Rede des Staatsministers des Innern des Freistaats Bayern Dr.
Günther Beckstein (CSU) zum Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur
Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern
(Zuwanderungsgesetz) im Bundesrat
vom 22. März 2002
Dr. Günther Beckstein (Bayern): Herr Präsident! Hohes Haus! Auch
ich möchte einige Bemerkungen zu dem Gesetz machen.
Ich schließe mich Herrn Ministerpräsidenten Müller an, der dazu aufgefordert hat, zu
einigen Punkten konkret Stellung zu nehmen.
Zunächst meine ich: Fachlich ist eindeutig, was die Juristen wohl aller Länder und auch
des Bundesinnenministeriums sagen, nämlich dass das Gesetz
zu einer Erweiterung der Zuwanderung führt.
Herr Schily hat das in der Begründung
sogar als Ziel des Gesetzes formuliert. Er sagte in
seinem Beitrag - der lang genug war -, er habe kein Zuwanderungsgesetz
vorlegen wollen, das nicht auch das Ziel habe, Zuwanderung zu ermöglichen. Deswegen
fordere ich dazu auf, endlich ehrlich zu sagen, was man eigentlich will, und nicht mit
Worten zu vernebeln, wie das seit der Vorlage des Gesetzentwurfs im August letzten Jahres
leider in unerträglicher Weise geschehen ist.
Nach der Wortwahl in der Pressekonferenz seinerzeit hätte man meinen können, es sei ein
Entwurf von uns. Aber nachdem man ihn gelesen hatte, hat man gemerkt, dass er ein Angebot
an die Grünen war. Das war Taktik. Herr Schily,
wir kennen uns gut. Ich denke, wir schätzen uns. Dann muss man jemandem auch vorhalten
können: Es ist nicht möglich, ein so schwieriges Problem anständig anzugehen, wenn man
dem einen sagt: "Wir reduzieren.", während man den Grünen sagt: "Wir
erweitern massiv."
Ich will etwas dazu sagen, was Herr Kollege Müller,
wie ich meine, völlig eindeutig nachgewiesen hat. Für die Zuwanderung von
Hochqualifizierten und von Selbstständigen werden neue gesetzliche Regelungen
geschaffen. Niemand wird bestreiten können, dass das ein neuer Tatbestand ist. Herr Schily, ich fordere Sie auf zu erklären,
an welcher Stelle das im bisherigen Recht enthalten ist, nachdem Sie selber gerade
dargelegt haben, dass das viel zu eng war.
Hier gibt es Erweiterungen. Ich hebe hervor: Wir wollen insoweit auch Erweiterungen. Wir
in Bayern haben dafür die Blue Card eingeführt, und bei den Selbstständigen
haben wir daran mitgewirkt, die Voraussetzungen so zu fassen, dass das öffentliche
Interesse mit zu berücksichtigen ist. Die gute Qualität des Döner als Unternehmensziel
darf nicht ausreichen, sondern es muss öffentliches Interesse vorhanden sein. Ferner ist
eine gewisse Investitionssumme erforderlich, und es müssen Arbeitsplätze geschaffen
werden.
Eine Erweiterung der Zuwanderung ist damit selbstverständlich verbunden, zumal nicht nur
die Betreffenden, sondern auch Familienangehörige kommen. Die Familienangehörigen
spielen dann von der Sozialwohnung bis hin zur Integration in der Schule eine Rolle.
Es gibt weitere Tatbestände, die zur Erweiterung führen und die ich für
unverantwortlich halte. Der erste Tatbestand ist, dass Sie trotz 4,3 Millionen
Arbeitslosen den Anwerbestopp aufheben. Wenn Sie eine Erweiterung bezüglich des
Arbeitsmarkts nicht beabsichtigten, könnten Sie jederzeit sagen: Es bleibt beim
Anwerbestopp. - Nein, Sie wollen die großflächige Möglichkeit und haben als Beispiel
selber gesagt, dass in München 50 000 Arbeitskräfte fehlen. Damit machen Sie deutlich,
dass es Ihnen nicht um die Zuwanderung von Hochqualifizierten nach § 19 geht, sondern etwa von Gepäckträgern am
Münchner Flughafen, die Sie mir gegenüber auch immer wieder als Beispiel nennen.
Aus meiner Sicht ist es nicht verantwortbar, den Arbeitsmarkt für solche Arbeitskräfte
oder Hilfskräfte im Bereich der Pflege - ich meine nicht Pflegefachkräfte,
sondern Hilfskräfte im Haushalt - zu öffnen, mit dem Recht auf Familiennachzug und der
Notwendigkeit, dann die Kinder in den Schulen und die Menschen insgesamt zu integrieren.
Dass es durch die Aufhebung des Anwerbestopps zu einer erheblichen Erweiterung kommt, kann
nicht bestritten werden.
Das System des § 20, der
angebotsspezifischen Erweiterung, wie Sie formulieren - für mich ist es ein klassischer
Fall der demografisch begründeten Zuwanderung - , ist völlig indiskutabel, wenn, was
unstrittig ist, das Arbeitskräftepotenzial in den nächsten Jahren sogar steigt; es wird
erst ab dem Jahr 2010 zu einer deutlichen Veränderung kommen.
Das System ist umso unverantwortlicher, als die Politik bekanntlich die Öffnung nach
Osteuropa herbeiführen will und wird. Wir wollen die Osterweiterung. Dass dann 100
Millionen Menschen das Recht auf Freizügigkeit in der Europäischen Union - auch mit
einer Übergangsregelung - erhalten, muss berücksichtigt werden. Ich fordere Sie, Herr Schily, auf zu sagen, ob tatsächlich
gesichert ist, dass in der Europäischen Union eine Übergangsregelung mit
Einschränkungen der Freizügigkeit für die Beitrittskandidaten und gleichzeitig die
Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittländern möglich ist.
(Dr. Edmund Stoiber [Bayern]: Das ist genau der Punkt!)
Mir hat Herr Vitorino gesagt: Es kann nicht daran gedacht werden, Menschen
aus der Türkei, aus Afrika und aus Asien anzuwerben und gleichzeitig für die
Beitrittsländer Tschechien, Ungarn, Polen und Slowakei eine Übergangsfrist vorzusehen.
Ich kann deswegen nur sagen: Hier gehen Sie einen weiteren Schritt, der unverantwortlich
ist. Sie wissen das genau. Wenn Sie in der Oberpfalz sind,
sprechen Sie nämlich nicht davon, dass es nach § 20
hohe Anwerbezahlen gibt, sondern Sie sagen: Das ist eine Option für die Jahre 2010 und
danach.
Wir haben von Montesquieu gelernt: Mache ein Gesetz nur dann, wenn es
notwendig ist! - Wenn man ein Gesetz die nächsten zehn Jahre nicht braucht, ist es
sicherlich falsch, es heute zu machen.
Ein weiterer Punkt wird von Ihnen nicht erklärt: Die Juristen aus den Innenministerien
aller Länder sind einhellig der Meinung, dass eine großflächige Härtefallregelung zu
einer Erweiterung führt. Es gibt eben nicht nur eine sehr eingeschränkte
Härtefallregelung. Herr Müller und
ich waren in den Gesprächen mit Ihnen immer bemüht, zu einer Härtefallregelung zu
kommen, die keinen neuen Rechtsweg eröffnet.
Wir haben keine Lösung gefunden. Daraufhin hat Herr Müller wiederholt den Vorschlag gemacht,
es den Ländern mit einer Öffnungsklausel zu gestatten, dies einmal im kleinen
Bereich auszuprobieren. Was dann als Kompromiss mit der PDS und den Grünen von Ihnen
vorgelegt worden ist, ist eine großflächige Härtefallregelung, die unzweifelhaft zu
zweierlei führt:
Zum einen dürfen mehr Menschen bleiben. Dazu könnten Sie sagen: Wenn es wirklich
Härtefälle sind, ist das in Ordnung.
Herr Ministerpräsident Stolpe hat die
berechtigte Frage gestellt: Wird die Regelung auch wirklich eng gefasst? - Sie wissen
genauso gut wie ich, dass die Aussage des Bundesinnenministers
im Bundesrat für die Verwaltungspraxis der Länder und erst recht für die Gerichte
keinerlei Bedeutung hat; es handelt sich um eine von vielen Äußerungen im
Gesetzgebungsverfahren.
Wenn Ihre Bedenken geklärt werden sollen, verehrter Herr Ministerpräsident Stolpe - Sie haben eine mutige Rede gehalten; Sie haben sich nicht von
vornherein den Befehlen des Kanzlers unterworfen, sondern wollen das Verfahren etwas
hinauszögern -, muss das im Gesetz stehen, dazu darf nicht eine unverbindliche Erklärung
abgegeben werden, zumal sie von einem doch erheblichen Teil der Fachleute offensichtlich
für falsch gehalten wird.
Lieber Herr Kollege Schily, ich kann nur
noch einmal sagen: Die Härtefallregelung bedeutet zusätzliche Zuwanderung und vor allem,
sehr verehrter Herr Ministerpräsident Gabriel,
zusätzliche Anreize. Sie wissen genauso wie Ihr Innenminister, dass es im Zusammenhang
mit Missbrauch des Asylrechts - in diesem Bereich wollen wir Zuwanderung reduzieren
- dem überwältigenden Anteil der Schlepper nicht darauf ankommt, vor Gericht oder vom
Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Recht zu bekommen. Für sie
gilt: Der Weg ist das Ziel. Deswegen wird versucht, die Verfahren so lange zu verzögern,
bis die Härtefallregelung greift.
Dafür wird jetzt die Möglichkeit geschaffen. Das ist das Bedenken aller Fachleute. Ich
kann Ihnen nur sagen: Die Praxis wird in kurzer Zeit - in einem, zwei oder drei Jahren -
zu solchen Schwierigkeiten führen, dass wir uns wie im Jahr 1992 bei den Asylkompromissverhandlungen
werden treffen müssen, weil wir die Zuwanderung, die heute schon der Regelfall ist,
durch den Missbrauch des Asylrechts in weit höherem Maße erweitert haben.
Ein weiterer Punkt ist heute leider noch nicht angesprochen worden, scheint mir aber eine
zentrale Problematik zu betreffen. Sie schaffen die Duldung ab. Wer nicht aus
humanitären Gründen bleiben kann, weil dies ausdrücklich abgelehnt worden ist, aus
tatsächlichen Gründen aber nicht zurückgeführt werden kann, weil beispielsweise - das
gilt etwa für irakische Asylbewerber - ein Grenzübergang nicht geöffnet ist, bekommt
bei Ihnen ein Aufenthaltsrecht auf Zeit mit der zwangsläufigen Folge des
Familiennachzugs.
Sie bestreiten das zwar; aber die Juristen Ihres eigenen Hauses haben Ihnen, wenn meine
Information richtig ist, einen Vermerk gegeben, wonach in der Verbindung von § 35 mit Artikel 6 des Grundgesetzes
eine Erweiterung des Familiennachzugs die zwangsläufige Folge ist. - Sie schauen sich
hier um. Mitarbeiter meines Hauses waren dabei, als diese Fragen im vergangenen Jahr
erörtert wurden. Das ist ausdrücklich vereinbart worden. Wenn die Duldung allein
deswegen durch ein Aufenthaltsrecht ersetzt wird, weil ein Asylbewerber aus objektiven
Gründen nicht zurückgeführt werden kann, wird es in zigtausenden von Fällen zu
Familiennachzug kommen.
Ich sage Ihnen auch, warum mir das ein Anliegen ist: Wir haben mehr irakische
Asylbewerber als jedes andere Land. Es gibt eine langfristige Vereinbarung, wonach die
Irakis zu uns kommen; wir sind auf sie in gewisser Weise spezialisiert. Irakis können
nicht zurückgeführt werden. Über die grüne Grenze kann zwar jeder kommen, über die
offizielle Grenze kann aber niemand zurückgeführt werden. Die Irakis bekommen von Ihnen
künftig ein Aufenthaltsrecht verbunden mit dem Recht auf Familiennachzug. Wenn Sie dies
ändern wollten, müssten Sie es ins Gesetz
hineinschreiben. Das haben wir immer wieder verlangt. Konkrete Anträge liegen vor. Darauf
sind Sie nicht eingegangen. Selbst wenn Sie uns hier etwas anderes erzählen, werden die
Gerichte später aus den Materialien über die Gesetzesberatung folgern, dass der
Gesetzgeber dieses Anliegen abgelehnt hat, weil die entsprechenden Anträge abgelehnt
wurden. Die falsche Auslegung eines Politikers, der notfalls ein Gesetz durchmogeln will,
ist nicht so beachtlich wie die Ablehnung eines Gesetzesantrags.
Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen. Die Integrationskraft unseres Landes ist für
uns eine zentrale Frage. Sie können doch nicht bestreiten - dafür hat Herr Müller Sie selbst als Kronzeugen
angerufen -, dass die Integrationskraft eine Grenze erreicht hat. Nach
unserer Meinung müssen wir die heutige Zuwanderung von 500 000 bis 600 000 Personen
brutto als Obergrenze betrachten. Darüber können wir nicht hinausgehen, wollen wir die
Integrationskraft nicht überfordern. Wir wollen den Missbrauch des Asyls weiter
reduzieren - bei Ihnen wird automatisch das Gegenteil eintreten -, und damit können wir
die Zuwanderung Selbstständiger und Hochqualifizierter - nach unserer Sprachregelung:
Höchstqualifizierter oder Spezialisten - maßvoll erweitern.
Ich komme zum letzten Punkt. Herr Ministerpräsident Gabriel, Sie haben die Vertriebenen angesprochen.
Unstrittig ist, dass auch hier Probleme bestehen. Deswegen haben wir uns immer wieder
damit beschäftigt. Für uns stellt sich die Frage, wie wir dafür sorgen können, dass
die wirklichen Volksdeutschen aufgenommen werden, die in den Jahrzehnten des Kommunismus
ein schlimmes Schicksal hatten. Wenn wir diese Menschen nicht aufnähmen, wäre es eine
riesige Gemeinheit, zu der in diesem Hause hoffentlich niemand die Hand heben würde.
Wir müssen uns aber fragen, wie wir Missbrauch verhindern und Integrationsprobleme besser
lösen können. Noch von der früheren Regierung ist festgelegt worden, dass die
Volksdeutschen bereits vor Ausreise eine Sprachprüfung ablegen und diese nicht
wiederholen dürfen. Dadurch ergeben sich sicherlich Einschränkungen. Des Weiteren muss
aber verlangt werden, dass sich die mitreisenden Familienangehörigen, insbesondere die
Kinder, einer Sprachprüfung unterziehen. Dafür gelten übrigens noch nicht lange
gesetzliche Bestimmungen. Auf diese Weise ist dafür gesorgt, dass nur Volksdeutsche
kommen, bei denen dieselbe Integrationsbereitschaft besteht wie bei den früheren
Spätaussiedlern, mit denen es nach unser aller Überzeugung keine ernsthaften
Schwierigkeiten gegeben hat. Wir alle sind froh darüber, dass sich die rumänischen
Spätaussiedler, die in den vergangenen Jahrzehnten zu uns gekommen sind, bestens
integriert haben. Also: Auch die Probleme der Vertriebenen sind anzugehen.
Wir wollen in unserem Land eine weltoffene und tolerante Gesellschaft. Wir wollen keine
multikulturelle Einwanderergesellschaft. Deren Nachteile werden von einem
überwältigenden Anteil unserer Bevölkerung größer eingeschätzt als die Vorteile.
Deswegen halten wir das Gesetz in der vorliegenden
Fassung für nicht zustimmungsfähig.
Ich räume gerne ein, dass ich in den letzten Wochen gesagt habe, das Gesetz habe so schwer wiegende Fehler, dass es einer
grundlegenden Überarbeitung bedürfe. Die größten Probleme sind in einer
überschaubaren Zahl von Vermittlungsbegehren oder Gravamina dargestellt. Sie könnten im Vermittlungsausschuss
ohne Weiteres in vernünftiger Weise geregelt werden.
Die Bedenken, die ich vorgetragen habe, kommen nicht allein von einem Politiker, sondern
auch von der Verwaltung. Die Stadt München oder die Regierung von Oberbayern z. B. haben
sich jedes Jahr mit hunderttausenden von Fällen des Ausländerrechts zu beschäftigen.
Die Bedenken der Fachleute beiseite zu schieben halte ich für nicht möglich.
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