Rede des Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz Kurt
Beck (SPD) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des
Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz) im
Bundesrat
vom 22. März 2002
Kurt Beck (Rheinland-Pfalz): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine
sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir, einleitend zu sagen, dass ich über die
letzte Passage der Rede von Herrn Kollegen Müller
erstaunt bin. Ich habe es bisher nicht erlebt, dass im Plenum des Bundesrates in einer
solchen Art und Weise über die innere Meinungsbildung eines Landes geurteilt worden ist.
Zumindest ich weiß nicht, wie sie aussieht. Solche Kulissen aufzubauen scheint mir doch
eine Verfahrensweise zu sein, auf die wir verzichten sollten, Herr Kollege Müller. Das tut dem Zusammenwirken in
diesem Haus letztlich nicht gut.
Sie haben eine Rechtsmeinung zitiert. Ich möchte nicht das Gleiche tun, aber hinzufügen,
dass es auch diametrale Rechtspositionen gibt.
Meine geehrten Damen und Herren, zur Sache! Ich bin froh darüber, dass wir nach einem
intensiven Diskussionsprozess über die Regelung der Zuwanderung in der Bundesrepublik
Deutschland in den letzten Monaten und Jahren zu einer Entscheidung kommen.
Rheinland-Pfalz hat diesem Hohen Hause bereits im März 1997 einen Antrag mit
entsprechender Richtung vorgelegt. Seitdem hat eine intensive Diskussion bis in alle
Detailfragen hinein stattgefunden, so dass wir heute nicht sagen können, es gebe noch
Diskussionsbedarf. Es kann unterschiedliche Positionen geben; aber die Feststellung, dass
nicht alle unterschiedlichen Variationen behandelt worden seien, entspräche nicht der
Realität.
Wir brauchen eine Regelung für die Zuwanderung vor dem Hintergrund der Zahlen, die Herr
Kollege Müller noch einmal
eindrucksvoll genannt hat: 30 Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahren
zugewandert, 22 Millionen sind ausgewandert. Das ist im Saldo also eine Zuwanderung in der
Größenordnung von immerhin 10% der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland nach der
Wiedervereinigung.
Wir alle haben bei diesem Thema eine Reihe von Fragen. Sie beziehen sich etwa auf die
humanitären Aspekte oder auf den Arbeitsmarkt. Deshalb ist es unabdingbar, dass wir den
Mut und die Entschlossenheit aufbringen, über diese Fragen zu entscheiden. Wer sonst,
wenn nicht die gesetzgebenden Körperschaften der Bundesrepublik sollte diese Entscheidung
herbeiführen?
Herr Kollege Professor Biedenkopf
hat gesagt - das hat mich beeindruckt -, welche Herausforderungen auf Grund der
demografischen Veränderungen uns aller Voraussicht nach in der Bundesrepublik
Deutschland ins Haus stehen. Ich glaube, niemand hier würde behaupten, mit der Regelung
der Zuwanderung wäre dieses Problem gelöst. Man kann aber sicher sagen, dass die
vorgelegte gesetzliche Regelung einen Beitrag dazu leistet, um die Probleme zu entspannen,
sie auf keinen Fall zu verschärfen.
Es ist gesagt worden, die Situation auf dem Arbeitsmarkt sei angespannt. Das
ist richtig. Was sich hinter dieser Feststellung verbirgt, ist aber sehr differenziert zu
betrachten. Natürlich ist die Arbeitslosigkeit bei uns viel zu hoch. Parallel dazu
besteht aber in vielen Bereichen des Arbeitsmarktes und in einer Reihe von Gebieten der
Bundesrepublik Deutschland deutlicher Bedarf an Arbeitskräften. Wir haben Bedarf an
Menschen mit einer bestimmten Spezialausbildung, aber auch an Menschen, die bestimmte
Aufgaben in unserer Volkswirtschaft zu erfüllen haben. Mir leuchtet nicht ein, aus
welcher Stelle des vorliegenden Gesetzes hervorgeht,
dass man auf die Ausbildung arbeitsloser oder junger Menschen verzichten wolle, dass dazu
kein Druck - wenn Sie so wollen - mehr bestünde, weil der Bedarf an Arbeitskräften durch
Zuwanderung gedeckt würde. Es gibt hier kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch.
Darüber hat bisher Konsens bestanden, und das wird auch in Zukunft der Fall sein. Davon
gehe ich aus.
Was Arbeitgeber, insbesondere mittelständische Unternehmer, angeht, darf man mit
Fug und Recht festhalten, dass für viele die Möglichkeit, Arbeitskräfte zu bekommen,
die derzeit am deutschen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, eine Stärkung ihrer
Position bedeutet. Dies rechtfertigt umso mehr die Forderung, die Weiterbildung und
Qualifikation der Menschen in Deutschland zu unterstützen, die am Arbeitsmarkt derzeit
nicht erfolgreich sind. So kann man mit Fug und Recht ebenfalls argumentieren.
Ich möchte auch ein Wort zu den humanitären Gründen sagen, die einen Teil des Gesetzes tragen. Wir sind uns alle bewusst, wie hoch
sensibel diese Thematik ist. Wir sind uns auch bewusst, dass wir für die Art und Weise,
in der die Debatte darüber geführt wird, Verantwortung tragen. Es gibt nicht nur die
scharfe Beurteilung, die von Herrn Kollegen Müller
vorgetragen worden ist. Ich kann die Gefahr, das Gesetz
lasse eine zu große Öffnung zu, dem Gesetzestext nicht entnehmen.
Ich möchte auch eine andere Sicht in unser Bewusstsein rufen und knüpfe daran an, was
Frau Kollegin Simonis vorhin gesagt
hat. In meinen Sprechstunden und in Petitionen wird oft an mich und meine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter herangetragen, dass man sich geradezu quäle mit dem
Gedanken: Menschen, die Hilfe brauchen und Hilfe objektiv verdient haben, können sie
nicht erhalten, weil es die derzeitige Rechtslage nicht erlaubt. Das muss einen doch
umtreiben.
Wenn es zu einer Anrufung des Vermittlungsausschusses käme, wie es die Union begehrt, und
Härtefallregelungen, die nicht nur in der klassischen Härtefallklausel, sondern auch an
anderen Stellen des Gesetzes enthalten sind,
gestrichen oder maßgeblich abgeschwächt würden, wäre das Gesetz für mich nicht mehr zustimmungsfähig.
Das sage ich aus humanitärer Sicht. Auch diesen Gedanken möchte ich einbringen.
Es ist beispielsweise gesagt worden, dass keine Öffnung erfolgen dürfe, um geschlechtsspezifischer
Verfolgung Rechnung zu tragen. Wer die betreffenden Stellen des Gesetzes sorgfältig prüft, kann nicht zu der
Schlussfolgerung gelangen, dass damit Tür und Tor geöffnet würden. Wenn es nicht mehr
möglich wäre, einer jungen Frau, die sich in Deutschland aufhält und der bei
Abschiebung die Zwangsbeschneidung droht, Asyl zu gewähren und sie bei uns zu behalten,
dann wäre es um die Humanität in unserem Land nicht gut bestellt. Lassen Sie uns deshalb
auch diese Gedanken sehr sorgfältig wägen, bevor wir eine Entscheidung treffen.
Nicht verstehen kann ich die Forderung, für Härtefälle eine Quote einzuführen.
Das kann nicht sinnvoll sein. Ich bin sehr für Regelungen, die uns eine
sorgfältige Beurteilung von Härtefällen ermöglichen. Wie aber sollten wir die
Härtefälle quotieren? Sollen wir beispielsweise sagen: Wir haben in diesem Jahr schon
700 Härtefälle in der Bundesrepublik Deutschland, der 701. Härtefall ist einfach nicht
mehr zu berücksichtigen, Pech gehabt? - Das kann doch nicht ernsthaft Inhalt einer
gesetzlichen Regelung des von uns allen so empfundenen humanitären Aspektes sein. Ich
will gar nicht den Kerngehalt unserer Verfassung
oder unsere christliche Grundüberzeugung strapazieren, das ergibt sich schon aus unserem
menschlichen Empfinden von Mitleid und Mitgefühl. Auch sie müssen an einer solchen
Stelle Platz haben.
Es ist gesagt worden, das Gesetz finde in der Bundesrepublik Deutschland keinen breiten
Konsens. Ich will mich nicht auf Umfragen berufen. Wir alle wissen: Das ist ein
zweischneidiges Schwert. Ich habe es selten - wenn überhaupt - erlebt, dass in einer
solch grundlegenden Frage nach einem langen Diskussionsprozess und dem Bemühen des
Bundesinnenministers - das sage ich ausdrücklich respektvoll an seine Adresse -, auf
jedes Argument einzugehen und sich damit ernsthaft auseinander zu setzen, bei den
betreffenden Organisationen und Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland Konsens
festgestellt werden kann. Es gibt eindeutige und klare Positionen bei den christlichen
Kirchen. Es gibt eindeutige und klare Positionen bei vielen gesellschaftlichen
Gruppen. Es gibt eindeutige und klare Positionen bei den Gewerkschaften und den
Arbeitgebervereinigungen und -organisationen. Wenn das kein breiter Konsens ist!
Das muss unseren Bürgerinnen und Bürgern natürlich noch nahe gebracht werden. Aufbauend
und sich stützend auf das, was die christlichen Kirchen, die Gewerkschaften und die
Arbeitgeberschaft geschlossen sagen, können wir den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber
dieses Gesetz begründen und sie bei dem Prozess
mitnehmen. Wenn wir uns das nicht mehr zutrauten, wären wir als demokratische
Repräsentanten in erheblichem Maße eingeschränkt, entscheidende Zukunftsfragen wie
diese zu regeln.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit diesen Einlassungen möchte ich deutlich machen,
dass das Gesetz für die Landesregierung von
Rheinland-Pfalz gut und richtig ist und dass wir seinen Erfolg wollen. Dies ändert nichts
daran, dass wir darum bitten, im Vermittlungsausschuss über zwei konkrete Punkte
Klarheit zu schaffen, ohne dass Änderungen am Gesetz vorgenommen werden. Es geht zum
einen um die Frage der Integrationskosten und ihre Verteilung. Dazu bedarf es
keiner Änderung des vorliegenden Gesetzes, sondern
dies kann auf andere Art und Weise, etwa durch eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des
Bundesrates, sichergestellt werden.
Der zweite Punkt steht in diametralem Gegensatz zu dem, was Herr Kollege Müller dazu ausgeführt hat. Aus den
Erfahrungen des Landes Rheinland-Pfalz sollten wir die abgegrenzten Arbeitsamtsbezirke
nutzen, um arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitisch bedingte Zuwanderung flexibel steuern zu
können. Wir sollten beispielsweise im Hinblick auf den Organisations- und
Entscheidungsstrang der Bundesanstalt für Arbeit mehr Klarheit schaffen, als es
bisher der Fall ist. So können wir mit dem Problem der arbeitsmarktbedingten
Zuwanderung differenziert umgehen.
Darüber hinaus werden wir in einer Protokollerklärung - das möchte ich Ihnen,
Herr Bundesinnenminister, mit der Bitte um Berücksichtigung mitgeben - den Wunsch zum
Ausdruck bringen, dass die Abschiebemöglichkeit bei beharrlicher
Integrationsverweigerung, wenn jemandem etwa x-mal ein Sprachkurs angeboten worden ist, im
Lichte der Erfahrungen der kommenden beiden Jahre betrachtet wird. Sollte es sich
erweisen, dass die Handlungsmöglichkeiten, die das Gesetz für die Länder vorsieht, an
dieser Stelle nicht ausreichen, müsste man über weitere Regelungen reden, damit nicht
etwas, was richtig und gewollt ist, durch einige wenige, die sich beharrlich weigern,
desavouiert wird.
Das sind unsere Positionen. Wir bitten Sie, dem Antrag auf Anrufung des
Vermittlungsausschusses zu folgen. Die beiden Anrufungsgründe sind ausdrücklich so
angelegt, dass das Gesetz nicht aufgeschnürt werden
muss. Wir wollen, dass das Gesetz in seiner
Substanz, seiner Bedeutung und seiner Wirkung im Rahmen dieses Diskussions- und
Entscheidungsprozesses zum Erfolg geführt wird. In diesem Sinne bitte ich darum, dem
Anliegen des Landes Rheinland-Pfalz zu folgen. - Ich danke Ihnen.
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