(Erste) Rede des Ministerpräsidenten des Landes Saarland Peter
Müller (CDU) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im
Bundesrat
vom 22. März 2002
Peter Müller (Saarland): Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Ich möchte die herzliche Bitte äußern, den vom Saarland vorgelegten
Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel einer grundlegenden
Überarbeitung des Gesetzes am heutigen Vormittag zu unterstützen und zu beschließen.
Ich meine, dies ist der einzige Weg, um die - auch nach den Aussagen der Bundesregierung -
notwendige breite gesellschaftliche und politische Mehrheit für die Regelung der
Zuwanderung in der Bundesrepublik Deutschland zu erreichen. Es ist der einzig verbleibende
Weg, um ein geschlossenes Konzept zu erreichen, das dem Anspruch, ein Gesetz zur
Begrenzung und Steuerung der Zuwanderung sowie zur Integration der hier lebenden
Ausländerinnen und Ausländer zu sein, wie aus dem Titel hervorgeht, Rechnung trägt.
Dass es Regelungsbedarf im Bereich der Zuwanderung gibt, war auch bei der Befassung des
Bundesrates mit dem Gesetzentwurf unstreitig. Fakt ist, dass die Bundesrepublik
Deutschland unter einem hohen Zuwanderungsdruck steht. Seit Beginn der 60er-Jahre
sind mehr als 30 Millionen Menschen zugewandert, während im gleichen Zeitraum etwa 22
Millionen Menschen die Bundesrepublik Deutschlandverlassen haben.
Fakt ist auch, dass die Zuwanderung in den letzten Jahren nicht in die Arbeitsmärkte,
sondern in die sozialen Sicherungssysteme stattgefunden hat. Die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Ausländer ist deutlich zurückgegangen, obwohl sich der
Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland verdoppelt
hat. Die Bundesrepublik unterliegt einem höheren Einwanderungsdruck als eine ganze Reihe
von klassischen Einwanderungsländern. Deshalb hat sie das Recht und die Pflicht, auf
diesen Tatbestand in vergleichbarer Weise zu reagieren, d. h. eine Regelung zu schaffen,
die auf der einen Seite das Maß an jährlich verträglicher Zuwanderung, auf der anderen
Seite die Kriterien bestimmt, nach denen die Menschen, die zu uns kommen, ausgewählt
werden.
Herr Bundesinnenminister, Sie haben des öfteren gesagt - und sich dabei auf mich bezogen
-, die Frage sei nicht: Zuwanderung ja oder nein?, sondern sie lautet: Zuwanderung
geregelt oder ungeregelt? Dieser Satz bleibt richtig. Deshalb brauchen wir ein Zuwanderungsgesetz. Aber ein solches Gesetz muss die
Begrenzung der Zuwanderung unter Berücksichtigung der Integrationsfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland leisten. Beim vorliegenden Gesetz ist das nicht der Fall.
Deshalb ist es nicht geeignet, die Aufgabe, vor der wir stehen, zu lösen. Wir brauchen
ein Zuwanderungsgesetz, aber nicht das vorliegende.
Mit dem Gesetz wird die Zuwanderung nicht auf das
erforderliche Maß begrenzt. Es schafft neue Anreize für Zuwanderung auch in die sozialen
Sicherungssysteme. Es leistet nicht die notwendige Umsteuerung von der Zuwanderung in die
Sozialsysteme zu Zuwanderung in die Bereiche des Arbeitsmarktes, in denen ein wirkliches
Bedürfnis besteht.
Das Gesetz ist kein Zuwanderungsbegrenzungskonzept,
sondern ein Zuwanderungserweiterungskonzept. Es ist im Übrigen ein Kostenverlagerungskonzept
zum Nachteil der Länder und Kommunen. Wenn es darum geht, in der Sache einen Konsens
zu finden, gibt es keine Alternative zu einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes im
Vermittlungsausschuss.
Der Bundesrat hat bereits am 20. Dezember des vergangenen Jahres zentrale
Forderungen formuliert, die erfüllt werden müssen, um zu einem zustimmungsfähigen
Gesetz zu gelangen. Ich selbst habe am 20. Dezember von dieser Stelle aus gesagt:
Notwendig ist eine Regelung, die die Zuwanderung unter Berücksichtigung der
Integrationsfähigkeit steuert und begrenzt, die den humanitären
Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland Rechnung trägt, die aber auch die
legitimen nationalen Interessen angemessen berücksichtigt und die Zusammengehörigkeit
von Zuwanderung und Integration betont und umsetzt. - Daraus ist eine Reihe von
Forderungen an das Gesetz abgeleitet worden.
Wo stehen wir heute? Was ist geschehen? Richtig ist, Herr Bundesinnenminister, dass
einzelne Teile der am 20. Dezember geäußerten Forderungen aufgegriffen worden sind.
Zumindest nach den Worten, die jetzt im Gesetz verwandt werden, haben einige Forderungen
Eingang gefunden. Richtig ist aber auch, dass das Gesetz substanziell unverändert geblieben
ist. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen in den materiellen Regelungen des Gesetzes sind im Wesentlichen nicht verändert worden.
Zum Teil wurden Veränderungen in die richtige Richtung durch Veränderungen in die
entgegengesetzte Richtung konterkariert. Insgesamt sind die notwendigen Veränderungen des
Gesetzes in Richtung auf ein echtes Zuwanderungsbegrenzungskonzept nicht erfolgt. Es ist
der Versuch gemacht worden, mit zu einem erheblichen Teil inhaltsleeren Formelkompromissen
den Eindruck zu erwecken, den Forderungen sei Rechnung getragen worden. Ich will dies an
einigen Beispielen darstellen.
In § 1 des Gesetzes ist jetzt davon die Rede, Ziel sei die
Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Dies entspricht einer vom Bundesrat erhobenen
Forderung. Ich will nicht auf die Widersprüchlichkeit der Formulierung eingehen;
denn bereits in Satz 2 ist die Rede davon, es gehe eben nicht nur um die Begrenzung
und Steuerung, sondern auch um die Ermöglichung der Zuwanderung. Vor allen Dingen wird
aus der in § 1 formulierten Zielsetzung keine
praktische Konsequenz gezogen. Im weiteren Verfolg des Gesetzes
wird das Ziel der Begrenzung nicht umgesetzt.
Ich will ein Beispiel mit Blick auf die Situation am Arbeitsmarkt nennen. Wir alle wissen,
dass der Anwerbestopp, das grundsätzliche Verbot der Anwerbung ausländischer
Arbeitskräfte außerhalb der Europäischen Union, im Jahr 1973 verkündet wurde. Damals
betrug die Arbeitslosenquote in der Bundesrepublik Deutschland 1,2%.
(Dr. Edmund Stoiber [Bayern ]:Sehr richtig!)
Unter den Ausländerinnen und Ausländern, die sich damals bei uns aufhielten, lag die
Arbeitslosenquote bei 0,8%. In dieser Situation verkündete Willy Brandt den
Anwerbestopp.
Heute haben wir nicht 370 000, sondern 4,3 Millionen Arbeitslose. Die Arbeitslosenquote
liegt bei fast 10%, unter den Ausländerinnen und Ausländern sogar bei fast 20%; sie ist
also fast doppelt so hoch.
In einer solchen Situation kann die Antwort auf die Entwicklung in einem Zuwanderungsgesetz doch nicht die weitgehend
unreflektierte Aufhebung des Anwerbestopps sein. Man mag über die Frage reden -
dazu bin ich gerne bereit -, ob der Anwerbestopp, der ein System des Verbots mit
Erlaubnisvorbehalt ist, durch ein System der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt ersetzt wird.
Wenn man aber zu dieser Umstellung kommt, muss der Verbotsvorbehalt so ausgestaltet sein,
dass Zuwanderung nur in die Bereiche des Arbeitsmarktes stattfindet, in denen es ein
echtes nationales Bedürfnis gibt. Zuwanderung darf nur dann erfolgen, wenn die
vorhandenen Arbeitsplätze nicht mit Personen besetzt werden können, die sich bereits
heute in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten und keine Arbeit haben. Aber diese Orientierung
der Migration an einem echten nationalen Arbeitsmarktbedürfnis wird durch
das Gesetz nicht gewährleistet. Das
dokumentieren insbesondere zwei Punkte, die ich ansprechen möchte.
Es ist richtig, dass im Unterschied zur ursprünglichen Regierungsvorlage in § 39 der Begriff "regional "
gestrichen worden ist. Aber nach wie vor entscheiden die Verwaltungsausschüsse der
örtlichen Arbeitsämter über die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Damit ist nicht
sichergestellt, dass die notwendige Orientierung an den wirklichen Bedürfnissen des
nationalen Arbeitsmarktes stattfindet.
Der zweite Punkt, der das noch deutlicher dokumentiert, ist die Regelung in § 20. Die so genannte Angebotsvariante sieht
vor, dass es künftig auf der Basis einer Rechtsverordnung, die nunmehr mit Zustimmung des
Bundesrates erlassen werden soll, möglich ist, dass jährlich eine bestimmte Zahl von
Menschen nach einem Punktesystem zuwandert, ohne Rücksicht darauf, ob ein konkretes
Arbeitsplatzangebot oder ein konkretes Arbeitsmarktbedürfnis besteht.
Lieber Herr Kollege Schily, Sie haben bisweilen gesagt, auch die CDU wolle doch das
Quotensystem. Ja, aber unter der Bedingung, dass vorher ein konkretes nationales
Arbeitsmarktbedürfnis nachgewiesen wurde und dass es um Arbeitsplätze geht, die anders
nicht besetzt werden können. Mit dem Quotensystem wollen Sie unabhängig vom
Bestehen eines konkreten Arbeitsmarktbedürfnisses die Möglichkeit der Zuwanderung in den
Arbeitsmarkt schaffen. Das kann bei 4,3 Millionen Arbeitslosen nicht sinnvoll sein.
Da hilft auch der Hinweis nicht, es gehe um einen Vorratsbeschluss und es sei ein
in den Jahren 2012, 2015 oder danach vermuteter Arbeitskräftebedarf zu befriedigen. Dazu
möchte ich auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Biedenkopf verweisen: Wenn ein solch
langfristiger Regelungsbedarf besteht, ist es nicht notwendig, heute eine Regelung
isoliert zu treffen. Wir müssen vielmehr ein Konzept entwickeln, das der Gesamtheit der
demografischen Herausforderung Rechnung trägt. Dann kann man über solche Elemente reden.
Dieses Gesetz gibt auf den Regelungsbedarf, der vor
uns liegt, nicht wirklich eine Antwort. Das haben wir, das habe ich Ihnen, Herr
Bundesinnenminister, bereits am 20. Dezember gesagt. Auf diese Forderungen ist nicht
eingegangen worden.
Ich will einige Sätze zur humanitären Zuwanderung sagen. Die Regelung des Gesetzes entspricht hier weder den Forderungen, die wir
gestellt haben, noch den Notwendigkeiten, denen wir Rechnung tragen müssen. Ich habe der
Debatte entnommen, dass es - zumindest nach dem, was erklärt worden ist - Konsens gibt,
Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention Aufenthaltsrechte bei uns zu
gewähren, über den Anwendungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention aber nicht
hinauszugehen.
Der Inhalt des Gesetzes ist aber ein anderer. Das Gesetz geht über den Anwendungsbereich der Genfer
Flüchtlingskonvention hinaus. Es ist zwar richtig, dass in § 25 eine Veränderung vorgenommen worden ist
und dass in Satz 1 des § 60 eine
Bezugnahme auf die Genfer Flüchtlingskonvention erfolgt. Im weiteren Verfolg finden sich
aber Formulierungen, die den Anwendungsbereich der Vorschrift eindeutig über den Wortlaut
des Artikels 33 der Genfer Flüchtlingskonvention hinaus ausdehnen.
Das heißt bei nur halbwegs korrekter juristischer Auslegung, dass hier Tatbestände
geregelt werden, die von der Genfer Flüchtlingskonvention eben nicht erfasst sind. Die
Formulierungen zur nichtstaatlichen Verfolgung gehen über den Anwendungsbereich
der Genfer Flüchtlingskonvention hinaus. Natürlich gibt es Fälle geschlechtsspezifischer
Verfolgung, die durch die GFK abgedeckt sind; aber die GFK selbst führt dies nicht
als eigenständiges Tatbestandsmerkmal aus. Wenn dies jetzt im Gesetz geschieht, schafft es zumindest
Rechtsunsicherheit.
In diesem Zusammenhang möchte ich nur eine Stimme zitieren. Der Völkerrechtler Kay Hailbronner
hat zu den Regelungen gesagt:
In der Tat, ich halte diese Regelungen für viel zu undifferenziert und viel zu weit
gehend. Sie gehen auch über das hinaus, was in anderen Mitgliedstaaten praktiziert wird,
die mit einem großzügigen Verfolgungsbegriff operieren.
Hinzu kommt, dass entgegen den Forderungen, die wir hier am 20. Dezember gestellt haben,
nach wie vor nicht ausgeschlossen ist, dass in denjenigen Fällen, in denen eine
Abschiebung aus Gründen rechtlicher oder tatsächlicher Unmöglichkeit unterbleibt,
Daueraufenthaltsrechte entstehen.
Hinzu kommt die Problematik der Härtefallklausel. Ich meine, dass wir eine Härtefallklausel
brauchen. Aber sie muss so ausgestaltet sein, dass sie die wirklichen Härtefälle
betrifft. Sie darf nicht zu einem generellen neuen Zuwanderungstatbestand oder zumindest
zu einem generellen neuen Zuwanderungsanreiz werden.
Bei der Härtefallklausel, die in das Gesetz geschrieben worden ist, besteht exakt diese
Problematik. Sie ist nicht quotiert, sie ist nicht an klare Voraussetzungen gebunden, sie
setzt einen dringenden humanitären oder persönlichen Grund voraus. Dann soll die
Möglichkeit bestehen, undifferenziert Daueraufenthaltsrechte zu gewähren. Das schafft
Zuwanderungsanreize in einem nicht kontrollierbaren Umfang. Deshalb ist die
Härtefallklausel in der vorliegenden Fassung nicht akzeptabel.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nur kurz drei weitere Punkte
ansprechen, zunächst die Frage des Familiennachzugs.
Richtig ist: Das Nachzugsalter ist von 14 auf 12 Jahre reduziert worden. Richtig
ist auch, dass gleichzeitig ein Ausnahmetatbestand geschaffen worden ist, der die
Reduzierung von 14 auf 12 Jahre mehr als konterkariert. Sah das Gesetz in der
ursprünglichen Bestimmung vor, dass Zuwanderung bei ausreichenden Sprachkenntnissen
ausnahmsweise auch über dieses Alter hinaus stattfinden kann, werden jetzt nur noch
Kenntnisse der deutschen Sprache vorausgesetzt. Damit wird das, was mit der einen Hand
gegeben worden ist, mit der anderen Hand sofort wieder genommen. Das ist bestenfalls ein
Nullsummenspiel. So kann man seriös nicht miteinander umgehen.
Nicht aufgegriffen worden ist die Anregung betreffend die Notwendigkeit einer
durchgängigen Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Die Anhebung der
Leistungen an die Asylbewerber nach 36 Monaten durch Zeitablauf schafft den Anreiz einer
Verlängerung der Anerkennungsverfahren. Das kann nicht sinnvoll sein - übrigens nicht
einmal für die Asylbewerber selbst. Eine zeitnahe endgültige Entscheidung über ihr
Aufenthaltsrecht zu bekommen liegt in ihrem eigenen Interesse.
Die Regelungen im Bereich der Integration sind unzureichend. Die Frage der
Sanktionierung im Falle der Integrationsunwilligkeit ist unzureichend geregelt. Die Fragen
der Kostenverteilung sind nicht angemessen geregelt; ich kann daran anknüpfen, was Sie,
Frau Kollegin Simonis, gesagt haben.
Es gibt Verschlechterungen. Der Umfang der Sprachförderung ist nicht mehr gesetzlich
geregelt. Der Bund übernimmt nicht die vollen Kosten im Bereich der Erstintegration. Er
ist nur begrenzt bereit, sich an den Kosten für Altfälle zu beteiligen. In diesen
Zusammenhang gehört auch die Verbesserung der Möglichkeit - sie ist nicht geregelt -,
diejenigen abzuschieben, die sich in der Bundesrepublik Deutschland als Angehörige
fundamentalistischer Organisationen erweisen. Für sie darf es nach meiner festen
Überzeugung kein Aufenthaltsrecht bei uns geben.
Das heißt im Ergebnis, meine sehr verehrten Damen und Herren: Das Gesetz ist in der vorliegenden Form nicht
zustimmungsfähig, weil es die notwendige Begrenzung der Zuwanderung nicht leistet und
weil es im Vollzug zur Erweiterung von Zuwanderung führen wird.
Das Gesetz kann sich auf keine breite gesellschaftliche Mehrheit stützen. Es ist
sicherlich richtig, dass es demoskopische Befunde gibt, die zu dem Ergebnis kommen, dass
die Mehrheit eine Einigung will. Natürlich wollen die Menschen mehrheitlich eine Einigung
der Politik bei der Lösung der anstehenden Probleme. Genauso richtig ist, dass die weit
überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit Blick auf die Zuwanderung erwartet, dass eine
gesetzliche Regelung zumindest nicht zu einer Ausweitung führt. Die weit überwiegende
Mehrheit erwartet, dass die Zuwanderung begrenzt wird. Deshalb entspricht der Inhalt des Gesetzes keineswegs dem, was die Mehrheit der
Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland mit Blick auf die Integrationsfähigkeit -
ich meine: zu Recht - erwartet.
Das Gesetz hat - das will ich noch sagen - keine
Mehrheit in diesem Haus. Zumindest die Mitglieder dieses Hauses, die der B-Seite
angehören, haben eine einheitliche Einschätzung des Gesetzes,
nämlich dass es nicht zustimmungsfähig ist.
Deshalb kann der Versuch, die erforderliche Stimmenzahl für das Gesetz am heutigen Vormittag zu erreichen, nur dann
umgesetzt werden, wenn ein Vertragsbruch mit einem Rechtsbruch kombiniert wird. Die
notwendige Mehrheit kann nur erreicht werden, wenn der Zwang erzeugt wird, bestehende
Koalitionsvereinbarungen zu missachten.
Selbst wenn dieser Zwang erzeugt wird und bestehende Verträge gebrochen werden, wird sich
eine Folgefrage stellen, über die schon überall diskutiert und spekuliert wird. Sie war
ja auch Gegenstand der Vorbesprechung in diesem Hause. Es wird sich die Frage stellen: Was
geschieht, wenn die Stimmen eines Bundeslandes entsprechend der inhaltlichen Überzeugung
seiner Vertreter widersprechend abgegeben werden?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gab in diesem Hause im Jahr 1949 einen
historischen Vorläuferfall, der sich von der Situation, in der wir heute zu
entscheiden haben, grundlegend unterscheidet. Damals wurde vom amtierenden
Bundesratspräsidenten die Frage der Stimmführerschaft mit Blick auf sein eigenes
Bundesland, in dem er Ministerpräsident war, gestellt. Er hat eine Entscheidung
herbeigeführt, die seiner Überzeugung entsprach, und alle haben dies akzeptiert.
Das ist in der Situation, in der wir heute sind, nicht der Fall. Ich möchte nur darauf
hinweisen, dass es in Kenntnis des Falles aus dem Jahr 1949 die eindeutige Bewertung
der Verfassungswissenschaft und die eindeutige Bewertung der
Staatsrechtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland gibt, dass die Stimmabgabe
eines Bundeslandes, falls es im Bundesrat widersprechend abstimmt, ungültig ist und seine
Stimmen deshalb bei der Ermittlung der erforderlichen Mehrheit nicht gezählt werden
dürfen.
Das ist die Auffassung, die im Handbuch für die Arbeit dieses Verfassungsorgans
niedergelegt ist. Sie wird von der großen Mehrheit der Staatsrechtslehrer geteilt. Ich
will statt vieler nur einen nennen: Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog
hat diese Frage im Handbuch der Staatsrechtslehre unter dem Kapitel "Zusammensetzung
und Verfahren des Bundesrates "eindeutig in dem Sinne geklärt, dass die Stimmen bei
widersprechender Stimmabgabe ohne Rücksicht auf die internen verfassungsrechtlichen
Regelungen in den jeweiligen Ländern als ungültig zu werten sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn am heutigen Tag versucht wird, eine andere
Beschlussfassung über das Gesetz herbeizuführen,
heißt das, ein Gesetz beschließen zu wollen, für das es in der Bevölkerung keine
Mehrheit gibt. Es heißt, ein Gesetz beschließen zu wollen, für das es in diesem Hause
keine Mehrheit gibt. Es heißt, einen Vertrags- und einen Verfassungsbruch mit dem Ziel in
Kauf zu nehmen, eine bestimmte Stimmenzahl zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund meine ich, dass wir es dem Verfassungsorgan Bundesrat schuldig
sind, auf eine solche Entscheidung zu verzichten. Deshalb bitte ich, den saarländischen
Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu unterstützen.
|