende Anspruch auf Sozialhilfeleistungen vor dem Hintergrund der Leistungsfähigkeit
unserer Kommunen Bestand haben kann.
Lassen Sie uns in einem sachlicheren Klima, als es zurzeit offenbar möglich ist, die
Frage prüfen, ob die Regelung zur Terrorismusbekämpfung, die sich im
Aufenthaltsgesetz findet, ausreichend ist.
Schließlich erwarte ich zu der Frage der Aufteilung der Integrationskosten noch
befriedigende Aussagen.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben es
jetzt in der Hand, mit klaren Aussagen meine Entscheidung zu beeinflussen.
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