(Zweite) Rede des Vorsitzenden der PDS-Fraktion Roland Claus zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag

vom 1. März 2002[1]


Roland Claus (PDS): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Sie haben sich unerwartet entschlossen, eine Ansprache an die Fraktion der CDU/CSU zu halten und dafür das Plenum des Bundestags zu wählen. Ich erkläre mir das ein wenig damit, dass Sie möglicherweise die harsche Rede Ihres Bundesinnenministers dazu veranlasst hat, der hier in einer Weise mit der Union umgegangen ist, wie es von ihm auch nicht anders zu erwarten war. Insofern habe ich ein gewisses Verständnis für Ihr Verhalten, Herr Bundeskanzler.

Aber wir haben auch eines gemerkt. Die Union beeindruckt es offenbar relativ wenig, wenn man ihr nach dem Mund redet. Von Frau Merkels Rede ist nur eine einzige Botschaft übrig geblieben,

(Dr. Michael Bürsch [SPD]: Die würde auch gerne zustimmen!)

nämlich dass Humanität und Menschenrechte nur dann gewünscht sind, wenn es uns in den Kram passt.

(Beifall bei der PDS - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das sagt der Richtige!)

Mit dieser Überlegung passt es nicht zusammen, dass Sie sich immer als Lehrmeister in Sachen Humanität und Menschenrechte aufspielen.

Die CDU/CSU hat natürlich Recht, wenn sie auf das Kleingedruckte in diesem Gesetz verweist und sagt, es gebe viele Ausgestaltungsmöglichkeiten. In der vor uns liegenden öffentlichen Debatte und erst recht in den bevorstehenden Wahlkämpfen geht es natürlich nicht um das Kleingedruckte, sondern darum, wie die Dinge vereinfacht und vergröbert interpretiert werden. Hier wünsche ich mir noch immer, dass wir als Parlament nicht für Verklärung und Stimmungsmache, sondern für Aufklärung in diesem Lande sorgen. Diese Hoffnung gebe ich auch nicht auf.

(Beifall bei der PDS - Michael Glos [CDU/ CSU]: Klärt erst einmal eure Gaunereien alle auf!)

Allerdings ist es nicht damit getan, dass Herr Merz erklärt, die Probleme der Arbeitslosigkeit seien mit Zuwanderung nicht zu lösen. Dass das so ist, ist völlig klar. Aber es in dieser Verknüpfung zu bringen, bedeutet, die Sorgen und Nöte von Arbeitslosen gegenüber den Sorgen und Nöten von Zuflucht Suchenden auszuspielen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da Sie, Frau Merkel, hier den Platz 1 für sich reklamiert haben, sage ich Ihnen: Die CDU/CSU nimmt den Platz 1 nur auf den Feldern Realitätsverdrängung, Abschottungsabsicht und Stimmungsmache ein. Das ist leider Ihre Bilanz.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, die PDS hat sich mit eigenen Vorschlägen in die Diskussion um ein modernes Einwanderungsrecht eingebracht. Das, worüber wir heute abzustimmen haben, stellt uns nicht zufrieden; das haben wir deutlich zum Ausdruck gebracht. Aber auch hier sehen wir natürlich Möglichkeiten für Nachbesserungen, die auf den Weg gebracht werden können.

(Beifall bei der PDS)

 

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Anmerkung:
[1] Im Deutschen Bundestag gaben im Anschluß an die Debatte 587 Abgeordnete ihre Stimme ab. Der Entwurf des Zuwanderungsgesetzes wurde mit 321 zu 225 Stimmen und 41 Enthaltungen angenommen und damit als Gesetz beschlossen.
In seiner Sitzung vom 22. März stimmte der Bundesrat nach heftiger Debatte und einer verfassungsrechtlich umstrittenen Abstimmung, die von lautstarker und vorher abgesprochener "Empörung" der CDU-geführten Länder begleitet wurde, mit einer knappen Mehrheit von 35 Stimmen ebenfalls für das Gesetz.
Bundespräsident Johannes Rau fertigte am 20. Juni 2002 das Zuwanderungsgesetz aus, nachdem er durch sorgfältige Prüfung der verfassungsrechtlichen Bedenken bezüglich der Abstimmung im Bundesrat zu dem Ergebnis gekommen war, dass "zweifelsfrei und offenkundig ein Verfassungsverstoß" nicht vorläge. Er verwies jedoch ausdrücklich auf die Möglichkeit, die Vorgänge der Abstimmung im Bundesrat durch das Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Anschließend wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet und hätte somit zum vorbestimmten Zeitpunkt in Kraft können.
Daraufhin reichten die sechs CDU-regierten Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarland, Sachsen und Thüringen wegen der verfassungsrechtlich umstrittenen Bundesratsabstimmung Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts schloss sich am 18. Dezember 2002 der Auffassung der Union an. Er stellte fest, dass die Abstimmung im Bundesrat nicht verfassungsgemäß stattgefunden hatte. Aus diesem Grund trat das Zuwanderungsgesetz, trotz Verkündung im Bundesgesetzblatt, nicht in Kraft.


Quelle: Deutscher Bundestag, 14. Wahlperiode, Stenographischer Bericht der 222. Sitzung vom 01.03.2002 (Plenarprotokoll 14/222).


Empfohlene Zitierweise des Dokumentes:
(Zweite) Rede des Vorsitzenden der PDS-Fraktion Roland Claus zum Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes der Bundesregierung sowie der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen im Bundestag (01.03.2002), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/brd/2002/rede_claus02_03-01.html, Stand: aktuelles Datum.


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Letzte Änderung: 03.03.2004
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