(Erste) Rede des Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) zum
Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und
der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im Bundestag
vom 22. März 2002
Otto Schily, Bundesminister des Innern: Herr Präsident, meine
Damen und Herren! Deutschland hat "im Unterschied zu den klassischen
Einwanderungsländern auf den Versuch einer Gesamtsteuerung des Zuwanderungsprozesses
verzichtet. Die Folge ist ein Ungleichgewicht zwischen sozialsystembezogener und
arbeitsmarktbezogener Zuwanderung in den letzten Jahren".
Diese beiden Sätze sind ein Zitat. Sie finden sich in dem Beschluss des Bundesausschusses
der CDU vom 7. Juni 2001, dem so genannten Müller-Papier. Beide Sätze sind eine
zutreffende Problembeschreibung.
Die Süssmuth-Kommission und die Stiegler-Kommission sind in ihren
jeweiligen Abschlussberichten zu ähnlichen Feststellungen gelangt.
Auch in jüngster Zeit klagt der Ministerpräsident eines großen Bundeslandes, eines
Freistaates, die gegenwärtige Mischung unserer Zuwanderung sei schlecht, größere
Wettbewerbsfähigkeit im Hinblick auf die Fachkräfte sei erforderlich. Deutschland müsse
ein attraktiver Raum für die hellsten Köpfe in der Welt sein. Im Wettbewerb um kreative,
um gute Leute sei Deutschland zu schwach.
Das sind goldene Worte des bayerischen Ministerpräsidenten, die aber, Herr
Ministerpräsident Stoiber, nur dann
glaubwürdig sind, wenn ihnen auch Taten folgen.
Dies ist umso notwendiger, als das Ungleichgewicht zwischen sozialsystembezogener und
arbeitsmarktbezogener Zuwanderung nicht nur eine akademische Frage und ein Thema für
wissenschaftliche Untersuchungen ist, sondern konkrete Auswirkungen auf die Haushalte
von Bund, Ländern und Kommunen hat. Sehr vereinfacht ausgedrückt bedeutet die
Aufrechterhaltung des Verzichts auf eine Gesamtsteuerung des Zuwanderungsprozesses für
die Zukunft auf der einen Seite mehr Sozialhilfeausgaben, auf der anderen Seite weniger
Einnahmen aus Lohn- und Einkommensteuern.
Meine Damen und Herren, ich bin der Debatte am heutigen Vormittag sehr aufmerksam gefolgt
und stelle fest, dass es bemerkenswerte Unterschiede in den Darlegungen gegeben
hat.
Herr Professor Biedenkopf, dem auch
ich meine besondere Reverenz für seine politische Bilanz zum Ausdruck bringen möchte,
hat ausgeführt, wir brauchten kein Zuwanderungsgesetz, wir könnten alles administrativ
regeln. Die übrigen Fragen könnten wir vielleicht in 20 Jahren nach einer intensiveren
Debatte angehen. Das stimmt jedenfalls nicht mit den Aussagen derjenigen überein, die ein
Zuwanderungsgesetz wollen. Selbst Herr Ministerpräsident Stoiber will, wie er angekündigt hat, ein
Zuwanderungsgesetz in nächster Zukunft auf den Weg bringen, allerdings erst in der
nächsten Legislaturperiode. Ich komme darauf zurück.
Herr Professor Biedenkopf, ich will
einen Punkt ansprechen, in dem ich Ihnen vollkommen Recht gebe: Wir sollten die Frage der
Zuwanderungspolitik nicht losgelöst von anderen Politikfeldern betrachten. Deshalb hat
die Bundesregierung immer großen Wert darauf gelegt, die Zuwanderungsgestaltung in der
Nachbarschaft auch von Bildungs- und Ausbildungspolitik zu sehen.
Sie haben die Green Card angesprochen und dankenswerterweise gesagt, dass Sie diese
Initiative als verdienstvoll ansehen. Ich will darauf hinweisen, dass es der
Bundesregierung gelungen ist, die Zahl der Ausbildungsplätze im IT-Bereich von 14 000 im
Jahr 1998 auf heute 70 000 zu steigern und dass die Zahl der Studienanfänger im
IT-Bereich, die im Jahre 1998 bei etwas mehr als 10 000 lag, heute bereits auf mehr als 25
000 gestiegen ist. Ich meine, dass man das beachten sollte.
Meine Damen und Herren, alle gesellschaftlichen Kräfte mahnen uns, die notwendige Reform
des Zuwanderungsrechtes nicht länger hinauszuschieben. Dazu gehören der Bundesverband
der Deutschen Industrie, die deutschen Industrie- und Handelskammern, der Deutsche
Arbeitgeber- Verband, der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Dazu gehören
zahlreiche Branchenverbände der deutschen Wirtschaft. Dazu gehören die Gewerkschaften.
Dazu gehören die Kirchen. Und dazu gehören die Städte und Gemeinden. Ich
meine, es ist bemerkenswert - das ist bei einer Gesetzgebungsinitiative keine alltägliche
Erscheinung -, dass man den Beifall von beiden Seiten findet, von der Arbeitgeberseite und
der Gewerkschaftsseite. Das ist wirklich einer besonderen Hervorhebung wert. Hier haben
wir die gemeinsame Überzeugung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, dass eine solche
Regelung notwendig ist. Hinter dieser Überzeugung steht auch der Sachverstand, der sich
aus der alltäglichen Arbeit ergibt.
Deshalb appelliere ich an Sie alle, dem vorliegenden Gesetz
zuzustimmen, mit dem ein modernes, wirtschaftsfreundliches, flexibles und
unbürokratisches Regelsystem für die Zuwanderung geschaffen wird, das eine Begrenzung
und Steuerung der Zuwanderung unter Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit der
Bundesrepublik und unter Wahrung humanitärer Verpflichtungen ermöglicht.
Das Gesetz ist das Ergebnis eines sehr umfassenden
und intensiven Diskussionsprozesses, in den alle politischen Kräfte unseres Landes und
insbesondere die Länder einbezogen worden sind. Wo immer Gesprächsbereitschaft bestand,
habe ich sie zu nutzen versucht. Leider war die Gesprächsbereitschaft nicht bei allen
immer vorhanden. Zeitweise wurden Gespräche rundweg abgelehnt. Einige sind
Gesprächen ausgewichen oder haben die Gesprächstermine, die vereinbart waren, abgesagt.
In manchen Gesprächen hieß es - das erinnert mich an die Vieraugenthematik von Herrn
Ministerpräsidenten Gabriel -, man
könne nur für sich, nicht für jemand anderen reden.
Ich will Ihnen auch nicht verschweigen - ich möchte hier niemanden in Verlegenheit
bringen -, dass ich in Gesprächen durchaus wahrgenommen habe, wer auf wen auf Grund
welcher Überlegungen Druck ausgeübt hat. Wer hier wo unter welchen Vorzeichen und nach
welchen Melodien Regie führt, kann jeder selber beurteilen.
Als Ergebnis dieser mühevollen Vorarbeit ist ein Gesetzeswerk
entstanden, in dem sich Vorschläge und Anregungen aus allen Parteien und aus allen
Bundesländern wiederfinden. Dabei ist uns zugute gekommen - dabei bleibe ich, obwohl
manche das nicht wahrhaben wollen - , dass sich die Kernaussagen der Parteien zur
Frage der Zuwanderung nur unwesentlich unterscheiden.
Ich bedanke mich bei allen, übrigens besonders bei den kleineren Parteien, die an dem Gesetzeswerk konstruktiv mitgearbeitet haben.
Vielleicht kann man daran erinnern, dass gerade die kleineren Parteien mitunter besonders
konkurrieren. Aber sie waren - ich nenne beispielsweise konkret die FDP und Bündnis
90/Die Grünen - in der Lage, ihre Vorstellungen konstruktiv einzubringen, ohne sich an
einer bestimmten Stelle zu verhaken. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken.
Keine Seite konnte aber erwarten - das gilt in jeder Situation - , dass wir ihre Forderung
zu 100% in das Gesetz übernehmen. Wer für sich
einseitig die hundertprozentige Einlösung seiner Forderungen verlangt, will in Wahrheit
kein Zuwanderungsgesetz.
Deshalb verspreche ich mir auch nichts von einer Fortsetzung im Vermittlungsverfahren; ich
will Ihnen das ganz offen sagen. Das Vermittlungsverfahren hat sozusagen bereits über
Monate - um nicht zu sagen: über Jahre - hinweg stattgefunden. Wir können das
Ganze nicht als eine Drehtürmechanik verstehen. Denn wenn sich einer immer nur im Kreis
dreht, kommt man nicht voran.
Man muss sich vielmehr die Frage stellen: Sind die Vorstellungen, die im Gesetz enthalten sind, nicht auf jeden Fall eine
deutliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen ungesteuerten Rechtszustand, selbst wenn
die eigenen Vorstellungen an der einen oder anderen Stelle nicht zu 100% realisiert
werden?
Eines muss ich ja nun auch feststellen: Wenn man über diese Fragen spricht, kann man
nicht einfach erklären: Bündnis 90/Die Grünen beispielsweise müssen sich mit
ihren Vorstellungen auf jeden Fall seitwärts in die Büsche schlagen. - Ich darf darauf
hinweisen, dass Bündnis 90/Die Grünen an Koalitionen beteiligt sind. Sie sind an der
Koalition auf der Bundesebene und an Koalitionen auf Landesebene beteiligt. Man kann doch
nicht erwarten, dass Bündnis 90/Die Grünen sagen: Wir sind hier quasi nur die
Sättigungsbeilage.
(Heiterkeit)
Jeder muss zu seinem Recht kommen. Das gilt für alle Seiten, für die CDU/CSU
gleichermaßen wie für die SPD, für die FDP und für Bündnis 90/Die Grünen.
Niemand kann ein Diktat ausüben. Ich habe so etwas von einem Landesinnenminister, mit dem
ich auf gutem Fuße stehe, mit dem ich guten Gesprächskontakt habe und den ich
persönlich sehr schätze, durchaus gehört. Er sagte: Wenn nicht 100% unserer Forderungen
erfüllt werden, kann daraus nichts werden. - So geht es nicht; das ist kein Kompromiss.
Meine Damen und Herren, wir können uns auch nicht auf eine unbestimmte Zukunft
vertrösten lassen. Wir müssen uns heute entscheiden. Ich komme auf Sie zurück, Herr
Ministerpräsident Stoiber. Wenn Sie,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Stoiber,
ein Zuwanderungsgesetz für die nächste Legislaturperiode in Aussicht stellen,
muss ich Sie fragen: Mit welcher Mehrheit wollen Sie das erreichen? Selbst für den
höchst unwahrscheinlichen Fall, dass Sie im Herbst die Bundestagswahl gewinnen, haben Sie
weder im Bundestag noch im Bundesrat eine Mehrheit für das von Ihnen geplante
Zuwanderungsverhinderungsgesetz. Sie werden auch die FDP nicht an Ihrer Seite finden.
Übrigens will ich Sie auf einen kleinen Unterschied aufmerksam machen. Er ist nicht
besonders erheblich; aber er ist bemerkenswert und interessant. Schauen Sie sich einmal
den Antrag des Landes Rheinland-Pfalz auf Anrufung des Vermittlungsausschusses an! Da gibt
es etwas, was ich durchaus für richtig und für bedenkenswert halte und was sich meiner
Meinung nach auch mit dem Gesetz vereinbaren lässt.
Das Land Rheinland-Pfalz rückt nämlich gerade ein Anliegen der FDP, den regionalen
Arbeitsmarktbedarf, sehr stark in den Vordergrund. Wenn ich Herrn Müller heute richtig verstanden habe,
sagt er, es solle eigentlich mehr Planwirtschaft sein. Da solle eine Plankommission
eingesetzt werden, wie es ursprünglich einmal auch in Entwürfen auf Seiten der CDU/CSU
vorgesehen war. Die Plankommission solle eine Quote festlegen. Ich weiß nicht, was das
für die Entscheidung eigentlich bringen soll. Da gibt es durchaus ein Spannungsfeld; in
Einklang zu bringen ist das alles nicht.
Wir haben ein Missverständnis im Gesetz beseitigt. Das war auch richtig; ich bin Ihnen
für Ihren Hinweis dankbar, Herr Ministerpräsident Müller. In § 39 konnte das Missverständnis entstehen - ich
komme darauf nachher noch zurück -, dass wir etwa nur nachteilige Auswirkungen auf den
regionalen Arbeitsmarkt berücksichtigten. Das wäre falsch, so war es nicht gemeint.
Vielmehr soll eine Entscheidungsstruktur geschaffen werden, die situationsangepasst und
flexibel reagieren kann. Das ist wirtschaftsfreundlich. Das ist auch wirtschaftlich
gedacht, das ist sozialmarktwirtschaftlich und nicht planwirtschaftlich gedacht.
Selbstverständlich müssen aber etwaige nachteilige Auswirkungen auf den nationalen
Arbeitsmarkt bedacht werden. Ein solcher Gesichtspunkt stünde dann einer Entscheidung
entgegen.
Meine Damen und Herren, das geltende Ausländergesetz beschränkt sich weitgehend
auf die Regelung derjenigen Zuwanderungstatbestände, die wir aus rechtlichen Gründen
hinnehmen müssen, sei es die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen und politisch
Verfolgten, sei es der Nachzug von Familienangehörigen. Schon diese Regelungen sind zum
großen Teil unzeitgemäß und zu unflexibel, um sich den wandelnden Erfordernissen
anzupassen. Zuwanderung, die wir im eigenen wirtschaftlichen Interesse ermöglichen
wollen, ist allenfalls lückenhaft, jedenfalls nicht in einer den tatsächlichen
Bedürfnissen gerecht werdenden Weise geregelt.
Zur Illustrierung der Beschwernisse und Defizite der geltenden Rechtslage darf ich Ihnen
einige Probleme in Erinnerung bringen, mit denen sich die Innenministerien und die
Ausländerbehörden Ihrer Länder seit Jahren herumplagen und weiter herumplagen werden,
wenn es bei der alten Rechtslage bleibt.
Es gibt nun einmal einen regional und sektoriell begrenzten Arbeitskräftebedarf -
Frau Wagner hat vorhin davon gesprochen,
andere haben davon gesprochen - auch außerhalb der Kategorie der Hochqualifizierten, der
auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gedeckt werden kann und bei dem die Länder Interesse
an flexibler situationsangepasster Abhilfe haben.
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an den Beschluss der Innenministerkonferenz vom
Mai vergangenen Jahres, der eine Bleiberechtsregelung zu Gunsten erwerbstätiger
Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien vorsah, die für ihre
Arbeitgeber unentbehrlich waren. Dieser Beschluss kam zu Stande, nachdem Baden-Württemberg
zuvor auf Landesebene - übrigens auf Ihre Initiative, Herr Ministerpräsident Teufel,
wenn ich mich recht erinnere - eine entsprechende Regelung vorweggenommen hatte.
Zu erinnern ist ferner an die Initiative der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz zu
Gunsten einer Verordnung für die Anwerbung von Haushaltshilfen bei Familien, die
pflegebedürftige Angehörige zu betreuen haben. Das war, Herr Ministerpräsident Koch, eine vernünftige Initiative meines
Kollegen Bouffier, weil man verhindern will, dass Menschen mit pflegebedürftigen
Familienangehörigen in ihrer Berufsausübung beeinträchtigt werden, wenn sie keine
entsprechenden Hilfskräfte zur Verfügung haben. Ich habe dem ausdrücklich zugestimmt
und mich auch dafür eingesetzt, dass eine Regelung gefunden wurde.
Niemand ist in den genannten Fällen auf den Einfall gekommen, diese Beschlüsse als
Benachteiligung deutscher Arbeitsuchender und im Hinblick auf die leider noch hohe Zahl
von Arbeitslosen in Deutschland als unannehmbar abzulehnen. Es ging in den genannten
Fällen immer nur um einen Arbeitskräftebedarf, der auf dem inländischen Arbeitsmarkt
gerade nicht gedeckt werden konnte.
Das neue Zuwanderungsrecht erlaubt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke
der Erwerbstätigkeit nach dem gleichen Muster, aber eben in einer allgemeineren
Form, damit wir nicht immer unter Mühsalen jeweils nur eine Einzelregelung zu Stande
bringen, ebenso dann und nur dann - nur dann; ich möchte es dreimal wiederholen: nur dann
-, wenn eine offene Stelle nicht aus dem vorhandenen inländischen Arbeitskräftepotenzial
besetzt werden kann. Das heißt, der Vorrang des einheimischen Arbeitsuchenden ist zu
100% sichergestellt.
Das sage ich besonders an die Adresse von Herrn Ministerpräsidenten Stolpe, der das angemahnt hat. Ich bin
gerne bereit, dies in den Anwendungshinweisen und in den später folgenden
Verwaltungsvorschriften noch einmal deutlich zum Ausdruck zu bringen. Ich komme am Ende
auf alle Fragen, die Sie angesprochen haben, zurück.
Das Zuwanderungsgesetz ermöglicht auch das Überwechseln
von einem rein humanitär begründeten und damit an das Fortbestehen einer
Gefährdungssituation gebundenen Aufenthaltsrecht in einen Erwerbsaufenthalt, wenn
ein entsprechendes Arbeitsmarktbedürfnis auf dem bundesweiten - also nicht nur dem
regionalen - Arbeitsmarkt nicht gedeckt werden kann. Nach dem geltenden Recht können
solche Problemlagen nur mit der schwerfälligen Prozedur eines Beschlusses der
Innenministerkonferenz oder mit einer Rechtsverordnung des Bundes gelöst werden. Das neue
Zuwanderungsgesetz ermöglicht stattdessen eine
rasche und flexible Entscheidung der zuständigen Landesbehörde unter Mitwirkung
der Bundesanstalt für Arbeit. Die noch zu erlassende Rechtsverordnung sowie
Verwaltungsvorschriften werden sicherstellen, dass diese Bestimmungen bundesweit nach
einheitlichen Grundsätzen angewandt werden.
Allerdings ist vorgesehen, dass ein Übergang vom Asylverfahren in das
Zuwanderungsverfahren ausgeschlossen ist. Das halten wir für notwendig, damit der
Missbrauch von Asylverfahren zurückgedrängt wird.
Herr Ministerpräsident Müller, damit
dürften alle Ihre Bedenken entkräftet sein.
Um es noch einmal zu betonen: Im so genannten Regelverfahren nach § 39 des Gesetzes
kann einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsaufnahme nur dann erteilt
werden, wenn für die offene Stelle kein inländischer Arbeitsuchender zur Verfügung
steht. Der Vorrang einheimischer Arbeitsuchender ist damit in der Gesetzessystematik
sichergestellt. Nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt können nach dem
ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes nicht
entstehen.
Bei einer vorurteilsfreien Bewertung kann daher niemand ernsthaft die Behauptung
aufrechterhalten, das neue Zuwanderungsgesetz sei
angesichts der hohen Zahl von Arbeitslosen in Deutschland problematisch. Denn wie gesagt:
Durch die Gesetzessystematik ist der Vorrang deutscher Arbeitsuchender stets und
ausnahmslos gesichert.
Nun sieht das Gesetz in § 20 allerdings
die Möglichkeit vor - Herr Ministerpräsident Müller hat sich damit beschäftigt -, den
Zuzug einer bestimmten Zahl besonders qualifizierter Arbeitskräfte nach einem
Punktesystem zuzulassen. Kanada hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Dabei
handelt es sich aber - dieser Aspekt darf nicht beiseite geschoben werden - lediglich um
eine gesetzliche Option. Von ihr kann Gebrauch gemacht werden, wenn zuvor eine
Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates die Kriterien für die
Auswahl der Zuwanderungsbewerber bestimmt hat. Ehe Zuzug nach dem Punktesystem zugelassen
wird, muss auf der Grundlage des Gesetzes eine Mehrheit im Bundestag und im Bundesrat zu
Stande kommen. Sie müssen sich heute nicht dagegen sperren, eine Option in das Gesetz
einzufügen. Sie haben es nach wie vor in der Hand, ob Sie von der Option Gebrauch machen
wollen oder nicht.
Wann die Voraussetzungen für eine solche Entscheidung als gegeben angesehen werden,
lässt sich sicherlich nicht punktgenau voraussagen. Herr Professor Biedenkopf hat vollkommen zu
Recht, wie ich meine, gesagt, darüber müssten wir miteinander reden, wir brauchten einen
gesellschaftlichen Diskussionsprozess, dazu bedürfe es wissenschaftlicher Untersuchungen.
Ich gehöre gewiss nicht zu denen, die an dieser Stelle die Demografie bemühen. Ich bin
nicht der Meinung, dass wir alles an demografischen Grundsätzen orientieren können.
Zuwanderung kann demografische Probleme keineswegs zu 100%, allen- falls zu einem gewissen
Teil lösen.
Nach Einschätzung von Sachverständigen kommt eine Entscheidung in dieser Richtung
ohnehin frühestens zu einem Zeitpunkt nach dem Jahr 2010 in Betracht. In zahlreichen
Fachgutachten ist allerdings nachzulesen, dass es auf Grund der demografischen
Entwicklung aller Voraussicht nach in der zweiten Dekade unseres Jahrhunderts zu einem
gravierenden Fachkräftemangel kommt. Im Sinne einer vorausschauenden Politik ist
es daher geboten, für die Zukunft gerüstet zu sein, damit im
Bedarfsfall schnell und flexibel reagiert werden kann, ohne dass erst wieder ein mühsamer
Gesetzgebungsprozess absolviert werden muss. Das Punkteverfahren als Option kann nicht als
Grund für die Ablehnung des Zuwanderungsgesetzes
herhalten, weil sich der Bundesrat heute noch nicht festlegen muss, ob in Zukunft von
dieser Option Gebrauch gemacht werden soll.
Ein anderes Problem stellt sich allerdings bereits heute. Wir brauchen im Interesse
unserer Wirtschaft und Wissenschaft die Zuwanderung hoch qualifizierter Fachkräfte. Wir
müssen, wie Herr Ministerpräsident Stoiber
betont hat, am Wettbewerb um die besten Köpfe in der Welt teilnehmen. Durch die Green-Card-Verordnung
sind inzwischen mehr als 11 000 Fachkräfte auf dem Gebiet der IT-Technologie nach
Deutschland gekommen. Damit war zugleich die Schaffung von zehntausenden von
Arbeitsplätzen für Arbeitsuchende in Deutschland verbunden. Daran sieht man, dass bei
einer geregelten und gezielten Zuwanderungspolitik keine Belastung, sondern eine Entlastung
des Arbeitsmarktes zu Stande kommt. Die Green-Card-Regelung wird weiterhin in Anspruch
genommen, obwohl es der IT-Branche zeitweise nicht besonders gut ging. Die meisten
IT-Fachleute sind nach Bayern und Baden-Württemberg gegangen. Auch Herr
Ministerpräsident Stoiber hat
inzwischen dankenswerterweise angekündigt, dass er an der Green Card - in Bayern heißt
sie Blue Card - festhalten will.
Wenn wir im Wettbewerb um die weltbesten Köpfe mithalten wollen, müssen wir mehr bieten,
als wir heute bieten können. Bei Verhandlungen über die Ansiedlung großer Unternehmen
oder internationaler Organisationen bieten andere Staaten nicht selten attraktivere
Aufenthaltsbedingungen. Nach dem geltenden Recht können wir nicht einmal einem Nobelpreisträger
von Anfang an einen dauerhaften Aufenthaltstitel anbieten. Sie können ihm weder
gestatten, sein kurz vor der Volljährigkeit stehendes Kind mitzubringen, noch zusagen,
dass sein Ehepartner in Deutschland eine Erwerbstätigkeit ausüben darf. Das Ergebnis ist
verständlicherweise allzu oft, dass sich die umworbene Spitzenkraft gegen ein Engagement
in Deutschland entscheidet. Hier hilft keine Blue Card oder Green Card, sondern nur ein
grundsätzlich stärker an den eigenen wirtschaftlichen Interessen unseres Landes
orientiertes Zuwanderungsrecht. Nach dem Zuwanderungsgesetz werden wir in der Lage sein,
den hoch qualifizierten Fachkräften, die wir im eigenen Interesse für unser Land
gewinnen wollen, entsprechende Konditionen anzubieten. Selbstverständlich gilt aber auch
bei Hochqualifizierten das Vorrangprinzip zu Gunsten einheimischer Arbeitsuchender oder,
wenn ich ironisch hinzufügen darf, einheimischer Nobelpreisträger.
Ferner weise ich auf die Dauerproblematik der ausländischen Studienabsolventen hin.
Herr Ministerpräsident Teufel hat kürzlich in einem Interview erklärt, dass
Baden-Württemberg mit Stipendien um ausländische Studentinnen und Studenten wirbt. Dazu
gratuliere ich Ihnen. Andere Länder werden sicherlich ähnlich verfahren. Die auf Kosten
des jeweiligen Landes ausgebildeten Hochschulabsolventen müssen aber am Ende ihres
Studiums unser Land wieder verlassen. Der Absolvent kann noch so brillant und der
Arbeitsmarktbedarf noch so groß sein, das geltende Recht lässt uns keinen Spielraum.
Solche Entscheidungen, die zu Recht als unsinnig angesehen werden, müssen die
Ausländerbehörden täglich gegenüber den Steuerzahlern, den Arbeitgebern und den
betroffenen jungen Wissenschaftlern vertreten. Dagegen ermöglicht das künftige Zuwanderungsgesetz flexible, bedarfsgerechte und vor
allem am wirtschaftlichen Interesse unseres Landes orientierte Lösungen.
Während wir nach dem derzeit geltenden Recht auf der einen Seite gut ausgebildete, von
der Wirtschaft dringend benötigte Fachkräfte zur Ausreise zwingen müssen, bleibt auf
der anderen Seite - mitunter über viele Jahre hinweg - nichts anderes übrig, als
Ausländer zu alimentieren, denen unter keinem Gesichtspunkt ein Bleiberecht zusteht, die
aber durch die Verschleierung ihrer Identität ihre Rückführung sabotieren. Die Kommunen
klagen seit Jahren über diese Belastung. Wer das neue Zuwanderungsrecht ablehnt,
entscheidet sich zugleich dafür, die bestehenden Missstände nicht zu bereinigen, sondern
bestehen zu lassen.
Das neue Zuwanderungsrecht sieht eine Palette von Maßnahmen vor, mit denen die Verschleierung
der Identität ausreiseunwilliger Ausländer effektiver bekämpft und die Ausreise
besser durchgesetzt werden kann. Ausländer, die ohne Pass oder Ausweispapiere angetroffen
werden, sind in Zukunft explizit verpflichtet, an der Beschaffung der Dokumente mitzuwirken.
Die Verweigerung ist bußgeldbewehrt. Wer Maßnahmen zur Feststellung oder
Sicherung seiner Identität nicht duldet, macht sich strafbar. Die
Durchsuchungsmöglichkeit wurde - übrigens auf Verlangen des Bundesrates - erweitert.
Bisher blieb die Identitätsverschleierung für den Aufenthaltsstatus folgenlos. In
Zukunft hat sie zur Folge, dass sowohl die Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch die
Gestattung der Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sind und dauerhaft nur abgesenkte
Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden.
Geschaffen wird die Rechtsgrundlage für die Einweisung in ein Ausreisezentrum, in
dem durch gezielte Betreuung die Bereitschaft zur Ausreise gefördert werden soll.
Der Aufenthaltsbereich vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer wird räumlich
beschränkt. Rechtsmittel gegen eine derartige Wohnsitzauflage haben keine
aufschiebende Wirkung. Der Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung ist bußgeldbewehrt.
Der mehrfache Verstoß ist eine Straftat. Für Maßnahmen zur Durchsetzung der
räumlichen Beschränkung sind der Ausländer und derjenige, der für seinen
Lebensunterhalt haftet, regresspflichtig.
Viele dieser Vorschriften gehen auf Forderungen des Bundesrates zurück und
dürften insgesamt die Chancen auf eine Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger
Ausländer erheblich verbessern. Alles das lassen Sie aus, alles das lassen Sie liegen,
wenn Sie dem Gesetz nicht zustimmen.
Eine Reihe von Maßnahmen zur strikten Durchsetzung der Ausreisepflicht ist nur mit dem
neuen Zuwanderungsgesetz möglich, weil es besser
als das bisher geltende Ausländergesetz zwischen Ausländern, die nicht ausreisen wollen,
und solchen, die nicht ausreisen können, unterscheidet.
Die Neuordnung der humanitären Aufenthaltsrechte ist ebenfalls ein Schritt zu
einer rationaleren und mit der europäischen Rechtsentwicklung kompatiblen Politik. Alle
Sachverständigen, auch die Kommission unter Vorsitz von Herrn Ministerpräsidenten Müller, haben gefordert,
Bürgerkriegsflüchtlingen und anderen Ausländern, bei denen langfristig
Abschiebungshindernisse aus humanitären Gründen bestehen, ein über die bloße Duldung
des Aufenthaltshinausgehendes befristetes Aufenthaltsrecht zu gewähren.
Umgekehrt führt die Zuerkennung des Asylrechts - des Asylrechts! - nicht
mehr sofort zu einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, sondern zunächst ebenfalls zu
einem befristeten Aufenthaltstitel mit einer Überprüfung nach drei Jahren.
Die bisher schon bestehende Überprüfungsmöglichkeit existiert derzeit weitgehend
nur auf dem Papier. Durch die Einführung der Dreijahresfrist wird zumindest einmal die
obligatorische Überprüfung, ob die Gefährdungssituation fortbesteht, gewährleistet.
Darüber hinaus sieht das Zuwanderungsgesetz
zahlreiche Maßnahmen vor, um den Missbrauch des Asylrechts einzudämmen -
von der Verweisung in das Folgeverfahren von Asylsuchenden, die der Weiterleitung zur
förmlichen Asylantragstellung nicht folgen, bis hin zum Ausschluss selbst geschaffener
Nachfluchtgründe im Folgeverfahren.
Bei der Frage der nichtstaatlichen und der geschlechtsspezifischen Verfolgung haben
wir uns strikt an die Vorgaben gehalten, die von Herrn Ministerpräsident Stolpe und von Herrn Ministerpräsident Müller formuliert worden sind. Das
heißt, dass wir in dem Gesetzestext ausdrücklich
auf die Genfer Flüchtlingskonvention Bezug nehmen und festlegen, dass Abschiebungsschutz
- was übrigens der geltenden Rechtslage entspricht - nur im Rahmen der Genfer
Flüchtlingskonvention gewährt wird. An die Adresse von Herrn Ministerpräsident Stolpe gerichtet sage ich: Das werden wir
in den Anwendungshinweisen und den daraus folgenden Verwaltungsvorschriften noch einmal
unterstreichen.
Das neue Zuwanderungsgesetz bewirkt daher keine
Ausdehnung der Schutzwirkung, sondern lediglich eine Statusverbesserung. Wir
befinden uns daher im Einklang mit den Forderungen von Herrn Ministerpräsident Müller und auch in einem entsprechenden
Entschließungsantrag der CDU/CSU-Fraktion, der sich mit der geschlechtsspezifischen
Verfolgung beschäftigt.
Herr Ministerpräsident Müller, Sie
haben Herrn Professor Hailbronner, den ich sehr schätze, zitiert. Ich habe einen
Mitarbeiter gebeten, sich bei Herrn Hailbronner zu erkundigen: Er kennt nach eigener
Aussage den jetzt vorliegenden Text. Seine Äußerung bezieht sich nicht auf den jetzt
geltenden Gesetzestext. Sie ist vor dem 1. März
gefallen. Sie wissen, dass das Gesetz im Bundestag
am 1. März beschlossen wurde. Dieses Zitat müssen Sie also leider beiseite lassen. Wenn
wir uns zu dritt - ich biete Ihnen das ausdrücklich an - mit Herrn Professor Hailbronner
treffen, wird er meine Auffassung bestätigen, dass in dem Gesetzestext sichergestellt ist, dass wir uns strikt an
die Genfer Flüchtlingskonvention halten. Vielleicht kann er zum Zuwanderungsgesetz einen Kommentar verfassen; das wäre
ein gutes Vorhaben.
Jedenfalls meine ich, dass durch die Fassung "In Anwendung des Abkommens über die
Rechtsstellung der Flüchtlinge" schon sichergestellt ist, dass der Rahmen nicht
überschritten werden kann. Wenn an anderer Stelle - das ist schon tautologisch - wieder-
holt wird "Die Voraussetzungen des Satzes 1 liegen bei nichtstaatlicher Verfolgung
nur vor, wenn es sich um Verfolgung im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der
Flüchtlinge . . ." - also der Genfer Flüchtlingskonvention - "handelt",
wird das noch einmal hervorgehoben. Dann bleibt an dieser Stelle wirklich keine Unklarheit
bestehen. Ich sage zu, das in den Anwendungshinweisen und den Verwaltungsvorschriften noch
einmal zum Ausdruck zu bringen.
Die in das Gesetz neu aufgenommene Härtefallregelung
entspricht einer Forderung auch unionsgeführter Landesregierungen. Ich erinnere daran
- das wird hier nicht in Abrede gestellt -, dass Herr Ministerpräsident Müller in der Dezember- Sitzung des
Bundesrates diese Forderung erhoben hat; sie ist aber auch von anderer Seite gestellt
worden. Herr Hardraht, Innenminister von Sachsen, hat in der Innenministerkonferenz eine
Härtefallregelung angemahnt. Herr Schönbohm
ist im Prinzip auch dafür. Schleswig-Holstein fordert seit langem eine
Härtefallregelung.
Nun muss man in der Tat darüber reden, wie eine solche Härtefallregelung am besten
ausgestaltet wird. Dazu sage ich Ihnen Folgendes: Herr Ministerpräsident Müller, Sie unterliegen einem
Missverständnis. Dass die Härtefallregelung zur Anwendung kommen kann, hat zwei
Voraussetzungen - jetzt spreche ich Herrn Rechtsanwalt Müller an - : eine materiell-rechtliche
und eine formalrechtliche Voraussetzung. Es muss sich materiell-rechtlich um einen
Härtefall in der allgemeinen Form, wie er hier beschrieben ist, handeln. Die formalrechtliche
Voraussetzung ist die wichtigere. Ein Härtefall kann in Abweichung von einer bereits
bestehenden abschließenden Entscheidung der Ausländerbehörde nur dann angenommen
werden, wenn es ein entsprechendes Ersuchen einer Härtefallkommission gibt.
Ob es zu einem solchen Ersuchen kommt, hängt jeweils davon ab, wie das einzelne Land die
Härtefallkommission ausgestaltet. Ich habe von Herrn Ministerpräsident Gabriel gehört, dass er, wenn ich es
richtig mitbekommen habe, vielleicht den Petitionsausschuss seines Landtages einsetzt. Es
steht Ihnen völlig frei, Einstimmigkeit oder eine qualifizierte Mehrheit festzulegen; Sie
können die Hürde sehr hoch legen. Sie können auf eine Hürde auch verzichten; es steht
Ihnen frei. Sie dürfen es aber tun.
Es ist sinnvoll, das zu tun, weil wir auf Grund von zahllosen Fällen - hier sollten wir
uns nichts vormachen; dabei will ich auf das Vieraugenprinzip von Herrn Ministerpräsident
Gabriel zurückkommen - ständig damit
konfrontiert werden, dass aus allen Parteien, wie ich betone, geltend gemacht wird - das
gerät häufig in meine Post -: Nach den Buchstaben des Gesetzes ist die Entscheidung zwar
richtig, aber bitte lassen Sie in diesem Fall fünfe gerade sein. - Herr
Ministerpräsident Stoiber, das ist ein
Schreiben - ich will nicht den Wortlaut herzeigen, sondern nur den Briefkopf - der
Christlich Sozialen Union, Kreisgeschäftsstelle XY; ich will und darf die Einzelheiten
nicht vortragen. Darin wird auf den Fall einer Person hingewiesen, die sich seit 1995 in
Deutschland befindet, mit jemandem zusammenlebt, Kinder hat und bis Ende dieses Monats
unser Land verlassen soll. Man setzt sich dafür ein, dass diese Person hier bleibt. Das
ist ehrenwert und spricht für den Absender. Warum soll man dafür nicht die Möglichkeit
einer Härtefallkommission vorsehen? Warum schaffen Sie in Bayern keine
Härtefallkommission? Sie können die Voraussetzungen festlegen, wie Sie es wollen.
Diese Möglichkeit bieten wir Ihnen an, nicht mehr und nicht weniger. Wer dann in
polemischer Absicht behauptet, hier würden riesige Tore geöffnet, redet am Inhalt des Gesetzes vorbei und argumentiert gegen ein
Phantomgesetz. Das sollten Sie im Interesse einer sachlichen Auseinandersetzung bitte
tunlichst vermeiden.
Ich will auf einige andere Fragen eingehen, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben.
Das Kindernachzugsalter war in den zurückliegenden Wochen und Monaten ein
prominentes Diskussionsthema. Wir haben uns dabei sehr schwer getan. Auf der einen Seite
hat das Argument, das von der CDU/CSU geltend gemacht wird, etwas für sich - das will ich
nicht in Abrede stellen -, nämlich dass es am besten ist, wenn die Kinder in frühem
Alter mit der Familie hierher kommen, weil die Integration dann besser verläuft. Es ist
eine Erfahrungstatsache, dass sich Kinder im frühen Alter besser integrieren als später.
Es ist im Sinne der Integration nicht gut, wenn die Kinder zunächst im Heimatland bleiben
und in einer anderen Kultur aufwachsen.
Man muss dabei aber auch den Familiengedanken beachten. Deshalb haben wir uns auf
eine Regelung verständigt, die das Nachzugsalter von Kindern auf zwölf Jahre festlegt.
Auch ursprünglich waren im Gesetzentwurf 12 Jahre vorgesehen; dann sind wir auf 14 Jahre
heraufgegangen, und jetzt sind wir, auch auf Grund von Gesprächen, die ich geführt habe,
wieder bei 12 Jahren. Ich muss darauf hinweisen: Nach dem gegenwärtigen Rechtszustand
sind es 16 Jahre. Sie dürfen die nun vorgesehene Regelung nicht immer damit vergleichen,
was Sie alles noch erreichen könnten, sondern Sie müssen den bevorstehenden
Rechtszustand mit dem derzeit geltenden vergleichen, und da sind wir generell bei 16
Jahren. Nach dem geltenden Recht ist der Kindernachzug bis zum Alter von 16 Jahren
zulässig, bis zum Alter von 18 Jahren in bestimmten Ausnahmefällen, die allerdings - das
muss ich ehrlich sagen - enger gefasst sind als jene, die wir jetzt vorgesehen haben.
Ich muss auf Folgendes hinweisen: Wenn wir Ausnahmefälle nicht so regelten, wie wir es
tun, müssten wir mit verfassungsrechtlichen Problemen rechnen. Es gibt
Rechtsauffassungen, nach denen ein Spannungsverhältnis zu Artikel 6 des Grundgesetzes
besteht. Deshalb halte ich das für eine akzeptable Lösung, die auch im Sinne der
Zielsetzung der CDU/CSU und ihrer Programmatik eine deutliche Verbesserung gegenüber dem
geltenden Rechtszustand darstellt, auch wenn nicht alle Ihre Vorstellungen zu 100%
erfüllt sind.
Ich will auch darauf aufmerksam machen, dass mit dem Zuwanderungsgesetz
die längst überfällige Entkoppelung des Aufenthaltsrechts von EU- Bürgern und
allgemeinem Ausländerrecht vorgenommen wird. Im Übrigen wird das Zuwanderungsgesetz
viele Tatbestände einfacher und klarer regeln und dadurch überflüssige Bürokratie
vermeiden.
Da die Integrationskosten von vielen angesprochen wurden, will ich Ihnen das Ergebnis, das
wir im Gesetz gefunden haben, in geraffter Form
erläutern. Der Bund ist den Ländern bei der Verteilung der Kosten noch einmal
entgegengekommen. Wir haben die Regelungen so verändert, dass der Bund mehr als die
Hälfte der Kosten für die im Gesetz
vorgesehenen Integrationskurse für Ausländer sowie 100% der Kosten für die Kurse
der Aussiedler trägt. Der Bund übernimmt jetzt auch über die Hälfte der Kosten für
die Integrationskurse der bereits in Deutschland lebenden Ausländer, also im Sinne von
nachholender Integration. Damit sind wir den Ländern noch einmal entgegengekommen.
Ferner ist entsprechend dem Wunsch des Bundesrates eine Kostenbeteiligung der
Kursteilnehmer vorgesehen. Diese kann im Einzelfall bis zu 100% gehen. Ich glaube,
dass wir damit eine für alle Seiten tragfähige Lösung erreicht haben.
Sodann wurden die Sanktionsmöglichkeiten bei Nichtteilnahme an Integrationskursen angesprochen.
Diese Frage wurde von Herrn Ministerpräsident Stolpe aufgeworfen. Ich bin ebenfalls der
Überzeugung, dass es richtig und wichtig ist, an die Nichtteilnahme an Integrationskursen
Sanktionen zu knüpfen. Bei einer gesetzlichen Verpflichtung zur Teilnahme an
Integrationskursen ist es notwendig, dass ein Verstoß gegen diese Verpflichtung
Rechtsfolgen nach sich zieht. Das Zuwanderungsgesetz
sieht hierzu verschiedene Sanktionen vor, etwa die Berücksichtigung der Nichtteilnahme am
Integrationskurs bei der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis oder die erfolgreiche
Kursteilnahme als Regelvoraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
Die Rechtsfolgen sind also sehr deutlich erkennbar. Wer weiß, was die jeweiligen
Entscheidungen für die Ausländer bedeuten, weiß auch, dass die Sanktionen durchaus
greifen werden. Sofern sich diese Sanktionen, nachdem Erfahrungen mit dem Gesetz gesammelt worden sind, als nicht ausreichend
erweisen sollten - Herr Ministerpräsident Stolpe,
das sage ich Ihnen für die Bundesregierung ausdrücklich zu -, bin ich bereit, weitere
Sanktionsmöglichkeiten in ein Änderungsgesetz aufzunehmen. Lassen Sie uns aber erst
einmal einige Erfahrungen sammeln!
Dann ist die Frage des Asylbewerberleistungsgesetzes angesprochen worden. Das Asylbewerberleistungsgesetz
wird im Zuwanderungsgesetz - auch da- rauf muss
ich Sie aufmerksam machen - gegenüber der geltenden Rechtslage restriktiver gefasst. Bisher
erhalten Asylbewerber nach Ablauf von 36 Monaten regelmäßig höhere Leistungen. Das
heißt, diejenigen, die es mit Tricks geschafft haben, ihre Verfahren über drei Jahre in
die Länge zu ziehen, werden belohnt. Herr Ministerpräsident Koch, das ist die geltende Rechtslage.
Nach dem neuen Zuwanderungsgesetz wird der Übergang
zu Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz versagt, wenn der Ausländer die Dauer des
Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Damit werden die typischen und
für die Behörden nachweisbaren Fälle des Asylmissbrauchs und der Verschleierung der
Identität erfasst. Wir haben also gerade in diesem Bereich eine Verbesserung
herbeigeführt.
Nun mag es sein, dass der eine oder andere von Ihnen immer noch etwas Besseres weiß; das
kann ich nie ganz ausschließen. Aber dann lassen Sie doch bitte den Vergleich zwischen
der geltenden Rechtslage und dem zu, was in Zukunft mit dem Zuwanderungsgesetz erreicht wird. Nehmen Sie, um ein
deutsches Sprichwort zu verwenden, auch einmal den Spatz anstatt die Taube auf dem Dach.
Das ist vielleicht manchmal eine gute Regel.
Schließlich haben wir dafür gesorgt, dass in dem neuen Zuwanderungsrecht die Belange der
inneren Sicherheit angemessen berücksichtigt werden. Wir haben uns schon bei früherer
Gelegenheit einmal mit diesem Sachverhalt auseinander gesetzt. Ich will Sie darauf
hinweisen, dass wir diese Fragen nicht so sehr unter strafprozessualen oder
strafrechtlichen Gesichtspunkten, die auch ihre Bedeutung haben, diskutieren sollten,
sondern unter polizeirechtlichen. Wir haben deshalb im Zuwanderungsrecht die Regelungen
aus dem Terrorismusbekämpfungsgesetz übernommen. Personen, die die Sicherheit
unseres Landes gefährden, indem sie sich etwa zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele an
Gewalttätigkeiten beteiligen, zu Gewalt aufrufen oder damit drohen, erhalten kein Visum
oder keinen Aufenthaltstitel und werden aus dem Lande wieder verschwinden müssen, wenn
sie bereits hier sind.
Dasselbe gilt, wenn Tatsachen die Annahme belegen, dass Personen Vereinigungen im Umfeld
des internationalen Terrorismus angehören, mit anderen Worten: wenn hierfür
tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sind. Der polizeirechtliche Begriff der
Gefahrenabwehr ist der richtige, um zu angemessenen Maßnahmen zu kommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einige Anmerkungen zu den Einzelfragen im
Beitrag von Herrn Ministerpräsident Stolpe machen.
Erstens zu den Integrationskosten: In der nach § 43
Abs. 4 des Zuwanderungsgesetzes zu erlassenden Verordnung
werden wir einen Grund- und Aufbaukurs mit jeweils 300 Stunden und einen Orientierungskurs
mit 30 Stunden festlegen, von denen der Bund den Grund- und Orientierungskurs
finanziert. Dabei werde ich prüfen lassen, inwieweit die Orientierungskurse ausgeweitet
werden können, um den Umfang der Aufbaukurse und damit die von den Ländern zu tragenden
Kosten zu verringern.
An der Vorbereitung dieser Verordnung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf,
werde ich die Länder voll beteiligen. Wir werden sicherstellen, dass die Kursteilnehmer
an den Kosten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit beteiligt werden, was bis zu 100%
gehen und insoweit auch eine Entlastungsmöglichkeit darstellen kann. Ich stimme allen
jenen zu, die sagen, dass das durchaus zumutbar ist, zumal in vielen Fällen vielleicht
die Arbeitgeber die Kosten indirekt übernehmen werden.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass das, was wir hier regeln und anbieten, erst den
Einstieg in eine umfassende Integrationspolitik darstellen kann. Wir müssen
Integrationspolitik viel weiter sehen; sie beschränkt sich nicht auf Grund- und
Orientierungskurse sowie Aufbaukurse, die übrigens nicht nur der Sprachvermittlung,
sondern auch der Vermittlung der Kultur und der Geschichte sowie der Rechts-
und Verfassungsordnung unseres Landes
dienen sollen.
Integrationspolitik umfasst viele Felder - die Stadtpolitik, Erziehung, Ausbildung und
vieles andere mehr. Viele vernünftige Überlegungen hierzu sind in der Diskussion heute
Morgen zum Vorschein gekommen. Ich möchte das, was unter anderen Herr Ministerpräsident Koch in diesem Zusammenhang gesagt hat,
nämlich dass wir uns gerade bei der schulischen Erziehung sehr ernsthaft mit diesen
Problemen befassen müssen, unterstreichen.
Es wird also um ein umfassendes Integrationskonzept gehen. Wir haben vorgesehen, dass das
künftige Migrationsamt eine Konzeptkompetenz erhält und mit dem zu
schaffenden Zuwanderungsrat im Verbund mit den Ländern und den Kommunen an einem
solchen Integrationskonzept arbeitet.
Zweitens zur Arbeitsmigration: Die Bundesregierung wird bei der Ausgestaltung der
Rechtsverordnung nach § 42 des Zuwanderungsgesetzes sicherstellen, dass einheimische
Arbeitsuchende durch die Neuregelung des Arbeitserlaubnisrechtes keinerlei Nachteile
erleiden. Der Vorrang der einheimischen Arbeitsuchenden bleibt erhalten, wie es
auch im Gesetz vorgesehen ist. Zuwanderung in den
Arbeitsmarkt wird nur dann in Betracht kommen, wenn der Bedarf auf dem nationalen
Arbeitsmarkt nicht gedeckt werden kann. Bei dem Erlass der Rechtsverordnung werden wir die
Interessen der Länder in größtmöglichem Umfang selbstverständlich berücksichtigen.
Drittens zur Härtefallregelung: Durch Verwaltungsvorschriften und vorläufige
Anwendungshinweise werden wir sicherstellen, dass die beabsichtigte Härtefallregelung
praxisgerecht angewendet wird und auf wenige wirkliche Ausnahmefälle beschränkt bleibt.
Ich sichere Ihnen ferner zu, dass wir diese Regelung nach zwei Jahren einer umfassenden
Prüfung unterziehen und auch erforderliche Korrekturen vornehmen werden, wenn sich aus
der Überprüfung etwas ergeben sollte, was unseren gemeinsamen Interessen zuwiderläuft.
Viertens zur nichtstaatlichen bzw. geschlechtsspezifischen Verfolgung: Ich sichere zu,
dass die Regelungen über die nichtstaatliche bzw. die geschlechtsspezifische
Verfolgung durch vorläufige Anwendungshinweise und Verwaltungsvorschriften
entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen strikt an die Genfer Flüchtlingskonvention
gebunden und nicht über den Standard anderer Länder hinausgehen werden. Hierdurch wird
auf eine gleichmäßige Rechtsanwendung in den Ländern hingewirkt.
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass dies in jenen Ländern, in denen
das so gilt, keineswegs ein "Pull"-Faktor war. Das sind Fragen, die mit
Voraussagen verbunden sind und die so oder anders gestaltet sein können. Deshalb lassen
Sie uns dies nach einigen Jahren überprüfen. Sie werden feststellen, dass diese
Besorgnisse gegenstandslos sind. Falls sie sich wider Erwarten als relevant erweisen, sage
ich Ihnen an dieser Stelle zu, dass wir uns darüber auseinander zu
setzen haben.
Fünftens zu den Sanktionen: Das Bundesministerium des Innern wird die im Zuwanderungsgesetz vorgesehenen Sanktionen hinsichtlich
der Nichtteilnahme an den Integrationskursen bis zum Ende des Jahres 2004 daraufhin
überprüfen, ob sie sich als ausreichend erwiesen haben. Wenn sich das nicht bestätigen
sollte, werden wir Vorschläge für die Aufnahme weiterer Sanktionen in einem
Änderungsgesetz unterbreiten.
Sechstens zum Kindernachzug: Auch hier ist die Regelung mit einer Prognose
verbunden. Einige sagen, durch die Ausnahmevorschrift komme eine erhebliche Ausweitung des
Nachzugsalters über zwölf Jahre hinaus zu Stande. Wir werden durch eine restriktive
Verwaltungsvorschrift dafür sorgen, dass der Ausnahmecharakter gewahrt bleibt. Im
Übrigen sind wir bereit, auch diese Regelung nach zwei Jahren zu überprüfen. Sie werden
anhand der Zahlen, die zu diesem Bereich jetzt schon vorliegen, feststellen, dass es
wirklich marginale Größenordnungen sind, über die wir hier reden.
Siebtens: Auch beim Asylbewerberleistungsgesetz sind wir bereit, nach einer Frist von zwei
Jahren die Regelungen daraufhin zu überprüfen, ob sie sich als wirksam erwiesen haben
oder nicht.
Achtens: Bei der Abwehr des Terrorismus darf ich auf das verweisen, was ich gesagt
habe, nämlich dass wir dies unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten zu überprüfen
haben. Ich glaube, dass wir damit dem Sachverhalt am ehesten gerecht werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Folgendes erklären: Professor Klaus
Bade hat der Politik der früheren Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis
ausgestellt. Er schrieb:
Die regierungsamtliche Politik reagierte über die Wende von 1992 hinweg auf die
vorgelegten Bestandsaufnahmen und Entwicklungsperspektiven über ein Jahrzehnt lang mit
defensiver Erkenntnisverweigerung.
Defensive Erkenntnisverweigerung können wir uns im Interesse unseres Landes, im Interesse
unserer wirtschaftlichen Entwicklung, im Interesse des sozialen Friedens und im Interesse
einer zukunftsorientierten Integrationspolitik nicht mehr leisten. Erst recht können wir
uns Handlungsverweigerungen nicht mehr leisten.
Wenn das Gesetz heute auch vom Bundesrat gebilligt
wird, wird Deutschland über das modernste Zuwanderungsrecht in Europa verfügen.
Bemerkenswerterweise sind andere europäische Länder auf dem Wege, Regelungen aus unserem
neuen Zuwanderungsgesetz zu übernehmen. Mit dem
modernen Zuwanderungsgesetz festigt Deutschland sein
Ansehen als weltoffenes, weltzugewandtes, nachbarfreundliches Land. Deutschland beweist
sich damit als mündige Nation, die Politik nicht angstbesetzt gestaltet, als eine
mündige Nation, die der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität gleichermaßen
verpflichtet ist.
Meine Damen und Herren, am Hauptquartier einer großen Volkspartei in Berlin war noch vor
kurzem folgendes Spruchband angebracht: "Zuhören - nach- denken - bewegen".
Leider wurde das Spruchband vor einiger Zeit abmontiert. Aber ich bleibe dabei: Das ist
ein guter Vorsatz. Anstatt sich hinter Vorurteilen zu verschanzen, kann sich jeder, der
zugehört und nachgedacht hat, bewegen. In diesem Sinne hoffe ich auf eine
verantwortungsvolle Entscheidung.
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